Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Kindergeld auch an nicht erwerbstätige Unionsbürger zu zahlen, selbst wenn deren Kinder in einem anderen Mitgliedstaat leben. Dieses Urteil des EuGH erklärt Constanze Janda.
Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Kindergeld an Migranten zu zahlen ist, ist immer wieder Gegenstand reger politischer Diskussionen. Das deutsche Kindergeldrecht hält eine Reihe von Regelungen bereit, mit denen die Leistungsberechtigung von Ausländern eingeschränkt wird. Es handelt sich dabei jedoch nicht um ein spezifisch deutsches Problem.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in der Rechtssache Bogatu darüber zu entscheiden, ob Irland einem rumänischen Staatsangehörigen Kindergeld für seine beiden in Rumänien lebenden Kinder zahlen muss (Urt. v. 07.02.2019, Az. C-322/17). Der Kläger hatte sechs Jahre lang in Irland gearbeitet. Danach wurde er arbeitslos und anschließend für längere Zeit krank; er lebte weiterhin in Irland. Für die Zeit, in der er eine der deutschen Grundsicherung für Arbeitsuchende vergleichbare Leistung bezogen hat, wurde ihm das Kindergeld verweigert. Die zuständige Behörde war der Auffassung, dass die Leistung nur zu erbringen ist, wenn die betreffende Person arbeitet oder Sozialversicherungsleistungen bezieht.
Sozialrecht ermöglicht Arbeiten und Leben in der ganzen EU
Die Antwort auf die aufgeworfene Frage findet sich in der EU-Verordnung zur Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit VO (EG) 883/2004. Diese vereinheitlicht zwar nicht das Sozialrecht der Mitgliedstaaten. Die Verordnung hält aber eine Vielzahl von Regelungen bereit, die verhindern sollen, dass Unionsbürger ihre sozialrechtlichen Ansprüche verlieren, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat leben oder arbeiten. So sorgt das europäische Recht dafür, dass Unionsbürger in jedem Mitgliedstaat eine Krankenbehandlung erhalten, bei internationalen Erwerbsbiografien eine Altersrente bekommen oder EU-weit nach Arbeit suchen können. Für Personen, die eine Beschäftigung ausüben, ist nach der Verordnung der Beschäftigungsstaat für die Sozialleistungen zuständig, für alle Nichterwerbstätigen der Wohnstaat. Das Kindergeld wird zwar für die Pflege und Erziehung von Kindern ausgezahlt, der Anspruch steht aber nicht dem Kind, sondern dem Elternteil zu. Im Fall Bogatu war folglich irisches Recht anzuwenden und irische Sozialleistungsbehörden waren für die Prüfung des Falls zuständig.
Keine Schlechterstellung von Bürgern aus EU-Mitgliedstaaten
Steht die Zuständigkeit fest, müssen die leistungsberechtigten Personen so behandelt werden, als wären sie Angehörige des zuständigen Staates. Für sie dürfen weder andere, strengere Anspruchsvoraussetzungen geschaffen werden noch dürfen sie bei der Leistungserbringung benachteiligt werden. Unzulässig ist daher insbesondere die immer wieder diskutierte Indexierung des Kindergeldes, d.h. die Begrenzung der Kindergeldhöhe auf die Lebenshaltungskosten im Wohnstaat des Kindes. Die Europäische Kommission hat in diesem Zusammenhang kürzlich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet.
Die Verordnung sieht explizit vor, dass der zuständige Staat Familienleistungen auch für im EU-Ausland lebende Kinder zahlen muss. Sie sind dann so zu behandeln, als würden sie selbst im zuständigen Staat leben. Dies gilt selbst dann, wenn der Elternteil im zuständigen Staat keiner Beschäftigung nachgeht. Das koordinierende Sozialrecht, so der EuGH, verlange nicht, dass die anspruchsberechtigte Person über eine besondere Position, also etwa über den Arbeitnehmerstatus oder die Leistungsberechtigung in der Sozialversicherung, verfügen muss. Die Kindergeldzahlung kann vielmehr auch durch den Wohnsitz ausgelöst werden.
Eindeutiger gesetzgeberischer Wille
Dies entspricht dem eindeutigen Willen des europäischen Gesetzgebers. Dieser hatte nämlich die Koordinierungsverordnung im Jahr 2004 neu gefasst. Vorher war deren Anwendungsbereich noch auf Beschäftigte beschränkt, seither gilt er für alle Personen, die dem Sozialrecht eines Mitgliedstaats unterliegen. Es kommt also gerade nicht auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit an, um in den Genuss der Sozialrechtskoordinierung zu kommen. Auch der Bezug von beitragsfinanzierten Sozialleistungen - im deutschen Recht wären dies etwa das Arbeitslosengeld I oder eine Rente - ist keine Voraussetzung der Kindergeldberechtigung.
Die Entscheidung des EuGH findet ihre Stütze im eindeutigen Wortlaut der Verordnung, daher überrascht sie im Ergebnis nicht. Gleichwohl lässt das Urteil aufhorchen, denn noch im Jahr 2016 hatte der EuGH - nur wenige Tage vor der Abstimmung über den Brexit - eine Regelung im britischen Kindergeldrecht akzeptiert, nach der die Leistung nur an Personen mit rechtmäßigem Inlandsaufenthalt gezahlt wird (Urt. v. 14.06.2016, Az. C-308/14). Dadurch werden z.B. Arbeitslose aus anderen Mitgliedstaaten ausgeschlossen. Die Entscheidung hatte Kritik nach sich gezogen, da sie die Grundsätze des koordinierenden Sozialrechts völlig außer Acht gelassen hatte. Gleichwohl arbeitet der deutsche Gesetzgeber gerade an einer ähnlichen Regelung für das deutsche Kindergeld. Das Thema wird die Gerichte daher sicher weiter beschäftigen.
Die Autorin Prof. Dr. Constanze Janda ist Professorin für Sozialrecht und Verwaltungswissenschaft an der Universität Speyer.
EuGH zu Sozialleistungen für EU-Bürger: . In: Legal Tribune Online, 08.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33761 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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