2/2: Recht auf elektronisches Lesen
In dem von den Bibliotheken geforderten zustimmungsfreien Zugang auch zu E-Books steckt durchaus Brisanz. Bibliotheken sehen ihren öffentlichen Auftrag gefährdet, viele Verlage dagegen ihre Geschäftsmodelle bedroht. Dass die Fronten verhärtet sind, überrascht also nicht.
Bereits 2014 hatten 65.000 europäische Bibliotheken zum Welttag des Buches eine Kampagne für das "Recht auf elektronisches Lesen" gestartet und gleiche Regelungen für klassische Bücher und E-Books gefordert. In dem jetzigen Verfahren könnte sich nun tatsächlich eine Kehrtwende andeuten, das hatte jedenfalls Generalanwalt Maciej Szpunar am gestrigen Donnerstag in seinen Schlussanträgen durchblicken lassen. Zwar sind die europäischen Richter nicht an diese Anträge gebunden. Oft decken sich jedoch Schlussanträge und Entscheidung.
Das Verleihen von E-Books, so der Generalanwalt, sei ebenso wie das Verleihen eines herkömmlichen Buches vom Anwendungsbereich der Richtlinie umfasst. Das Ergebnis wird die Bibliotheken freuen. Interessierte Nutzer können damit leichter Zugang zu E-Books erhalten. Die rechtliche Begründung des Generalanwalts ist denkbar einfach: Der Unionsgesetzgeber habe seinerzeit E-Books schlichtweg nicht im Blick gehabt. Nun waren E-Books auch 2006 durchaus schon bekannt. Immerhin gab es das erste kommerzielle E-Book bereits Ende der 1980er Jahre. Tatsächlich waren E-Books bei Verabschiedung der Richtlinie vor zehn Jahren aber nicht so weit verbreitet. Mit Smartphones, Tablets und Lesegeräten hat sich das inzwischen geändert.
Nach Ansicht des Generalanwalts sei die Richtlinie "dynamisch" oder "evolutiv" auszulegen. Nur so könne man mit den technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen Schritt halten. Aber auch noch etwas anderes lässt aufhorchen: Zweck des Unionsrechts sei es nämlich, die Interessen der Urheber zu schützen. Das sei derzeit in der Praxis durch Lizenzabsprachen zwischen den Verlagen und Bibliotheken nicht hinreichend gewährleistet. Bei einer entsprechenden Auslegung partizipierten aber gerade auch die Urheber von einer angemessenen Vergütung.
Verleihen, Mehrwertsteuer und mehr
Auch hierzulande fordern diverse Akteure, wie etwa der Deutsche Bibliotheksverband, schon seit Längerem eine gesetzliche Regelung für den E-Book-Verleih. Auf der politischen Agenda steht das Thema ebenfalls. Konkrete Schritte dazu sind bislang allerdings unterblieben. Wie wir uns künftig zu E-Books stellen ist dabei durchaus grundsätzlicher Natur. Hier zeichnet einmal mehr die Technik Wege vor. Man fühlt sich an die Musikindustrie mit Streaming-Diensten erinnert. Und man bekommt einmal mehr den Eindruck, dass das Recht eher den Entwicklungen hinterherhinkt, als einen verlässlichen Rahmen vorzugeben.
Welchen Weg die europäischen Richter gehen werden, ist noch offen. Eines ist aber jetzt schon sicher. Der rechtliche Trubel um E-Books wird nicht abebben, zumal das jetzige Verfahren nicht das erste dieser Art ist. Bereits 2014 hatte der EuGH den geringeren Steuersatz für E-Books in einigen Ländern für unzulässig erklärt – ganz im Unterschied zu herkömmlichen Büchern auf Papier. Ein E-Book ist irgendwie doch kein Buch.
Daneben sind weitere Punkte ungeklärt. Wie steht es um den Weiterverkauf von E-Books? Endet das Verbreitungsrecht daran, wenn sie einmal auf den Markt gebracht wurden? Und wenn ein E-Book kein Buch ist, wie steht es dann um die Buchpreisbindung, die eine intakte Buchhandelslandschaft erhalten soll. Apropos: Am heutigen Freitag befasst sich der Bundesrat mit der Anfang des Jahres vom Kabinett beschlossenen Buchpreisbindung für E-Books. Sie wird durchgehen. Womöglich sind E-Books ja doch Bücher.
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek, LL.M. lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz in Halberstadt. Folgen Sie dem Autor auf Twitter unter @niedostadek.
André Niedostadek, Schlussanträge zum Verleih von E-Books: . In: Legal Tribune Online, 17.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19699 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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