Deutschlands Widerstand gegen die EU-Korruptionsrichtlinie: Busch­mann sorgt sich um das Freie Mandat

von Hasso Suliak

30.10.2023

Die Bundesregierung hadert mit Plänen der EU, die Korruption von Abgeordneten effektiver zu bekämpfen. Weil der Bundesjustizminister aber mit seinen Bedenken in Brüssel nicht durchdringt, fragt er nun den Bundestag, wie er verhandeln soll. 

Eigentlich wollte die Ampelkoalition noch in diesem Jahr eine Reform der Abgeordnetenbestechung auf den Weg bringen. Hintergrund ist eine Strafbarkeitslücke, deren Schließung sogar der Bundesgerichtshof (BGH) seinerzeit im Zusammenhang mit Verfahren rund um die CSU-Maskenaffäre dem Gesetzgeber ans Herz gelegt hatte: Denn während Amtsträger wie z.B. Beamte die volle Härte und eine Strafverfolgung wegen Vorteilsnahme und Bestechlichkeit nach §§ 331 ff. Strafgesetzbuch (StGB) fürchten müssen, sieht § 108e StGB eine Strafbarkeit bei Mandatsträgern nur vor, wenn die Handlungen bei der "Wahrnehmung" ihres Mandates erfolgen. Laut BGH ist es jedoch "ähnlich strafwürdig", wenn ein Mitglied des Bundestages (MdB) "bei außerparlamentarischen Betätigungen unter Berufung auf seinen Status (…) und ohne Vorgabe, im Auftrag des Parlaments zu handeln, Behördenentscheidungen zu beeinflussen versucht". 

Dass Abgeordnete in Deutschland – anders als in den meisten EU-Mitgliedstaaten – strafrechtlich nicht wie Beamte behandelt werden, liegt daran, dass man in Berlin seit Jahren auf die besondere Rechtsstellung der Abgeordneten verweist. Diese verfügen über ein freies Mandat, sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen, Art.38 Abs.1 S.2 Grundgesetz (GG). Eine Gleichstellung von Mandatsträgern mit Amtsträgern verbiete sich zudem wegen der Verschiedenheit ihrer Aufgaben, des Fehlens eines genau umrissenen Pflichtenkreises für Mandatsträger und des Umstands, dass das Parlamentsrecht schließlich die Entgegennahme einiger Vorteile durchaus erlaube. Kein Wunder also, dass die Ampelkoalition entgegen Versprechungen im Juli 2022, die Strafbarkeitslücke schnell zu schließen, seither noch nichts zustande bekommen hat. 

Brüssel macht Druck, Bundesjustizminister ruft um Hilfe 

Druck auf Deutschland kommt nun jedoch aus Brüssel. Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für eine Korruptionsrichtlinie auf den Tisch gelegt. Und dieser sieht die volle Gleichstellung von Amts- und Mandatsträgern vor. Deutschland wäre gezwungen, die Regelung in § 108e StGB, der aktuell noch spezielle Anforderungen an die Kausalität zwischen Vorteil und Mandatshandlung stellt, zu ändern bzw. Mandatsträger gleich in den Täterkreis der Amtsträger in §§ 331 StGB ff. StGB miteinzubeziehen. Auch müsste Deutschland den Strafrahmen nach oben anpassen. Die §§ 331 und 333 StGB sehen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor und bleiben damit hinter der von der Richtlinie vorgesehenen Mindesthöchststrafe von bis zu sechs Jahren zurück.  

In größte Sorge haben die Vorschläge aus Brüssel nun die Bundesregierung, namentlich den Bundesjustizminister versetzt. Dieser reagierte inzwischen auf eine ungewöhnliche Weise: Mit einem Brief, der LTO vorliegt, wandte sich Marco Buschmann (FDP) an den Geschäftsordnungsausschuss des Deutschen Bundestages und informierte außerdem die Parlamentarischen Geschäftsführer sowie die Mitglieder des Rechtsausschusses. Tenor des Schreibens: Die von der EU gewollte strafrechtliche Gleichbehandlung von Abgeordneten mit Amtsträgern sei verfehlt. Aber da Deutschland mit dieser Position auf EU-Ebene allein dastehe, wolle er jetzt vom Parlament wissen, wie er weiterverhandeln soll. 

Wörtlich schreibt Buschmann: "Eine (…) undifferenzierte Gleichstellung empfinden wir als unangemessen; sie wäre nicht sachgerecht und könnte etwa die Zulässigkeit von Parteispenden in Frage stellen. Leider zeichnet sich bei den Verhandlungen ab, dass wir im Kreise der europäischen Mitgliedstaaten im Rat bei unserer Ablehnung dieses Ansatzes nur wenig Unterstützung finden."

EU-Vorschlag: Bundestagsjuristen haben keine Bedenken 

Die Sorge Buschmanns, dass Abgeordnete künftig keine Parteispenden mehr annehmen dürfen, bezieht sich auf eine konkrete Formulierung im Richtlinien-Vorschlag der Kommission: Während § 108e Abs. 1 StGB verlangt, dass der erlangte Vorteil "ungerechtfertigt“ sein muss, soll nach Art. 7 Buchst. b für die Strafbarkeit ein "Vorteil jedweder Art" ausreichen. Jedenfalls dem Wortlaut nach könnten damit Abgeordnete regelmäßig in den Verdacht der Bestechlichkeit geraten, wenn sie Zuwendungen, sei es für sich selbst oder für die Partei, denen sie angehören, entgegennehmen.  

Welchen Verhandlungsauftrag der Bundestag nunmehr dem Bundesjustizminister an die Hand gibt, soll in einer eiligst anberaumten Anhörung am 13. November im Rechtsausschuss des Bundestages beraten werden. Bereits jetzt liegt den Parlamentariern indes ein Gutsachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vor, der die Bedenken des Bundesjustizministers nicht teilt. Die Ausarbeitung (Az. WD 3-3000-117/23) ist datiert vom 12. Oktober und liegt LTO vor. 

"Keine Verletzung des freien Mandats" 

Hinsichtlich der Entgegennahme von Parteispenden könne die entsprechende Regelung im RL-Vorschlag nach Ansicht der Bundestagsjuristen sehr wohl so ausgelegt werden, dass nicht jede bloße Annahme eines irgendwie gearteten Vorteils den Vorwurf der Bestechlichkeit begründet. Der Schutzzweck von Strafnormen zur Bestechlichkeit von Mandatsträgern bestehe gerade darin, die sachliche und unabhängige Wahrnehmung des Mandats zu gewährleisten, und nicht darin, die ordnungsgemäße Mandatswahrnehmung zu behindern. "Eine Verletzung des freien Mandats durch den Richtlinien-Vorschlag dürfte insoweit daher nicht vorliegen", heißt es im Gutachten.  

Geht es nach dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, ist der Widerstand Deutschlands gegen die EU-Korruptionsrichtlinie nicht haltbar: "Es liegen keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten freien Mandats durch die in Art. 7 des Vorschlags einer Richtlinie zur Bekämpfung der Korruption enthaltenen Vorgaben vor." Auch eine Verletzung des Demokratieprinzips, mithin auch des Kerngehalts der Verfassungsidentität des Grundgesetzes, sei nicht erkennbar. 

Buschmann erwartet Kompromissvorschlag vom Parlament  

Ob sich Marco Buschmann davon indes fachlich beeindrucken lässt, ist zweifelhaft. In seinem Schreiben an die Abgeordneten macht er deutlich, dass er grundsätzlich nicht gewillt ist, von seiner rigiden Haltung abzurücken. Allenfalls für irgendwelche Kompromisslösungen zeigt er sich offen: "Wir werden uns dennoch weiter dafür einsetzen, Abgeordnete den Amtsträgern nicht gleichzustellen. Nachdem aber absehbar zu sein scheint, dass wir dieses Primärziel möglicherweise nicht werden erreichen können, bitte ich um Ihre Mitteilung, ob die Bundesregierung bei den Verhandlungen auf Kompromisse dringen soll." 

Welche konkreten Kompromisse Buschmann auf EU-Ebene verhandeln könnte, soll nun also der Deutsche Bundestag entscheiden. Entsprechende Vorschläge müssten aus der Mitte des Bundestages kommen und sollten auch "nicht etwa durch die Bundesregierung vorgegeben werden", schreibt Buschmann. 

Transparency International lobt Vorgehen  

Während man sich zumindest in einigen Ampelfraktionen über dieses eher ungewöhnliche Vorgehen eines Bundesministers verwundert die Augen reibt, bekommt Buschmann von der Antikorruptionsorganisation Transparency International (TI) Zuspruch: Es sei richtig, die Stellungnahme zum Richtlinienentwurf in die Autonomie des Parlaments zu legen – und nicht durch eine Meinung der Exekutive vorzuzeichnen, meint TI-Vorstandsmitglied und Juraprofessor Heribert Hirte gegenüber LTO. Es liege jetzt in der Verantwortung des Parlaments, Minister Buschmann die entsprechenden Hinweise an die Hand zu geben.  

Hirte ist ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und seit September 2022 Vorstandsmitglied bei TI Deutschland. Als MdB hatte Hirte noch gegen Verschärfungen von § 108e StGB votiert. 2014 stimmte er mit der GroKo für eine moderate Erweiterung des Straftatbestands, die schon damals von Vielen als wirkungslos kritisiert wurde.  

In der Sache ist der ehemalige CDU-Politiker aber heute der Auffassung, dass der Vorschlag der EU-Kommission mit der verfassungsrechtlichen Stellung der Abgeordneten in Deutschland vereinbar wäre. "Eine Kollision sehe ich nicht: Das wird schon daraus deutlich, dass – schon jetzt – durch Vorschriften wie § 108e StGB die 'Freiheit des Mandats' keine absolute ist und insbesondere und zu Recht eine Käuflichkeit des Mandats nicht zulässt", so Hirte.  

Eine Warnung hat der Jurist dennoch für den Fall einer Umsetzung des EU-Vorschlages parat: Es würden Missbrauchsrisiken eröffnet, "wenn die - in einer bestimmten, zudem auch weisungsabhängigen, politischen Verantwortung stehende - Staatsanwaltschaft eines Bundeslandes gegen Mandatsträger Ermittlungen einleitet, die eine andere politische Bindung haben". 

Zitiervorschlag

Deutschlands Widerstand gegen die EU-Korruptionsrichtlinie: . In: Legal Tribune Online, 30.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53022 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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