2/2: EU kann nicht einfach gegen "Datenmacht" vorgehen
Dies tat sie zu Recht: Das EU-Wettbewerbsrecht gibt der Kommission keine Befugnis, gegen wirtschaftliche Macht oder gar "Datenmacht" als solche vorzugehen. Ihre Maßnahmen dürfen sich nur gegen konkrete Verhaltensweisen eines Unternehmens richten. Dieses muss seine beherrschende Stellung auf einem klar definierten Markt nachweislich missbrauchen, indem es Konkurrenten behindert oder die Marktgegenseite ausbeutet.
Der Begründungsaufwand für solche Maßnahmen ist hoch. Das zeigt etwa die Beschwerde, Google habe mit seinem Suchalgorithmus eigene Dienste bevorzugt und konkurrierende Dienste diskriminiert.
Hier ist es schon nicht leicht, einen wirtschaftlich schlüssigen Vorwurf zu formulieren. Verzerrt Google nämlich tatsächlich seine Suchergebnisse, würde der Suchmaschinenbetreiber damit seine Nutzer langfristig wohl eher vertreiben und sich damit selbst schädigen.
Abgesehen davon kann man der Sache kaum auf den Grund gehen, ohne den Suchalgorithmus und damit ein zentrales Betriebsgeheimnis von Google zu kennen. Hinzu kommt, dass die viel beschworene "Suchneutralität", die Google verletzt haben soll, überaus schwer dingfest zu machen ist.
Zerschlagen von Google wäre kaum verhältnismäßig
Und selbst wenn die Kommission diese und weitere Hürden erfolgreich meistern und damit auch in der gerichtlichen Überprüfung bestehen sollte, stünde am Ende wohl doch nur eine Anordnung, die Google zu einer neutraleren Anzeige konkurrierender Dienste zwingt.
Daneben könnte sie vielleicht noch eine Geldbuße von maximal 10 Prozent des Jahresumsatzes verhängen. Bei Google allerdings könnte diese im Extremfall beeindruckende Höhen erreichen, weil der Umsatz bei Google im Jahr 2013 knapp 60 Milliarden US-Dollar betrug. Eine Zerschlagung von Google wäre als wettbewerbsbehördliche Reaktion auf einen solchen Verstoß dagegen wohl kaum verhältnismäßig.
Politisches Signal, digitale Märkte zu regulieren
Es fällt schwer zu glauben, dass sich die EU-Parlamentarier dieser Grenzen eines Wettbewerbsverfahrens nach den herkömmlichen Regeln nicht bewusst waren. Die Forderung des Parlaments ist daher eher als politisches Signal zu verstehen, mit dem es Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen für digitale Märkte einläuten will.
Dieses Signal ist ernst zu nehmen: Einem Bericht der Financial Times zufolge haben Deutschland und Frankreich bereits bei der Kommission interveniert. Sie wollen solche digitalen Plattformen besonderen Regelungen unterwerfen, die nach ihrer Ansicht wie Google einen "bottleneck" für den Marktzugang bilden. Diese Regulierungen könnten als eigenständiges Regime, als Sonderkartellrecht oder als Ergänzung der Telekommunikationsregulierung ausgestaltet sein. Selbst die deutsche Monopolkommission, der man sicher keine Neigung zu Markteingriffen unterstellen kann, denkt über solche neue Regeln nach.
In der Tat sorgen sich nicht ohne Grund viele um die Macht, die Unternehmen wie Google vor allem durch das Sammeln und Verknüpfen enormer Datenmengen aufbauen. Die Daten, mit deren Preisgabe der einzelne Nutzer etwa die Dienste von Google "bezahlt", sind Teil einer für ihn unüberschaubaren und unkontrollierbaren Wertschöpfungskette.
Das herkömmliche Datenschutzrecht hat hierauf ebenso wenig eine Antwort wie das Verbraucherschutzrecht und das Kartellrecht, das mit seiner Fixierung auf Marktmacht und deren Missbrauch die Macht von "big data" nicht erfassen kann.
Welche rechtlichen Regeln dieses Vakuum füllen könnten, weiß allerdings bisher niemand so recht. Der Ruf nach einer Zerschlagung von Google ist daher als rechtspolitische Forderung zumindest vorschnell. Gänzlich unangebracht wäre er, wenn man damit letztlich auf Protektionismus zugunsten der europäischen Digitalindustrie hinauswollte.
Der Autor Prof. Dr. Thomas Ackermann ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität München. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört das Kartellrecht. Außerdem ist er Mitherausgeber der "Neuen Zeitschrift für Kartellrecht" und Mitglied des "Arbeitskreises Kartellsanktionenrecht" beim Bundeskartellamt.
EU-Parlament zur möglichen Aufspaltung von Google: . In: Legal Tribune Online, 08.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14051 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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