Vor wenigen Tagen jährte sich wieder einmal die Lehman-Insolvenz. Passend dazu entschied nun erstmalig der BGH über Schadensersatzklagen von Anlegern – und wies sie ab. Für die Geschädigten ist das eine Enttäuschung. Ein Grundsatzurteil für andere Lehman-Verfahren ist es nicht unbedingt. Alexander Knauss über die Entscheidungen und ihren "gewissen Pilotcharakter".
Was 2008 einem Erdbeben für die Finanzmärkte gleichkam, relativiert sich angesichts nun drohender Staatspleiten in der Rückschau ein wenig - nicht aber für zahllose Kleinanleger, deren Lehman-Papiere durch die Pleite der Bank auf einen Schlag wertlos wurden.
Viele verklagten daraufhin ihre Hausbank mit der Begründung, über die Risiken dieser Papiere nicht hinreichend aufgeklärt worden zu sein. Die Entscheidungen der Instanzgerichte differierten enorm.
Während die Welt vor den nächsten Erdbeben in Gestalt von Staatspleiten zittert, haben die Nachbeben der Lehman-Insolvenz erst jetzt den Bankensenat des Bundesgerichtshofs (BGH) erreicht, der am Dienstag in zwei mit Spannung erwarteten Entscheidungen (Az. XI ZR 178/10 und XI ZR 182/10) Schadenersatzansprüche der klagenden Anleger verneint hat.
Der von vielen erhoffte Durchbruch in Form einer Grundsatzentscheidung zugunsten der Anleger blieb aus. Aber auch für betroffene Banken sind die Entscheidungen noch kein Grund aufzuatmen. Denn ausschlaggebend waren offenbar jeweils Besonderheiten des Einzelfalls. Zwar hätten die nun entschiedenen Fälle "eine gewisse Pilotfunktion", so der Vorsitzende Ulrich Wiechers in der mündlichen Verhandlung. Allerdings bleibt es dabei: Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an.
Nur zwei von vielen: Das Ende der Express-Anleihen im Jahr 2008
In dem Verfahren XI ZR 178/10 hatte der Anleger im Dezember 2006 auf Empfehlung einer Mitarbeiterin der nun beklagten Sparkasse einen Betrag in Höhe von 10.000 Euro in eine "ProtectExpress-Anleihe" investiert.
In der Parallelsache XI ZR 182/10 hatte die Klägerin im Oktober 2007 auf Empfehlung eines Mitarbeiters derselben Sparkasse für 10.000 Euro eine "Bull Express Garant Anleihe" erworben.
In beiden Fällen handelt es sich um Inhaberschuldverschreibungen der niederländischen Lehman Brothers Treasury Co. B.V., deren Rückzahlung von der US-amerikanischen Lehman Brothers Holdings Inc. garantiert wurde. Bei beiden Anleihen sollte der Anleger im für ihn ungünstigsten Fall am Ende der Laufzeit den angelegten Betrag ohne Zinsen zurück erhalten. Mit der Insolvenz der holländischen Emittentin und der amerikanischen Garantin im September 2008 wurden die erworbenen Zertifikate weitgehend wertlos, zumal sie nicht der Einlagensicherung unterfielen.
Schätzungen von Verbraucherschützern zufolge sollen bis zu 50.000 Anleger in Deutschland solche Zertifikate gekauft und dabei über 700 Millionen Euro verloren haben.
Mit ihren Klagen verlangten die Anleger die Rückzahlung des Anlagebetrages zuzüglich des Ausgabeaufschlages nebst Zinsen. Während das Landgericht Hamburg erstinstanzlich den Klagen noch statt gab, gab das zuständige Oberlandesgericht in der Berufung den beklagten Banken Recht.
Von allgemeinen Risiken
Die Entscheidungen hielten, nach Auffassung des BGH hat die beklagte Bank in beiden Fällen ihre Pflichten zur anleger- und objektgerechten Beratung nicht verletzt.
Zwar ist die Bank grundsätzlich zur Aufklärung über das allgemeine Emittentenrisiko verpflichtet, das der Anleger bei solchen Zertifikaten eingeht – und zu tragen hat. Sie muss also darüber aufklären, dass die Rückzahlung des angelegten Kapitals von der Zahlungsfähigkeit des Emittenten abhängt. In den entschiedenen Fällen hatte das Berufungsgericht allerdings festgestellt, dass hierüber aufgeklärt wurde. Es gab also keine Aufklärungspflichtverletzung, so der XI. Zivilsenat.
Ein darüber hinausgehendes konkretes Insolvenzrisiko der niederländischen Lehman Brothers Treasury Co. B.V. oder ihrer amerikanischen Garantin sei aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zum Zeitpunkt des jeweiligen Beratungsgesprächs nicht erkennbar gewesen. Auch die Geschädigten hätten nichts anderes behauptet, führte der Vorsitzende Wiechers in der mündlichen Urteilsbegründung aus. Folglich habe dazu auch keine Aufklärung erfolgen müssen.
… und konkreten Gefahren und Gewinnerzielungsabsichten von Banken
Nach Ansicht des BGH musste die Bank auch nicht gesondert darüber belehren, dass die Zertifikate keinem Einlagensicherungssystem unterfielen. Diese Information habe keine eigenständige Bedeutung.
Der Senat verneint auch eine Aufklärungspflicht der beklagten Bank über die von ihr mit dem Verkauf der Zertifikate erzielte Gewinnmarge. Vor dem Hintergrund seiner bisherigen Rechtsprechung ist das nur konsequent. Ein Kreditinstitut, das eigene Anlageprodukte empfiehlt, ist nach Ansicht des BGH grundsätzlich nicht verpflichtet, darüber aufzuklären, dass sie mit diesen Produkten Gewinne erzielt. Es sei für den Kunden offensichtlich, dass die Bank eigene Interessen verfolge, so dass darauf nicht gesondert hingewiesen werden müsse, so die ständige Rechtsprechung der Karlsruher Richter.
Auch wenn, wie im entschiedenen Fall der Lehman-Geschädigten, fremde Anlageprodukte von der Bank selbst erworben und dann zu einem über dem Einkaufspreis der Bank liegenden Preis an den Anleger veräußert werden, soll nichts anders gelten.
Optimierungsbedürftig: Die Offenlegung von Eigeninteressen beim BGH
Auf die Urteilsgründe darf man gespannt sein. In sich stimmig ist die Rechtsprechung des BGH zur Offenlegung von Eigeninteressen insgesamt nicht – gleichgültig, ob aus Sicht der Anleger oder ihrer Geschäftspartner.
So soll eine Bank einerseits verpflichtet sein, Rückvergütungen und versteckte Innenprovisionen offen zu legen, weil dem Anleger bei seinem Kreditinstitut anders als bei freien Anlageberatern nicht bewusst sei, dass sie auch eigene finanzielle Interessen verfolgen.
Andererseits soll diese Pflicht bei Eigengeschäften der Bank nicht bestehen und die Bankhäuser sollen auch nicht darüber aufklären müssen, ob ein Eigengeschäft vorliegt oder nicht. Man mag diese Differenzierungen juristisch begründen können.
Aber sie sind sehr umstritten. Der Rechtspraxis und dem Verständnis der Betroffenen dienlicher wäre sicherlich ein schlüssiges Konzept zum Bestehen beziehungsweise Nichtbestehen von Aufklärungspflichten, das nicht bloß von der zufällig gewählten Gestaltung abhängt.
Entwarnung für die Banken oder noch Hoffnung für andere Anleger?
Allein beim BGH sind derzeit 40 weitere Verfahren anhängig. Die Gesamtanzahl betroffener Anleger legt nahe, dass noch zahlreiche weitere Prozesse in den unteren Instanzen laufen. Welche Auswirkungen haben die Entscheidungen, denen der Vorsitzende Wiechers "eine gewisse Pilotfunktion" zubilligte?
In Prozessen wegen fehlerhafter Anlageberatung ist immer Vorsicht geboten, wenn es um die Übertragbarkeit auf Parallelverfahren geht, weil die zugrunde liegenden Sachverhalte oft in entscheidenden Details voneinander abweichen.
In den Lehman-Fällen wird das vor allem die Frage sein, ob die Bank den Geschädigten über das allgemeine Emittentenrisiko aufgeklärt hat. Anders als in den vom BGH entschiedenen Fällen kann die Sache auch dann ausgehen, wenn es sich nicht um ein Eigengeschäft der Bank handelt, sondern diese nur als Vermittlerin eines so genannten Kommissionsgeschäfts auftritt. Und schließlich wird es darauf ankommen, wann der Anleger die betroffenen Wertpapiere erworben hat. Seit wann nämlich eine Insolvenz großer US-Banken nicht mehr bloß ins Reich der Theorie gehörte, ist auch mit den ersten Urteilen aus Karlsruhe noch nicht geklärt.
Alexander Knauss ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Partner der überörtlichen Sozietät MEYER-KÖRING Rechtsanwälte Steuerberater am Standort Bonn.
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Alexander Knauss, Erste Lehman-Anleger scheitern: . In: Legal Tribune Online, 28.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4412 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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