Nach dem illegalen Vertrieb auch schadhafter Arzneimittel kommt ein neues Gesetz. Neben Neuregelungen zur Arzneimittelüberwachung sind darin auch Regressansprüche der Krankenkasse bei Rückrufen vorgesehen, erklärt Nikolas Gregor.
In den vergangenen Jahren machten mehrere Arzneimittelskandale Schlagzeilen. Häufig ging es um gefälschte, illegal importierte oder mangelhafte Arzneimittel, die nicht über den Schwarzmarkt, sondern auf dem scheinbar zuverlässigen Weg über Apotheken zum Patienten gelangten. Besondere Aufmerksamkeit erregte 2018 der Fall um den in Brandenburg ansässigen Händler Lunapharm, der mutmaßlich in griechischen Krankenhäusern gestohlene und illegal nach Deutschland importierte Krebsarzneimittel vertrieben haben soll. Im gleichen Jahr riefen die Aufsichtsbehörden mehrere Arzneimittel mit dem blutdrucksenkenden Wirkstoff Valsartan zurück, der von einem chinesischen Zulieferer vertrieben worden und durch einen mutmaßlich krebserregenden Stoff verunreinigt war. Und ebenfalls im vergangenen Jahr verurteilte das Landgericht Essen einen Apotheker, der Krebsarzneimittel bewusst mit zu wenig Wirkstoff hergestellt und abgegeben hatte.
In unmittelbarer Reaktion auf diese Fälle hat das Bundeskabinett Ende Januar den "Gesetzentwurf für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung" verabschiedet, mit dem unter anderem die Vorschriften zur Arzneimittelüberwachung verschärft und Maßnahmen und Haftungsfragen bei Qualitätsproblemen und Fälschungsfällen neu geregelt werden sollen. Die Zustimmung durch Bundestag und Bundesrat steht noch aus.
Ausweitung der Überwachung
Das umfangreiche Gesetz sieht zahlreiche Neuregelungen im Arzneimittel- und Sozialrecht vor, die mit der eigentlichen Versorgungssicherheit wenig zu tun haben. Um nur einige zu nennen: Bis 2020 soll das elektronische Rezept eigeführt werden. Das Verbot, verschreibungspflichtige Arzneimittel abzugeben, wenn diese im Wege der Fernbehandlung verordnet wurden, soll entfallen. Die Verschreibung von Cannabis-haltigen Arzneimitteln wird erleichtert. Zudem werden Neuregelungen zur Bewertung von sogenannten "Orphan Drugs", also Arzneimitteln, mit denen seltene Leiden behandelt werden, eingeführt: Diese können zusätzlichen Überprüfungen unterzogen werden, um von der Krankenkasse erstattet zu werden.
Herzstück der Reform aber dürften – jedenfalls aus Sicht des Bundesgesundheitsministers – Änderungen im Arzneimittelgesetz sein, mit denen eine effektivere Überwachung erreicht werden soll. So ist vorgesehen, Kompetenzen auf Bundesebene – also des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) – im Verhältnis zu den Landesbehörden zu stärken. Die Möglichkeiten der Bundesbehörden, bei Qualitätsmängeln, bei einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis (wenn also die gesundheitlichen Risiken eines Arzneimittels seinen Nutzen überwiegen) oder bei dem begründeten Verdacht einer Arzneimittelfälschung unmittelbar selbst einen Rückruf anzuordnen, werden erweitert und das unabhängig davon, ob es sich um ein in Deutschland oder auf EU-Ebene zugelassenes Arzneimittel handelt.
Erhöhung der Kontrolldichte
Alle mit der Arzneimittelüberwachung betraute Behörden müssen sich zukünftig über Rückrufe und andere Maßnahmen bei Qualitätsmängeln informieren, wobei die Bundesoberbehörden eine zentrale Koordinierungsfunktion übernehmen. Zudem müssen die Landesbehörden den Bund über Inspektionen bei Herstellern außerhalb der EU informieren, damit Mitarbeiter der Bundesbehörden an diesen Inspektionen teilnehmen können.
Daneben wird die Kontrolldichte erhöht. So wird klargestellt, dass unangemeldete Inspektionen insbesondere bei dem Verdacht auf Fälschungen und schwerwiegende Qualitätsmängel möglich sind und dass Apotheken, die Arzneimittel herstellen, ebenfalls unangemeldet und im Übrigen in einem Zweijahresrhythmus inspiziert werden sollen. Name und Anschrift von Wirkstoffherstellern, die von Pharmaunternehmen beauftragt werden, werden zukünftig vom BfArM veröffentlicht.
Schließung angeblicher Regresslücke
Aus rechtlicher Sicht besonders interessant sind die Neuregelungen zu Regressansprüchen der gesetzlichen Krankenkassen in § 131a Sozialgesetzbuch (SGB) V, wenn mangelhafte Arzneimittel an Patienten abgegeben werden: Gewährleistungsansprüche des Apothekers gegen seinen Lieferanten (Großhändler oder Hersteller) aus § 437 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sollen per Legalzession auf die Krankenkasse übergehen, wenn ein abgegebenes Arzneimittel mangelhaft ist und aus diesem Grund ein Arzneimittelrückruf durchgeführt wird oder die Verwendbarkeit des Arzneimittels durch behördliche Anordnung eingeschränkt wird.
Dies hat folgenden Hintergrund: Lange Zeit vertrat die Rechtsprechung die Auffassung, die Krankenkasse schließe mit der Apotheke einen Kaufvertrag, indem der Arzt als ihrem Vertreter mit der Ausstellung des Rezepts ein Angebot abgibt, das der Patient als Bote der Apotheke überbringt. Diese Konstruktion hat das Bundessozialgericht (BSG) im Jahr 2009 (Urt. v. 17.12.2009, Az.: B 3 KR 13/08 R) ausdrücklich aufgegeben. Das Rechtsverhältnis zwischen Apotheker und Krankenkasse beruhe ausschließlich auf den öffentlich-rechtlichen Rechtsgrundlagen des Sozialrechts.
Daraus ergibt sich nach Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums eine "Regresslücke": Wenn ein Arzneimittel einen Mangel hat, etwa weil der Wirkstoff verunreinigt ist, das Haltbarkeitsdatum abgelaufen oder das Produkt gar gefälscht ist – kann der Patient als Vertragspartner der Apotheke Nacherfüllung verlangen. Die Apotheke hat ihm ein mangelfreies Arzneimittel auszuhändigen. Die Kosten hierfür trägt die Krankenkasse, die allerdings mangels Kaufvertrag keinen Regressanspruch hat. Der Apotheker hingegen könnte Rückgriff bei seinem Lieferanten nehmen, hat aber wegen der Kostendeckung durch die Kasse keinen Schaden.
Eigener Anspruch der Krankenkasse
Dieses (vermeintliche) Problem soll nun dadurch gelöst werden, dass die Krankenkasse zukünftig eigene Gewährleistungsansprüche gegen den Lieferanten des Apothekers erhält. Die Durchsetzung dieser Ansprüche soll nicht einmal einer vorherigen Fristsetzung bedürfen. Die Einzelheiten des Regresses sollen zwischen den Pharmaunternehmen und dem GKV-Spitzenverband in einem Vertrag geregelt werden, wobei auch Pauschalbeträge vereinbart werden können. Schließlich wird klargestellt, dass der Patient keine zweite Zuzahlung leisten muss, wenn er wegen eines Rückrufs sein Medikament erneut kaufen muss.
Die Regelung im Regierungsentwurf behebt viele Mängel des ursprünglichen Vorschlags im Referentenentwurf. Dieser hatte noch einen originären, verschuldensunabhängigen Direktanspruch der Kassen vorgesehen, der immer dann greifen sollte, wenn ein Arzneimittel zurückgerufen wird, und zwar unabhängig vom eigentlichen Rückrufgrund. Der Anspruch richtete sich zudem allein gegen pharmazeutische Unternehmer (in der Regel der Zulassungsinhaber), obwohl der Produktmangel ja auch durch andere Beteiligte, etwa den Großhändler, verursacht worden sein kann.
Der jetzige Entwurf federt diese Bedenken durch eine Legalzession der Gewährleistungsansprüche weitgehend ab. Es fragt sich allerdings, ob es überhaupt eine Neuregelung gebraucht hätte: Aus dem vom BSG festgestellten öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis könnten sich ohnehin Erstattungsansprüche der Kasse gegen den Apotheker ergeben.
Die geplanten Regelungen bei der Arzneimittelkontrolle sind dagegen zu begrüßen. Die Änderungen sind hier insgesamt recht maßvoll und setzen an der richtigen Stelle an, um die Überwachung effektiver zu machen. Eine stärkere Konzentration der Kompetenzen auf Bundesebene dürfte allerdings verpuffen, wenn nicht auch die nötigen finanziellen und vor allem personellen Ressourcen bereitgestellt werden.
Dr. Nikolas Gregor ist Partner im Hamburger Büro von CMS und berät im Bereich Intellectual Property unter anderem zu wettbewerbsrechtlichen und regulatorischen Fragen im Arzneimittel-, Lebensmittel- und Kosmetikrecht sowie Heilmittelwerberecht.
Reaktion auf Arzneimittel-Skandale: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33909 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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