Das Infektionsschutzgesetz sieht beim Schließen ganzer Branchen keinen Schadensersatz vor. Anwälte wollen deshalb klagen. Auch der Gesetzgeber könnte helfen, regt sich bisher aber nicht. Christian Rath gibt einen Überblick.
Im Zuge der Corona-Bekämpfung mussten ganze Branchen schließen, vom Einzelhandel über die Gastronomie bis hin zu Massagesalons. Es gibt zwar staatliche Hilfen, bisher aber keinen Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls. Diese Lücke könnte nun auf zwei Wegen geschlossen werden. Zum einen könnten Gerichte einen ungeschriebenen Anspruch bejahen. Oder der Gesetzgeber schließt die Lücke explizit. Im Moment ist aber beides nicht sehr wahrscheinlich.
Der Shutdown großer Teile des öffentlichen Lebens wurde durch Verordnungen der jeweiligen Landesregierung angeordnet. Diese stützten sich auf § 28 iVm. § 32 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Danach treffen die Behörden die "notwendigen Schutzmaßnahmen" - "soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist."
Immer wieder wurde kritisiert, dass die Rechtsgrundlage zu vage sei, um Maßnahmen mit derart weitgehenden wirtschaftlichen Auswirkungen anzuordnen. Bei Erlass des IfSG habe der Gesetzgeber nicht an die Schließung ganzer Wirtschaftszweige gedacht. Klagen, die sich direkt gegen den Shutdown wendeten, hatten bisher jedoch keinen Erfolg. Soweit Unternehmer erfolgreich gegen die Schließung ihres Betriebs klagten, ging es um Gleichbehandlung, etwa bei der Unterscheidung von Händlern mit mehr und mit weniger als 800 Quadratmetern Verkaufsfläche.
Ganze Branchen dicht: Keine Entschädigung nach § 56 IfSG
Wenn also davon auszugehen ist, dass die Shutdown-Anordnungen legal waren, könnte für die Betroffenen dennoch eine Entschädigung fällig werden. Die entsprechenden Entschädigungsregeln des IfSG finden sich in dessen § 56.
Allerdings sind diese auf wenige Fälle beschränkt. So wird der Verdienstausfall nur ersetzt, wenn jemand als Infizierter oder Ansteckungsverdächtiger nicht arbeiten kann, weil er in Quarantäne muss oder ein Tätigkeitsverbot erhält. Das heißt, wenn der Koch an Covid-19 erkrankt oder der Friseur vom Gesundheitsamt wegen enger Kontakte zu Erkrankten nach Hause geschickt wird, dann zahlt der Staat ihren Lohn bzw. ihren Unternehmerlohn. Nach sechs Wochen sinkt allerdings die Höhe der Leistung auf das Niveau von Krankengeld (70 Prozent des Nettolohnes).
Ende März wurde eine zusätzliche Entschädigungsregelung in § 56 Abs. 1a IfSG eingeführt. Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 67 Prozent des Verdienstausfalls haben nun auch Eltern, die zu Hause bleiben müssen, weil der Staat Kitas und Schulen geschlossen hat. Der Bundestag hat am Donnerstag der vorigen Woche beschlossen, die auf sechs Wochen begrenzte Leistung auf zehn Wochen je Elternteil und auf 20 Wochen bei Alleinerziehenden zu verlängern.
Das IfSG sieht jedoch keine Entschädigung vor, wenn präventiv ganze Branchen dicht gemacht werden, um Infektionsketten zu unterbrechen. Hier klafft im IfSG nach wie vor eine große Lücke.
Hilfsprogramme gleichen den Verdienstausfall nicht aus
Der Staat versucht deshalb, mit einer Vielzahl von Maßnahmen der Wirtschaft zu helfen. Die wohl wichtigste Leistung ist das Kurzarbeitergeld, das die Unternehmen bei den Lohnkosten entlastet und Entlassungen verhindert. Für Solo-Selbständige und Klein-Unternehmer gibt es ein Soforthilfeprogramm des Bundes, das bis zu 15.000 Euro Zuschuss für drei Monate verspricht. Für größere Unternehmen gibt es KfW-Darlehen, die die Liquidität sichern sollen. Hinzu kommen Landes-Programme in großer Vielfalt.
Dass Darlehen keine Entschädigung sind, liegt auf der Hand. Aber auch die Zuschüsse des Soforthilfeprogramms decken nicht die Höhe des Verdienstausfalls ab, da sie auf die Begleichung von Betriebskosten wie Mieten gerichtet sind. Umsatz- und damit auch Einnahme-Ausfälle werden hingegen nicht erfasst.
Einzelne Landesprogramme, etwa in Berlin und Baden-Württemberg, ersetzen in unterschiedlicher Größenordnung und Dauer auch den Unternehmerlohn. Die Leistungen sind aber stets zeitlich und in der Höhe gedeckelt und korrelieren damit nicht mit dem real existierenden Verdienstausfall.
Die Hilfsprogramme bieten auch keinen Rechtsanspruch. Vielmehr stehen sie unter dem Vorbehalt ausreichender Haushaltsmittel. Nach Ansicht der Bundesregierung sind die Mittel sowohl bei den Kreditprogrammen als auch beim Sofortprogramm ausreichend bemessen. Ein Gegenbeispiel ist jedoch das "Programm zur Förderung unternehmerischen Know-hows", das Unternehmen die Finanzierung eines Beraters versprach, mit dessen Hilfe sie sicher durch die Coronakrise manövrieren können. 33.000 Unternehmen stellten Anträge, doch das Geld reichte nur für die ersten 12.000 Antragsteller, die übrigen gingen leer aus.
Anwälte mobilisieren
Weil er die staatlichen Hilfsleistungen für völlig unzulänglich hält, hat der Offenburger Anwalt Dr. Oliver Schloz eigens dafür eine Webseite eingerichtet. "Wem der Staat zum Schutz der Allgemeinheit untersagt, für sich selbst zu sorgen, hat juristisch und moralisch ein Recht auf Entschädigung", erklärt Schloz. Er sammelt im Moment Interessenten, die ihre Entschädigungsansprüche anmelden wollen. Er argumentiert, dass das IfSG "seiner Logik nach" auch in diesen Fällen Entschädigung gewähren müsse. Hilfsweise will er auch Ansprüche aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff geltend machen. Wenn die Behörden die Ansprüche ablehnen oder gar nicht reagieren, will er mit Betroffenen auf Entschädigung klagen.
Deutlich weiter ist der Berliner Rechtsanwalt Prof. Niko Härting. Er hat schon für rund zweihundert Mandanten Entschädigung beantragt und etwa ein Dutzend Klagen eingereicht. Der frühere Anwalt der Loveparade vertritt vor allem Clubs, Konzertveranstalter, Gaststätten und Einzelhandel. Er beruft sich auf Enteignungsrecht, auf Polizeirecht und auf eine verfassungskonforme Auslegung von § 56 IfSG. Erfolge hat er bisher noch keine erzielt. Er geht davon aus, dass ein langer Atem erforderlich ist - zumal sich Rechtschutzversicherungen bisher noch weigern, derartige Klagen zu unterstützen. Auf seiner Webseite heißt es aber immer noch "Ansprüche jetzt anmelden".
Auch Kanzleien wie etwa ETL Rechtsanwälte, Kümmerlein und Hoppe bieten entsprechende Klagen auf Shutdown-Entschädigungen an.
Bisher einzige Entscheidung: LG Heilbronn bremst Erwartungen
"Die von einigen Anwälten herbeigeredete Klagewelle ist in der aktuellen Situation falsch und ohne Erfolgsaussichten", sagt dagegen Arndt Eversberg vom Prozessfinanzierer Omni Bridgeway. Er verweist auf ein erstes Urteil des Landgerichts (LG) Heilbronn, das Ende April den Eilantrag einer Friseurin auf Entschädigungsleistungen ablehnte.
Das LG Heilbronn sah keine Rechtsgrundlage für eine Entschädigung. Weder sei § 56 IfSG analog anzuwenden (es fehle angesichts der Hilfsprogramme das zwingende Erfordernis für eine Rechtsfortbildung) noch sei das Landespolizeigesetz anwendbar (weil das IfSG abschließend sei). Auch ein enteignender oder enteignungsgleicher Eingriff komme nicht in Frage, weil dieser das Eigentum schütze und nicht die geltend gemachten Erwerbs- und Gewinnaussichten.
Vor allem aber sah das LG keinen Grund für ein Eilverfahren. Die klagende Frau sei gar nicht existenziell bedroht, weil sie vom Bund bereits 9.000 Euro Soforthilfe bekommen habe, fünf ihrer Mitarbeiterinnen Kurzarbeitergeld erhielten und sie außerdem von ihrem Lebensgefährten unterstützt werde.
Soweit ersichtlich ist dies bisher bundesweit die erste und einzige Entscheidung zu Shutdown-Entschädigungen. Anwalt Schloz sieht darin aber keinen negativen Präzedenzfall: "Es ist generell schwierig, Zahlungsansprüche im Wege einstweiliger Verfügung durchzusetzen", sagt er. Allerdings gibt es auch unter Rechtswissenschaftlern bisher nur vereinzelte Stimmen, wie den wissenschaftlichen Mitarbeiter Simon Dörrenbächer, die sich für eine analoge Anwendung von § 56 IfSG aussprechen.
Immerhin hat der Bundestag nun etwas den Zeitdruck reduziert. Bisher mussten auf § 56 IfSG gestützte Entschädigungsanträge binnen drei Monaten gestellt werden, nach einer Neuregelung des § 56 Abs 11 IfSG im Mai sind nun zwölf Monate zugestanden. Sollte eine analoge Anwendung von § 56 IfSG auf Entschädigungen für Betriebsschließungen möglich sein, müsste dies auch für diese Frist gelten.
Der Gesetzgeber könnte die Lücke schließen, regt sich aber nicht
Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hält die Lücken bei den Entschädigungen zwar für verfassungswidrig. Er sieht jedoch eher die Politik in der Pflicht als die Gerichte. "Hier hat der Gesetzgeber nachzubessern", sagte er in einem Interview, "Hilfsprogramme ohne Rechtsanspruch genügen nicht."
Auf Seiten der Bundesregierung gibt es aber noch keine Initiativen in diese Richtung. Das federführende Gesundheitministerium von Jens Spahn (CDU) betont stattdessen die "zahlreichen Maßnahmen", mit denen Arbeitsplätze und Unternehmen gestützt werden. Auch das Wirtschaftsinisterium von Peter Altmaier (CDU) verweist nur auf die Zuständigkeit von Jens Spahn für das IfSG.
In der mitregierenden SPD hat sich Johannes Fechner, der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, für eine Ergänzung von § 56 IfSG stark gemacht. Er glaubt, dass mit konkreten Entschädigungen sogar zielgenauer geholfen werden kann als mit den aktuellen Regierungsprogrammen. Er konnte sich in der Partei aber nicht durchsetzen. Insbesondere Landespolitiker waren wegen der unabsehbaren Kosten skeptisch. Kein Wunder, denn es wären wohl die Länder, die die Entschädigungen zahlen müssten. Fechner hofft nun auf die für April 2021 geplante Evaluierung des IfSG. Dabei ginge es dann aber um Änderungen mit Wirkung für die Zukunft, nicht für die aktuelle Coronakrise.
Einen konkreten Formulierungsvorschlag gibt es bisher nur von der IHK Leipzig. Sie hat ihn Anfang Mai in einer Anhörung des Bundestags präsentiert. Danach sollen auch Selbständige und Unternehmen jeglicher Rechtsform ihren Verdienstausfall geltend machen können, wenn sie von Maßnahmen der Infektionsbekämpfung "in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit beeinträchtigt werden". Bisher hat aber keine Fraktion den Vorschlag aufgenommen.
Corona-Betriebsschließungen: . In: Legal Tribune Online, 02.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41778 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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