Am weiß-blauen Himmel sind Wolken aufgezogen: Die Stadt München hat sich für die olympischen Winterspiele 2018 beworben, aber widerspenstige Landwirte der Region wollen eine Olympiade auf ihrem Grund und Boden verhindern. Nun wird über eine Enteignung spekuliert. Ob der Schutz des Privateigentums vor der Olympia-Gewinn-Maschinerie bestehen kann, erläutert Dr. Hartmut Fischer.
Bereits im Zuge der anstehenden alpinen Ski-Weltmeisterschaften in Garmisch-Partenkirchen im Februar war ein Enteignungsverfahren gegen einen Eigentümer eingeleitet worden. Der Mann wollte sein Grundstück nicht für den Zielbereich der Kandahar-Abfahrt zur Verfügung stellen. Münchens Oberbürgermeister Christian Ude hatte daraufhin öffentlich erklärt, er habe keine Angst vor einem Prozess.
Mittlweile haben sich die Parteien geeinigt und der Enteignungsantrag wurde zurückgezogen. Allerdings könnte das Problem mit Blick auf die Olympia-Bewerbung Münchens für 2018 wiederbelebt werden. Dafür sprechen die anhaltend wütenden Proteste betroffener Landwirte, die sich gegen die Nutzung ihrer Grundstücke als Austragungsstätten wehren.
Dabei haben die Betroffenen zunächst das Grundgesetz (GG) auf ihrer Seite. Demnach wird das Eigentum gewährleistet, sein Inhalt und seine Schranken werden durch die Gesetze bestimmt (Art. 14). Allerdings steht im GG auch, dass eine Enteignung zulässig ist, sofern sie zum Wohle der Allgemeinheit erfolgt und eine gesetzliche Grundlage existiert.
BVerfG: Erfüllung einer bestimmten Aufgabe (im öffentlichen Interesse) erforderlich
Was unter dem Allgemeinwohlerfordernis zu verstehen ist, beurteilen Politiker und Grundstückseigentümer in der Regel unterschiedlich. Für die einen ist eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit bereits dann erforderlich, wenn ein wichtiges Vorhaben geplant wird, das politisch oder wirtschaftlich sinnvoll oder nützlich ist. Für die anderen muss mehr hinzukommen.
Diese Fraktion kann sich auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) berufen. Es ist der Ansicht, dass eine Enteignung und das damit verbundene Sonderopfer des Einzelnen nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Entzug bzw. Teilentzug eines Eigentums zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe im öffentlichen Interesse erforderlich ist.
In der so genannten Boxberg-Entscheidung vom 24. März 1987 (Az. 1 BvR 1046/85) hat das höchste deutsche Gericht allerdings festgehalten, dass die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen in einem strukturschwachen Gebiet Gründe des Gemeinwohls darstellen können. Im konkreten Fall hat es im Ergebnis jedoch eine Enteignung zugunsten einer Teststrecke für einen Autohersteller als unzulässig angesehen.
Fortdauernde Gemeinnützigkeit des Eigentumsentzugs muss gewährleistet sein
Unzulässig sind grundsätzlich Enteignungen zum Vorteil bloßer Privatinteressen. Damit ist aber nicht jede Enteignung zugunsten privatrechtlich organisierter Unternehmen ausgeschlossen. In der Boxberg-Entscheidung hat das BVerfG betont, dass die Person des Begünstigten keine ausschlaggebende Bedeutung bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer Enteignung hat. Vielmehr kommt es auf den Enteignungszweck an.
Die Enteignung hat historisch gesehen ihre wesentlichen Anwendungen bei der Landbeschaffung für den Eisenbahnbau. Eisenbahnen wurden aber zunächst von privaten Gesellschaften gebaut und betrieben. Sie waren also die wichtigsten Enteignungsbegünstigten. Ist der Geschäftsgegenstand Teil der sogenannten Daseinsvorsorge wie zum Beispiel Strom, Wasser oder Verkehr, darf auch für private Verkehrs- oder Versorgungsbetriebe enteignet werden.
Die wirtschaftliche Bedeutung eines Unternehmens für die Gesellschaft, seine Größe oder seine Bedeutung allein rechtfertigen demgegenüber noch keine Enteignung zu ihren Gunsten. Die Enteignung ist grundsätzlich kein taugliches Instrument, um einzelne private Unternehmen zulasten anderer Privater zu fördern. Es reicht also noch nicht aus, mit der Enteignung ein bloßes öffentliches Interesse zu verfolgen, etwa durch die Veranstaltung von Sportwettkämpfen.
Vielmehr müssen die berührten öffentlichen Interessen zusammengestellt, bilanziert und abgewogen werden. Ein besonders gewichtiges, dringendes öffentliches Interesse muss die Enteignung erfordern. Eine fortdauernde Gemeinnützigkeit des Eigentumsentzugs - so fordert das BVerfG zu Recht - muss gesichert sein. Mit der Enteignung zugunsten Privater werden diese Privaten öffentliche Aufgabenerlediger.
Skiabfahrten für Olympia dienen nicht der "öffentlichen Erholung"
Das Olympische Komitee ist weder Staat noch Teil davon. Es ist ein Unternehmen, das die olympische Idee verfolgt, letztlich aber auf Gewinn ausgerichtet ist. Tausende von Zuschauern an der Piste oder vor dem Fernseher wollen sich an den Olympischen Spielen vorrangig vergnügen. Das ist nicht mit öffentlichen Interessen wie dem Bau von Eisenbahnstrecken, der Errichtung von Straßen oder dem Verlegen von Strom- und Gasleitungen vergleichbar.
Es ähnelt eher dem Sachverhalt, über den das BVerfG in der Boxberg-Entscheidung urteilen musste. Sollen Autos eines privaten Unternehmens zu Testzwecken im Kreis herumfahren, stehen die wirtschaflichten Interessen des Unternehmens im Vordergrund. Gleiches gilt für Sportler, die bei Olympia mit Höchstgeschwindigkeit den Berg herabsausen. Sie tun dies zu ihrem eignen Ruhm und dem sportlichen Ruhm ihres jeweiligen Landes, aber nicht für unser Allgemeinwohl. Ein Privater muss seinen Grund und Boden dafür nicht gegen seinen Willen hergeben.
Wegbereiter der Winter-Olympiade werden ihr Heil in einer bayerischen Regelung suchen. Nach Artikel 35 des bayerischen Naturschutzgesetzes kann zugunsten des Freistaates Bayern, der Bezirke, Landkreise, Gemeinden und der kommunalen Zweckverbände unter anderem für Skiwanderungen und Loipen enteignet werden. Voraussetzung ist aber, dass sich die Begünstigten den Belangen des Naturschutzes, der Landschaftspflege und der öffentlichen Erholung widmen.
Erholsam mag eine Winter-Olympiade sein, wenn sich der Betrachter beim Anblick der rasenden Sportler vom Alltagsstress ablenken kann. Eine öffentliche Erholung, die Pflege des Naturschutzes und der Landschaft, für die Zugänge zu Bergen, Gewässern oder sonstigen landwirtschaftlichen Schönheiten enteignet werden können, ist damit aber sicher nicht verbunden. Skiabfahrten einer nur wenige Wochen dauernden Olympiade dienen weder dem Naturschutz noch der Landschaftspflege und ebenso wenig der dauerhaften öffentlichen Erholung.
Gerichtsverfahren könnten sich über Jahre hinziehen
Das für die alpine Ski-Weltmeisterschaft bereits eingeleitete Enteignungsverfahren hatte einen besonderen Enteignungsantrag bei der zuständigen Verwaltungsbehörde erforderlich gemacht. Hierfür waren konkrete Pläne über das Ausmaß der geplanten Eigentumsentziehung ebenso zu fertigen wie die Erforderlichkeit der Enteignung für das Allgemeinwohl darzulegen. Ferner mussten die Bemühungen um einen freiwilligen Erwerb des Grundstücks zu einem angemessenen Preis nachgewiesen werden.
Wäre der Antrag nach der Einigung nicht zurückgezogen worden, hätte der Enteignungskommissar zunächst die Betroffenen anhören und anschließend aufgrund der mündlichen Verhandlung entscheiden müssen. Mit diesem Akt wird aber nur das Enteignungsverfahren bei der Enteignungsbehörde beendet. Die Grundstückseigentümer können darauf mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Justiz bemühen.
Enstprechende Verfahren können Monate oder gar Jahre dauern. Letztlich kann auch das BVerfG angerufen werden. Sollte Karlsruhe über mögliche Enteignungen im Zuge des Olympia-Zuschlags für München entscheiden müssen, wird die Zeit knapp.
Erfolg eines Antrags auf vorzeitige Besitzeinweisung ist mehr als zweifelhaft
Um eine schnellere - wenn auch nur vorübergehende - Lösung zu erreichen, könnte der bayerische Staat versuchen, vorläufig den Besitz an dem Grundstück zu erlangen. Hierfür muss ein Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung gestellt werden und eine gesonderte Entscheidung in einer Art Eilverfahren getroffen werden. In der Vergangenheit konnte so der Bau von Eisenbahntrassen, Autobahnen oder Elektrizitätsleitungen sichergestellt werden. Ob dies auch für die Winter-Olympiade 2018 möglich wäre, ist mehr als zweifelhaft.
Auch wenn im Ergebnis eine Enteignung zugunsten Privater oft erwogen wird, ist diese aber wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes des Eigentums selten erfolgreich. Hier müssen bessere Ideen her, für die das Planungsrecht auch adäquate Instrumente zur Verfügung stellt.
Im Fall München wird nach Angaben von Oberbürgermeister Ude die endgültige Entscheidung über mögliche Enteignungen erst Anfang Februar fallen. Schon jetzt steht aber fest: Sollten die Olympia-Befürworter entsprechende Verfahren einleiten und eine vorzeitige Besitzeinweisung versuchen wollen, werden sie den Schutz des Eigentums zu spüren bekommen. Dieser hat schon vielen hoheitlichen Ideen Stand gehalten.
Dr. Hartmut Fischer ist als Fachanwalt für Verwaltungsrecht regelmäßig mit Planungs- und Enteignungsverfahren befasst. Ferner ist er Autor zahlreicher Veröffentlichungen auf diesem Gebiet.
Hartmut Fischer, Drohende Enteignung: . In: Legal Tribune Online, 24.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2391 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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