Das Justizministerium plant eine Ausweitung der DNA-Analyse, mit der auch die Farbe von Augen, Haaren und Haut sowie das Alter bestimmt werden könnten. Warum die darin gesetzten Erwartungen aber wohl enttäuscht werden, erklärt Mark A. Zöller.
Seit mehr als zweieinhalb Jahren wird in Deutschland – häufig unter dem Anglizismus "DNA-Phenotyping" – über eine Ausweitung der strafprozessualen DNA-Analyse diskutiert. Eine entsprechende Bundesratsinitiative von Baden-Württemberg und Bayern aus dem Jahr 2017 ist damals am Widerstand mehrerer Bundesländer mit Regierungsbeteiligungen von SPD und Grünen gescheitert. Nun hat das Bundesjustizministerium (BMJV) einen neuen Anlauf unternommen, auch um die Vorgaben des aktuellen Koalitionsvertrags von Union und SPD umzusetzen, in dem es heißt: "Die DNA-Analyse wird im Strafverfahren auf äußerliche Merkmale (Haar, Augen, Hautfarbe) sowie Alter ausgeweitet (§ 81e StPO)."
Ausgangspunkt der rechtspolitischen Debatte war die Vergewaltigung und Ermordung der Freiburger Medizinstudentin Maria L. im Jahr 2016. Dieser Fall taugte aber denkbar schlecht als Beispiel für die Notwendigkeit einer erweiterten DNA-Analyse. Denn bei genauer Betrachtung zeigt er eher die Grenzen ihrer Möglichkeiten auf.
Zwar hatte man am Tatort DNA sichergestellt. Allerdings führte ein Abgleich mit der beim Bundeskriminalamt geführten DNA-Analysedatei zu keinem Treffer, weil der Täter dort schlicht nicht gespeichert war. Stattdessen konnte man den Tatverdächtigen ermitteln, weil man am Tatort ein zur Hälfte blondiertes Haar gefunden hatte, das ihm mithilfe einer Videoaufzeichnung aus der Straßenbahn zugeordnet werden konnte. Wenn überhaupt, dann ist der Freiburger Fall also kein Plädoyer für mehr DNA-Analyse, sondern für mehr Videoüberwachung. Zudem ist der Täter im März 2018 vom Landgericht Freiburg wegen Mordes und besonders schwerer Vergewaltigung rechtskräftig zu lebenslanger Freiheitsstrafe und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Dass der Rechtsstaat den Herausforderungen solcher Fälle ohne DNA-Phänotypisierung hilflos ausgeliefert wäre, lässt sich somit kaum ernstlich behaupten.
DNA-Phantombild bleibt Science-Fiction
Wichtig ist auch, sich klar zu machen, worum es bei einer erweiterten DNA-Analyse eigentlich geht. Entgegen vereinzelt noch immer anzutreffender Fehlvorstellungen kann man durch molekularbiologische Untersuchungen aus Zellmaterial des menschlichen Körpers nach heutigem Stand der naturwissenschaftlichen Forschung kein „genetisches Phantombild“ erstellen. Und alle seriösen forensischen Molekularbiologen betonen, dass es auch in den nächsten Jahrzehnten nicht möglich sein wird, aus am Tatort aufgefundenem Blut, Sperma oder sonstigem Zellmaterial dem unbekannten Spurenleger ein konkretes Gesicht für ein mögliches Fahndungsfoto zu verleihen. Stattdessen geht es beim DNA-Phenotyping immer nur um statistische Wahrscheinlichkeiten für das Vorliegen bestimmter Merkmale.
Die hierzu kursierenden Angaben sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. So sollen die Augenfarben blau oder braun mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 bis 95 Prozent prognostiziert werden können. Gerade in Europa weisen aber viele Menschen eine gemischte Augenfarbe auf. Bei solchen Mischfarben ist die Genauigkeit der Vorhersage deutlich geringer. Ähnliche Probleme stellen sich bei der Haarfarbe. So kann blondes Haar zwar mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent und schwarzes Haar mit einer Wahrscheinlichkeit von 87 Prozent festgestellt werden. Allerdings bezieht sich dies auf die Haarfarbe im Jugendalter, die sich nicht nur – wie im Freiburger Fall Maria L. – durch Haarfärbemittel, sondern auch durch Krankheiten, vor allem aber durch Alterung verändern kann. Den größten ermittlungstaktischen Nutzen dürfte noch die Bestimmung des Alters bieten, das zumindest bei Personen zwischen 20 und 60 Jahren derzeit auf drei bis fünf Jahre genau prognostiziert werden kann.
Allerdings gehen alle in den Medien kursierenden Wahrscheinlichkeitsangaben vom Idealfall einer in ausreichender Menge vorhandenen Einzelspur aus. An ihre Grenzen stoßen auch modernste Analysemethoden in den Fällen, in denen keine vollständigen DNA-Sätze (sog. degenerierte Proben) oder die DNA mehrerer Menschen (sog. kontaminierte Proben oder Mischspuren) in einer Probe auftauchen. Und schließlich fehlt es an vielen Tatorten rein faktisch an einer ausreichenden Menge von analysefähigem Zellmaterial, etwa bei der Analyse von Hautabriebspuren am Griff einer Schusswaffe oder eines Messers. Hier reicht die sichergestellte Menge an Zellmaterial häufig gerade einmal für die Bestimmung des sog. DNA-Fingerabdrucks aus. Der ermittlungstaktische Nutzen einer erweiterten DNA-Analyse dürfte daher stark überschätzt werden. Viel mehr als eine erste Priorisierung beim Einsatz von Personal- und Sachressourcen wird sie meist gar nicht leisten können.
Eingriff in informationelles Selbstbestimmungsrecht
Von all diesen praktischen Problemen findet sich im aktuellen Referentenentwurf aber nichts. Im Wesentlichen beschränkt er sich darauf, in einem neu gestalteten § 81a Abs. 1 S. 2 Strafprozessordnung (StPO) in Bezug auf unbekannte Spurenleger über die schon bislang mögliche Bestimmung von Abstammung und Geschlecht hinaus auch Feststellungen über "die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das biologische Alter der Person" zuzulassen. Doch das greift zu kurz.
Zwar gehen die Entwurfsverfasser zu Recht davon aus, dass damit nicht der durch die Menschenwürdegarantie dem Gesetzgeber von vornherein entzogene Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen ist. Schließlich geht es hier um für jedermann äußerlich ohnehin sichtbare Merkmale und nicht um Informationen über Erbanlagen, genetische Anomalien, Charaktereigenschaften, Krankheitsanlagen oder sonstige Persönlichkeitsmerkmale.
Allerdings handelt es sich bei der Analyse von Merkmalen wie Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie Alter im Auftrag staatlicher Stellen stets um Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nicht entscheidend ist dabei, ob solche Informationen durch Untersuchung des codierenden Teils der DNA, der den Code für die Herstellung von Proteinen enthält, oder des nicht codierenden Bereichs gewonnen werden. Diese früher auch für Juristen maßgebliche Unterscheidung ist überholt, weil sich sensible Informationen, beispielsweise über das Vorliegen von Erbkrankheiten, heute auch durch Analyse des nicht codierenden Teils der DNA gewinnen lassen.
Im Übrigen ist auch bei (noch) unbekannten Spurenlegern von einem Grundrechtseingriff auszugehen, weil die DNA-Analyse gerade dazu dient, den Personenbezug zwischen Spur und Täter herzustellen. Wer aber die Intensität der Grundrechtseingriffe durch zusätzliche gesetzliche Möglichkeiten erhöht, muss hierfür auch Ausgleichsmaßnahmen vorsehen, damit diese verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt bleiben.
Keine Maßnahme für Fahrraddiebstähle
Der Gesetzgeber wäre daher im weiteren parlamentarischen Prozess gut beraten, solche Maßnahmen auf die Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung zu beschränken, wie Kapital- und Sexualdelikte, Raubstraftaten und sonstige schwere Eigentumsdelikte. Eine erweiterte DNA-Analyse kann – auch mangels bestehender Kapazitäten in den rechtsmedizinischen Laboren – keine verhältnismäßige Maßnahme zur Aufklärung von Bagatellkriminalität wie Laden- und Fahrraddiebstählen sein.
Sie sollte zudem durch eine Subsidiaritätsklausel auf Fallkonstellationen beschränkt werden, in denen nicht schon mithilfe des sog. genetischen Fingerabdrucks, also des jedem Menschen eigenen DNA-Identifizierungsmusters, ein konkreter Verdacht gegen eine Person bestätigt werden kann bzw. ein Abgleich mit der DNA-Analysedatei weiterführt. Zudem sollte man zur früheren Rechtslage zurückkehren, nach der die Untersuchung von Zellmaterial unbekannter Spurenleger dem Richtervorbehalt in § 81f StPO unterstellt war. Ohne solche rechtsstaatlichen Sicherungen würde die sensible Balance zwischen individueller Freiheit und kollektiver Sicherheit einseitig zu Gunsten Letzterer verschoben.
Der Autor Professor Dr. Mark A. Zöller lehrt Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Trier.
Pläne zur Ausweitung der DNA-Analyse im Strafverfahren: . In: Legal Tribune Online, 27.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37251 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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