Leyendecker: Ermittler nehmen sich nicht Ernst
"Journalisten sind Leute, die nachher alles vorher gewusst haben", mit diesem Zitat des österreichischen Schriftstellers Karls Kraus leitete Leyendecker sein Eröffnungsstatement ein. Wenn er sich frage, was er selbst gemacht habe? "Nichts. Nichts habe ich gemacht." Die Geschichte hinter den damals so genannten Dönermorden habe ihn einfach nicht interessiert.
Nicht nur der blöde Verfassungsschutz und seine V-Leute seien das Problem gewesen. Die hätten schon Informationen geliefert. Diese habe aber niemand ausgewertet. Aus Faulheit, Dummheit? Er wisse es nicht. "Es ist schon erstaunlich, in welchem Ausmaß die Polizei fantasielos gewesen ist. Organisierte Kriminalität, PKK, Prostitution, Drogen – das war schon so ziemlich alles, was den Ermittlern damals eingefallen ist." Eine Feststellung, die Högl bestätigte. Sie schlägt vor, bei Straftaten, deren Opfer einen Migrationshintergrund hat, in Zukunft routinemäßig ein fremdenfeindliches Motiv zu überprüfen.
"Handwerklich katastrophal", nannte Leyendecker die Arbeit der Ermittler. "Man hat den Eindruck, die nehmen sich selbst nicht Ernst." Ein Strafverteidiger aus dem Publikum zeigte sich überzeugt, ein Strafrichter der diese Fakten auf dem Tisch liegen hätte, würde von Vorsatz ausgehen. Nicht von Einzelversagen.
IG Keupstraße: Enttäuschung – das Wort ist zu wenig
Gekommen war auch der Vorsitzende der Interessengemeinschaft (IG) Keupstraße, Mitat Özdemir. 2004 wurde die Kölner Keupstraße, ein Zentrum des türkischen Geschäftslebens im rechtsrheinischen Stadtteil Mühlheim, Schauplatz eines Nagelbombenattentats. 22 Menschen wurden verletzt; der Sachschaden war erheblich. Das Attentat reiht sich ein in die unaufgeklärten Taten des NSU.
"Enttäuschung – das Wort ist zu wenig, um auszudrücken, was wir empfinden", sagte Özdemir am Mittwochabend. Nachdem Attentat habe ihn die Angst beschlichen: "Kann ich in diesem Land noch sicher Leben? In einem Land, das nach den 45 Jahren, die ich hier nun lebe, zu einem Stückchen doch auch mir gehört." Heute gelte unter den Gewerbetreibenden in der Keupstraße das Motto: "Still halten – mit keinem sprechen." Selbstschutz. "Ist das noch Demokratie? Für mich nicht."
Ein Jahr nach der Enttarnung des NSU haben die Familien der Opfer rund 900.000 Euro Entschädigung erhalten. Die Gelder stammen aus einem Fonds für die Opfer extremistischer Übergriffe, der nach Bekanntwerden der rechtsextremen Mordserie um eine Million Euro aufgestockt worden war. Angehörige und überlebende Opfer sollten als rasches politisches Signal unbürokratisch eine Pauschale zwischen 5.000 und 10.000 Euro erhalten. Auch die Opfer aus der Keupstraße hätten Geld bekommen, erzählt Özdemir, den die Zahlungen wenig beeindruckten: "Schnelle Hilfe, nach acht Jahren?"
Friedrich: Mehrere Anklagen noch in diesem Jahr
Anklage gegen Zschäpe soll wohl Anfang Februar vor dem Oberlandesgericht München erhoben werden, meldete die Nachrichtenagentur dpa Mitte Oktober unter Berufung auf Informationen aus Sicherheitskreisen. In Bayern seien fünf der zehn Morde, die der Zwickauer Terrorzelle angerechnet werden, verübt worden, hieß es zur Begründung. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft bestätigte dies zwar nicht, man wolle die erste Anklage im NSU-Verfahren aber noch im Herbst fertigstellen.
In der ARD-Sendung "Günther Jauch" sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am vergangenen Sonntag, er erwarte im Fall der NSU-Terrorgruppe mehrere Anklagen. "Ich bin überzeugt, dass die Bundesanwaltschaft noch in diesem Jahr Anklage erheben wird – gegen mehrere Personen. Und dann wird auch Recht und Gerechtigkeit ihren Weg finden."
Spätestens mit dem Ende der Legislaturperiode im kommenden Herbst will der Untersuchungsausschuss im Bundestag seinen Bericht vorlegen. "Wir wollen den Ansatz einer Erklärung und Reformvorschläge liefern", sagte Högl.
Mit Material von dpa.
Claudia Kornmeier, Diskussionsrunde zum NSU und dem Verfassungsschutz: . In: Legal Tribune Online, 01.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7441 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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