Die Geschichte des deutschen Austauschschülers Diren Dede, der von einem Hausbesitzer in Montana für einen Dieb gehalten und erschossen wurde, erschütterte am Mittwoch die Republik. Viel spricht dafür, dass der Schütze wegen Mordes ins Gefängnis muss – denn das US-amerikanische Notwehrrecht ist weit, aber nicht grenzenlos.
Auf den ersten Blick weckt der Fall von Markus Kaarma und Diren Dede unschöne Reminiszenzen an jenen von George Zimmermann und Trayvon Martin, der vor knapp einem Jahr mit einem Freispruch die Weltöffentlichkeit in Aufruhr versetzte. In beiden Fällen waren die Schützen besorgte Bürger, die ihr Grundstück oder ihre Nachbarschaft in Gefahr wähnten, in beiden Fällen erschossen sie ihre noch minderjährigen Opfer aus einem vergleichsweise geringfügigen Anlass heraus, und in beiden Fällen berufen sie sich auf ihr Recht zur Selbstverteidigung, um die Tötung zu rechtfertigen.
Da hören die Gemeinsamkeiten allerdings auch auf. Denn zumindest der Fall von George Zimmermann war bei Weitem nicht so skandalös, wie er in der Öffentlichkeit und in Teilen der Presse gehandelt wurde. Im Gegenteil sprach vieles dafür, dass Zimmermann auch nach deutschem Strafrecht hätte freigesprochen werden müssen.
Das sieht bei Markus Kaarma womöglich anders aus – vorausgesetzt, die bislang öffentlich gewordenen Informationen über den Tathergang sind zutreffend und vollständig. Wie neben vielen anderen etwa die BBC berichtet, sollen Kaarma und seine Lebensgefährtin Janelle Pflager potentiellen Dieben eine regelrechte Falle gestellt haben. Da bei dem Paar in den vergangenen Wochen bereits zweimal eingebrochen worden sei, hätten sie das das Tor zur Garage bewusst offen gelassen und Pflagers Handtasche mit einigen, zuvor katalogisierten Gegenständen dort ausgelegt.
Vier Schüsse in die Dunkelheit
Dank eigens angebrachter Sensoren und Kameras sei Kaarma dann auf Dede aufmerksam geworden. Der genaue anschließende Geschehensablauf ist unklar. Nach einem Schreiben des Staatsanwalts an das Gericht, das eine Aussage von Kaarmas Lebensgefährtin indirekt wiedergibt, soll Kaarma zur Garage gegangen, "hey hey" gerufen und seine Schrotflinte geladen haben. Dede habe darauf aus der dunklen und nicht einsehbaren Garage heraus "hey" oder "wait" gerufen. Kaarma habe aber nicht gewartet, sondern vier Schüsse abgefeuert.
Kaarma selbst bestreitet dem Schreiben nach, mit Dede kommuniziert zu haben. Vielmehr habe er ein Geräusch aus der Garage gehört, das wie "Metall auf Metall" geklungen habe. Aus Sorge, dass die Person die dunkle Garage verlassen und ihn attackieren könne, habe er zuerst geschossen. Er habe angeblich hoch gezielt, um sein in der Garage stehendes Auto nicht zu treffen – tatsächlich seien aber drei der vier Schüsse tief gewesen und hätten der Breite nach den gesamten Raum abgedeckt. Zudem soll Kaarma sich laut Polizeiangaben bereits einige Tage zuvor mit seiner Friseurin darüber unterhalten haben, dass er "some fucking kid" erschießen wolle.
Selbstverteidigungsrecht 2009 verschärft
Nach deutschem Recht fällt die Bewertung leicht: Das Geschehen kommt, sofern es sich tatsächlich in der geschilderten Weise zugetragen hat, nicht einmal in die Nähe einer Rechtfertigung durch Notwehr. In Amerika hingegen könnte Kaarma sich möglicherweise auf die "castle doctrine" berufen, deren Name sich von der Redensart "my home is my castle" ableitet, sinngemäß also: In meinem Haus darf ich tun, was auch immer ich will – und es wie ein mittelalterliches Schloss verteidigen.
Ganz so simpel ist die Sache allerdings nicht. Natürlich sind Privatgrundstücke auch in den USA kein rechtsfreier Raum. Die "castle doctrine" als solche ist kein geschriebenes Gesetz, sondern ein rechtliches Prinzip, welches innerhalb der amerikanischen Bundesstaaten auf jeweils unterschiedliche Weise umgesetzt wird. Die Umsetzung in Montana wurde im Jahr 2009 unter Fürsprache der größten US-amerikanischen Waffenvereinigung, der NRA, verschärft.
Seither sieht sie vor, dass ein Hausbesitzer dann Mittel einsetzen darf, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schweren körperlichen Verletzungen oder zum Tod führen werden, wenn jemand in sein Grundstück eindringt oder dies versucht, und wenn der Hausbesitzer vernünftigerweise davon ausgehen kann, dass die Gewaltanwendung nötig ist, um einen Angriff auf sich selbst oder jemand anderen auf dem Grundstück zu vermeiden. Vor der Änderung 2009 musste der Eindringling sich zudem "gewalttätig, zügellos oder stürmisch" verhalten. In Folge der Tötung von Diren Dede kündigte die Abgeordnete Ellie Hill gegenüber der Webseite The Missoulian an, die Verschärfung wieder rückgängig machen zu wollen.
Am Ende könnte ein Schuldspruch stehen
Doch selbst in ihrer aktuellen, schneidigen Umsetzung wird die "castle doctrine" einen Freispruch nicht ohne weiteres tragen. "Nach allem, was bisher bekannt ist, handelt es sich um einen sehr ungewöhnlichen Fall", meint der Düsseldorfer Juraprofessor Andrew Hammel, der jahrelang als Strafverteidiger in den USA tätig war. Da das Garagentor offen gewesen sei, könne man nicht von einem Einbruch sprechen. Weil sich Dede nicht gewaltvoll Zutritt zu der Garage verschafft, sondern diese ungehindert betreten habe, habe weniger Anlass bestanden, seine Anwesenheit als Bedrohung wahrzunehmen.
Zudem sei Kaarma durch die Videokamera und Bewegungssensoren bereits frühzeitig gewarnt worden. Die Konfrontation mit Dede sei für ihn nicht überraschend gewesen, sondern im Gegenteil sogar gezielt von ihm herbeigeführt, obwohl er stattdessen auch einfach die Polizei hätte rufen können. Da Kaarma Dede zudem offenbar keine Gelegenheit gegeben habe, sich zu äußern oder die Garage zu verlassen, und da er bereits Tage zuvor über seine Absicht gesprochen habe, jemanden zu erschießen, sei es gut möglich, dass am Ende des Verfahrens ein Schuldspruch stehen werde.
Kaarma befindet sich derzeit gegen eine Kaution von 30.000 Dollar auf freiem Fuß. Ein Verhandlungstermin wurde vorläufig auf den 12. Mai angesetzt. Dem Verfahren ist die Aufmerksamkeit der internationalen Presse sicher – anders als vielen anderen. Schätzungen gehen von bis zu 2,5 Millionen Fällen pro Jahr aus, in denen Schusswaffen in Amerika zur "Selbstverteidigung" genutzt werden.
Constantin Baron van Lijnden, Erschossener Austauschschüler in den USA: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11867 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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