Bundesdigitalminister Volker Wissing hat seine Digitalstrategie vorgestellt. Die richtigen Begriffe fallen, doch von einer Anpassung der Regelungen an "New Work" ist dieser Entwurf weit entfernt, meinen Kira Falter und Julia Prokop.
Bundesdigitalminister Volker Wissing hat am 31. August 2022 auf der Regierungsklausur seine überarbeitete Digitalstrategie vorgelegt. Neben vielen klassischen Vorhaben wie dem Breitbandausbau oder die Digitalisierung der Verwaltung, geht es dort auch um das flexible Arbeiten. Fest steht, dass die Arbeitszeiten flexibilisiert und ein moderner Rechtsrahmen für mobile Arbeit eingeführt werden sollen. Viel konkreter wird es in dem Strategiepapier aber nicht.
Dabei tauchen nahezu täglich Fragen nach den Möglichkeiten und Rahmenbedingungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit in der arbeitsrechtlichen Beratungspraxis auf. Mit der Corona-Pandemie stieg das Erfordernis, remote zu arbeiten und gleichzeitig das Bedürfnis nach gesetzlichen Regelungen zu flexibleren Arbeitsmodellen.
Europa macht seit Jahren Vorgaben
Denn bislang müssen Unternehmen für die Einführung mobiler Arbeit entweder betriebliche oder individuelle Vereinbarungen mit ihren Mitarbeitenden treffen. Dabei stellen sich jedoch zahlreiche Fragen in der Praxis, auf die der Gesetzgeber (noch) keine Antworten hat. Insbesondere das Thema Arbeitszeiterfassung stellt Unternehmen vor Herausforderungen. Denn einerseits wollen sie ihren Mitarbeitern eine flexiblere Arbeit ermöglichen, die oftmals mit der Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit einhergeht. Dabei müssten die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit nach der in Deutschland noch geltenden gesetzlichen Regelung nur erfassen, wenn diese die werktägliche Höchstgrenze von acht Stunden übersteigt, vgl. § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG).
Gleichzeitig kreist das "Damoklesschwert" der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.Mai 2019 (Az. C-55/18) über den Unternehmen und der in Deutschland derzeit geltenden Regelung: Denn danach müssen Beschäftigte und Unternehmen die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden genau dokumentieren – bei einer Umsetzung der Vorgaben des EuGH würden zukünftig wesentlich strengere Vorgaben zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten als bisher in Deutschland gelten.
Widersprüchliche Signale zu möglichen Regelungen
Die Umsetzung des Urteils durch den deutschen Gesetzgeber steht seit mehr als drei Jahren aus. Die Hoffnung war groß, dass die Bundesregierung in ihrer Digitalstrategie die notwendige Regelung jedenfalls erwähnen würde. Doch weit gefehlt: Sie sendet vielmehr widersprüchliche Signale. In dem Papier wirbt das Ministerium zwar mit Chancen für flexible Arbeitsmodelle, diese sollen im Lichte des "New Work" stehen und insoweit nimmt das Ministerium Bezug auf den durch Digitalisierung geprägten strukturellen Wandel der Arbeitswelt.
Unklar bleibt jedoch, wie diese Flexibilisierung mit der vom EuGH angeordneten Reglementierung der Arbeitszeiterfassung vereinbar ist. "New Work“ Konzepte wie die Vertrauensarbeitszeit werden dann zumindest nicht mehr ohne Weiteres funktionieren. Auch hier lässt die Digitalstrategie die Arbeitswelt im Ungewissen.
Dabei hat sich die Nutzung von mobiler Arbeit und Homeoffice im Verlauf der Corona-Pandemie erheblich verstärkt. Gleichermaßen gewann die Digitalisierung an Bedeutung. Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern spiegelt sich auch im internationalen Vergleich wider.
Entsprechend groß waren die Erwartungen an die Digitalstrategie des Bundes. Der Begriff "mobile Arbeit" ist in dem Strategiepapier von Volker Wissing jedoch nur zwei Mal erwähnt. Auch inhaltlich finden sich dort leider nur floskelartige Beschreibungen. So möchte die Bundesregierung einen "praxisgerechten, modernen Rechtsrahmen für mobile Arbeit, der die Interessen von Beschäftigten und Unternehmen nach Flexibilität berücksichtigt und einen fairen Interessenausgleich zwischen den Belangen der Beschäftigten und der Unternehmen ermöglicht", schaffen. Was darunter konkret zu verstehen ist, bleibt offen. Insofern sind Unternehmen und Arbeitnehmer genauso schlau wie zuvor.
Keine Flexibilisierung der Arbeitszeit
Dabei hatte das Digitalministerium bereits Mitte August 2022 einen Entwurf der überarbeiteten Digitalstrategie veröffentlicht. Vorgesehen war dort unter anderem eine begrenzte Möglichkeit für Arbeitgeber und Gewerkschaften vom bisher geltenden Arbeitszeitgesetz abweichen zu können, wenn Tarifverträge oder auf diesen basierenden Betriebsvereinbarungen dies vorsehen. Zwar stand nach dieser Formulierung zu befürchten, dass diejenigen Unternehmen ohne Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen bei den Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeit "leer" ausgehen. Diese Formulierung ließ aber zumindest auf ein erstes gesetzgeberisches Handeln hoffen.
Nun aber ist die Passage, in der es um die Flexibilisierung der Arbeitszeiten ging, gänzlich aus dem Strategiepapier verschwunden. Dies wirft die Frage auf, weshalb die Bundesregierung sich so kurzfristig gegen die Ankündigung einer solchen Regelung entschied.
Es bleibt zu hoffen, dass auch die Ampelkoalition erkannt hat, dass die vorgesehene Regelung nicht weitreichend genug war und es eines "größeren Wurfs" bedarf.
Vier-Tage-Woche in Belgien und Spanien
Andere europäische Staaten machen längst vor, wie es gehen könnte: Belgien beispielsweise hat dieses Jahr die Vier-Tage-Woche eingeführt. Beschäftigte haben dort nun die Möglichkeit, an diesen vier Tagen in der Woche jeweils mehr zu arbeiten als pro Werktag vorgesehen und dafür am fünften Tag freizunehmen. Als weitere Option können Arbeitsstunden flexibel auf zwei Wochen verteilt werden. Hat ein Arbeitgeber eine der beiden Optionen genehmigt, gilt diese zunächst für ein halbes Jahr, kann anschließend aber verlängert werden.
Auch in Spanien gibt es seit Herbst 2021 ein neues Modellprojekt. Etwa 200 ausgewählte Unternehmen mit insgesamt rund 6.000 Mitarbeitenden arbeiten für mindestens ein Jahr nur noch an vier Tagen die Woche, erhalten aber ihr volles Gehalt. Gefördert wird dies vom spanischen Staat. Dadurch soll Firmen die Möglichkeit eröffnet werden, zusätzliche Jobs zu kreieren und Mitarbeitenden mehr Freizeit ermöglicht werden.
Noch viel Raum für Verbesserungen
Von ähnlichem ist Deutschland weit entfernt. Hier fallen in dem Strategiepapier zwar wohlklingende Begriffe wie "moderner Rechtsrahmen für mobile Arbeit“ und "Flexibilität". Bei näherem Hinschauen bleibt es jedoch bei diesen "Worthülsen", die bisher keinen inhaltlichen Mehrwert bieten.
Auch wenn die Ankündigung der Digitalstrategie also großen Anlass zur Hoffnung gegeben hat, so wurden diese jedenfalls im Hinblick auf Themen wie mobile Arbeit und Arbeitszeitflexibilisierung bisher nicht erfüllt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die relevanten Themen originär in die Zuständigkeit des Arbeitsministeriums fallen und die gewünschten Inhalte zu flexibler Arbeit nicht ernsthaft in diesem Entwurf zu erwarten waren. Dennoch: Eine aktive Gestaltung der Digitalisierung in der Arbeitswelt sieht anders aus.
Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung das Thema Arbeitszeit noch einmal prominenter aufgreift und hier einen gesetzlichen Rahmen – insbesondere für die mobile Arbeit und die Tätigkeit von hochqualifizierten Kräften – schafft. Dies könnte auch eine Möglichkeit sein, Arbeitgeber, die derzeit bezüglich der Einführung von flexibleren Arbeitsmodellen noch unentschieden sind, zum Ausprobieren entsprechender Systeme zu bewegen. Insbesondere in Zeiten, in denen ein großer Fachkräftemängel herrscht, sollte der deutsche Arbeitsmarkt attraktiver gestaltet werden.
Kira Falter ist Partnerin und Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Sie berät nationale und internationale Unternehmen im Individual- und Kollektivarbeitsrecht insbesondere zum Einsatz von Fremdpersonal.
Julia Prokop ist Rechtsanwältin bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland im Bereich Arbeitsrecht. Ihr Beratungsschwerpunkt sind sämtliche Themen rund um New Work, insbesondere mit Hinblick auf Mobile Arbeit und die Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen.
Digitalstrategie der Bundesregierung vorgestellt: . In: Legal Tribune Online, 07.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49547 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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