Bund und Länder hatten sich im Wesentlichen schon auf den Digitalpakt Schule geeinigt. Doch jetzt kritisieren nahezu alle Bundesländer die geplante Grundgesetzänderung. Wie am Ende ein Kompromiss aussehen könnte, erläutert Joachim Wieland.
Der Digitalpakt soll den Schulunterricht mit Finanzhilfen des Bundes in das digitale Zeitalter befördern. Dafür ist eine Grundgesetzänderung erforderlich, die der Bundestag bereits beschlossen hat, der sich im Bundesrat aber mindestens 5 Ministerpräsidenten widersetzen wollen. Nachdem nunmehr auch SPD-regierte Länder Nachbesserungen angemahnt haben, scheint der Gang in den Vermittlungsausschuss wohl unausweichlich. Ein guter und zielführender Kompromiss wäre dort möglich.
Deutschlands Rückstand in der Digitalisierung ist unbestritten. Für ein Land, das wirtschaftlich von der hohen Qualität und Innovationsstärke seiner Wirtschaftsgüter lebt, ist das ein bedrohlicher Zustand. Die Bundesregierung bemüht sich deshalb seit langem, die Digitalisierung in Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung zu fördern. Die Ergebnisse dieser Bemühungen sind bislang überschaubar. Zur Beschleunigung der Digitalisierung soll daher ein Digitalpakt Schule beitragen, auf den sich die Bildungsminister von Bund und Länder im Wesentlichen geeinigt haben. Der Pakt sollte eigentlich am 6. Dezember 2018 unterzeichnet werden. Dann hätte der Bund im nächsten Jahr den Ländern bereits eine Finanzhilfe von 720 Millionen Euro von insgesamt 5,5 Milliarden Euro zur Unterstützung bei der Digitalisierung der Schulen zur Verfügung stellen können.
Doch daraus wird nun erst einmal nichts. Für den Digitalpakt wäre nämlich eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich. Die hat der Bundestag zwar am 29. November 2018 nach langen Verhandlungen zwischen den Regierungsfraktionen und den Fraktionen von FDF und Bündnis 90/ Die Grünen mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit beschlossen. Als Reaktion auf diesen Beschluss haben aber die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen in einem Zeitungsartikel angekündigt, dass sie im Bundesrat der Grundgesetzänderung nicht zustimmen, sondern den Vermittlungsausschuss anrufen wollen. Allein ohne die Stimmen dieser fünf Länder wird eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat nicht zustande kommen. Die Ministerpräsidenten sehen in der geplanten Verfassungsänderung einen zu weit reichenden Eingriff in die Autonomie der Länder. Sie betonen, dass Bildung in Deutschland Ländersache ist. Den Digitalpakt wollen sie durchaus ermöglichen, allerdings ohne das Grundgesetz zu ändern. Dazu könne der Bund den Ländern einen größeren Anteil am Aufkommen der Umsatzsteuer überlassen. Mit diesem Geld könnten die Länder dann die Digitalisierung ihrer Schulen finanzieren.
Umsatzsteueranteile oder Finanzhilfen
Finanzhilfen im Bildungsbereich stehen in einem Spannungsverhältnis zum Bundesstaatsprinzip, weil sie die Bildungspolitik und damit den Kern der Länderzuständigkeit berühren. Die Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Länder ließe dagegen die bundesstaatliche Zuständigkeitsverteilung unberührt. Aus Sicht der Länder sind deshalb Umsatzsteueranteile stets Finanzhilfen des Bundes vorzuziehen.
Aus Sicht des Bundes ist das genau umgekehrt. Wenn er über den Weg der Finanzierung bestimmte Ziele erreichen will, hilft ihm die Erhöhung der Umsatzsteueranteile der Länder nicht weiter, weil nicht gesichert ist, wofür die Länder das ihnen dann zur autonomen Verwendung zustehende Geld ausgeben. Mit anderen Worten: Rechtlich ist nicht gesichert, dass die Länder die zusätzlichen 5,5 Milliarden Euro für die Digitalisierung der Schulen ausgeben. Wofür die Länder ihren Anteil am Aufkommen der Umsatzsteuer verwenden, ist ihre Angelegenheit. Politische Vereinbarungen mit dem Bund sind rechtlich nicht verbindlich.
Schonung der Autonomie der Länder
Finanzhilfen des Bundes an die Länder im Bereich von deren Aufgaben sind im kooperativen Bundesstaat seit jeher durchaus üblich. Sie sind zwar nicht völlig unproblematisch, weil sie die Gefahr mit sich bringen, dass der Bund sie als Hebel nutzt, um Zuständigkeiten der Länder selbst auszuüben. Finanzhilfen des Bundes können auch dann mit dem Bundesstaatsprinzip vereinbar, wenn sie im Bereich der Bildung gezahlt werden. Entscheidend ist nämlich nicht, ob der Bund oder die Länder das Geld für die Digitalisierung der Schulen zur Verfügung stellen. Entscheidend ist vielmehr, wer über die Verwendung des Geldes befindet. Das aber ist Verhandlungssache.
Der Digitalpakt Schule wird als Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern geschlossen. Die zuständigen Ministerien haben sich offenbar schon weitgehend auf den Text einer entsprechenden Vereinbarung geeinigt. Nicht die Grundgesetzänderung, die nur den Bund zu Finanzhilfen ermächtigt, die Länder aber zu nichts verpflichtet, würde also in die Hoheit der Länder eingreifen, sondern die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, der aber alle Länder zustimmen müssen. Wenn ein Land der Auffassung ist, der Bund regiere mit den Bedingungen, an die er seine Finanzhilfe knüpft, zu sehr in die Hoheit der Länder hinein, steht es im Land frei, den Abschluss der Verwaltungsvereinbarung abzulehnen.
Das Grundgesetz sieht auch nach der Änderung keinen Zwang vor, mit dem der Bund den Abschluss eines Digitalpakts einseitig durchsetzen könnte. Die Grundgesetzänderung würde also nur eine gemeinsame Finanzierung von Bund und Ländern ermöglichen, sie jedoch nicht erzwingen. Vor diesem Hintergrund ist die Verweigerung der Zustimmung zur Grundgesetzänderung jedenfalls nicht zwingend, um die Rechte der Länder zu schützen.
Mitfinanzierungspflicht der Länder
Wenn man genauer hinschaut, kann man durchaus auch den Eindruck gewinnen, dass nicht die Finanzhilfen und auch nicht der im Wesentlichen ausverhandelte Digitalpakt den Stein des Anstoßes für Verweigerung der Zustimmung zu der geplanten Grundgesetzänderung bilden, sondern die während der Beratungen im Bundestag zusätzlich aufgestellte Voraussetzung, dass die Mittel des Bundes in jeweils mindestens gleicher Höhe durch Landesmittel für den entsprechenden Investitionsbereich zu ergänzen sind.
Diese Voraussetzung soll zwar noch nicht für den Digitalpakt, aber für alle von 2020 an gewährten Finanzhilfen gelten. Aus den Äußerungen einiger Politiker kann man durchaus schließen, dass nicht die Finanzhilfen, sondern die obligatorische Mitfinanzierung bei den Ländern auf Missfallen stoßen. Sollte das der Fall sein, bleibt durchaus Raum für eine Einigung im Vermittlungsausschuss. Der Bund könnte den Ländern dadurch entgegenkommen, dass die Pflicht zur Mitfinanzierung erst später in Kraft tritt oder in geringerer Höhe zu leisten ist. Die Geschichte der bundesstaatlichen Finanzverfassung kennt viele Beispiele für Kompromisse, die dort gefunden werden können, wo es um die finanziellen Leistungen beider Seiten geht. Der Digitalpakt ist also noch nicht endgültig gescheitert.
Die Grundgesetzänderung kann durchaus noch zustande kommen. Solange beide Seiten sich einig sind, dass die Digitalisierung der Schulen dringend geboten ist, um Deutschlands Rückstand in der Digitalisierung wenigstens zum Teil aufzuholen, scheint ein Kompromiss erreichbar. Die Auseinandersetzungen zeigen aber, dass Änderungen des Grundgesetzes dadurch nicht leichter werden, dass die früher großen Fraktionen von Union und SPD im Bundestag keine Zweidrittelmehrheit mehr haben und die Länderregierungen parteipolitisch ganz unterschiedlich zusammengesetzt sind.
Prof. Dr. Joachim Wieland lehrt Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Streit um Grundgesetzänderung: . In: Legal Tribune Online, 05.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32517 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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