Strafanträge können künftig per E-Mail oder per Online-Formular gestellt werden. Eine gelungene Modernisierung, die es potenziellen Kriminalitätsopfern leichter macht? Nicht unbedingt. Eva-Maria Lies und Lorenz Bode haben Bedenken.
Seit dem 17. Juli 2024 ist der neue § 158 Absatz 2 Strafprozessordnung (StPO) in Kraft und damit – wie schon lange gefordert – das Schriftformerfordernis bei Strafanträgen aufgehoben. Die Neuregelung war Bestandteil des "Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz", über dessen Genese auch LTO berichtet hatte.
Der Hintergrund: Manche Straftaten werden nur auf Antrag verfolgt. Dafür musste bislang (die Protokollierung hier einmal ausgeklammert) schriftlich bei einem Gericht, bei der Staatsanwaltschaft oder bei einer anderen Behörde – in aller Regel mit Unterschrift der antragstellenden Person – ein Antrag angebracht werden. Dieses bisher zwingende Formerfordernis sollte sicherstellen, dass der Verfolgungswille eindeutig erkennbar ist.
Der Bundesgerichtshof hatte deswegen seinerzeit klargestellt, dass eine elektronische Strafantragstellung per einfacher E-Mail nicht wirksam ist, sondern nur über die in § 32a StPO eröffneten Wege erfolgen kann (Beschl. v. 12. 05.2022, Az. 5 StR 398/21).
Identität und Verfolgungswille müssen ersichtlich sein
Das bedeutet: Um einen wirksamen elektronischen Strafantrag zu stellen, musste bislang die Erklärung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden oder auf einem sicheren Übermittlungsweg, insbesondere über ein elektronisches Bürger- und Organisationsfach oder ein Nutzerkonto nach dem Onlinezugangsgesetz eingereicht werden.
Dieses Verfahren wurde nun verändert. Mit der jetzigen Gesetzesänderung ist die Schriftform und ihr elektronisches Äquivalent nach § 32a StPO nicht mehr erforderlich. Vorausgesetzt allerdings, die Identität und der Verfolgungswille der antragstellenden Person sind aus der Erklärung und den Umständen ihrer Abgabe eindeutig ersichtlich.
Ob der Gesetzgeber so tatsächlich die digitale Strafantragstellung erleichtert hat? Das bleibt abzuwarten. Denn wer glaubt, nun mittels einfacher E-Mail einen wirksamen Strafantrag zu stellen, läuft weiterhin Gefahr, dass der Strafantrag nicht formwirksam ist. Denn die wesentliche Frage ist, wann für die Ermittlungsbehörde die Identität der antragstellenden Person und der Verfolgungswille sichergestellt sind. Diese Frage dürfte regelmäßig erst durch eine juristische Auslegung und durch Nachforschung zu beantworten sein.
Fallstricke bei der Antragstellung per E-Mail
Es ist zu vermuten, dass die Strafantragstellung per einfacher E-Mail den Anforderungen von § 158 Absatz 2 StPO regelmäßig nicht gerecht – und damit zum Stolperstein – wird. Nach der Gesetzesbegründung soll eine wirksame Antragstellung dann möglich sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die abseits der E-Mail eine eindeutige Identifikation des Antragstellers erlauben. Eine hinreichende Identifizierung werde insbesondere bei der Antragstellung über eine behördliche oder bereits dienstlich bekanntgewordene und verifizierte E-Mail-Adresse hinreichend möglich sein. Denkbar sei zudem eine nachträgliche Zeugenvernehmung oder auch ein vorheriger Kontakt mit der Ermittlungsbehörde, in dessen Nachgang eine E-Mail mit dem Antrag versendet wird. Möglich sei auch die Angabe einer Personalausweisnummer.
Die Abhängigkeit eines wirksamen Strafantrags von weiteren Umständen und Handlungen der Ermittlungsbehörde (Zeugenvernehmung, Nachfrage etc.) dürfte für die antragstellende Person mit nicht unerheblichen Risiken und Unsicherheiten verbunden sein. Das Problem verstärkt sich dadurch, dass der Strafantrag fristwahrend gestellt werden muss (vgl. § 77b Strafgesetzbuch) und unklar ist, ob die abschließende Sicherstellung der Identität und des Verfolgungswillens durch die Ermittlungsbehörde innerhalb der 3-Monats-Frist abgeschlossen sein muss. Die antragstellende Person muss darauf vertrauen, dass die Ermittlungsbehörde das Notwendige veranlasst, um die Identität und den Verfolgungswillen sicherzustellen. Nicht selten wurden bislang Verfahren, die über das polizeiliche Strafanzeigenportal angezeigt wurden, nach Ablauf der Strafantragsfrist mit dem Verweis auf das mangelnde Formerfordernis eingestellt.
Strafantragsfrist könnte ablaufen
Die Neuregelung birgt somit zum einen die Gefahr, dass Strafanträge formunwirksam angebracht werden, und zum anderen entsteht für Ermittlungsbehörden ein erhöhter Nachforschungsaufwand. Der Strafantragstellende geht das Risiko ein, dass aufgrund etwaiger Nachforschung die Strafantragsfrist nicht gewahrt wird.
In diesem Sinne argumentiert auch Dr. Nils Hauser, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität Berlin. In einem Aufsatz für die Fachzeitschrift Juristische Rundschau (Heft 2, 2024) beschreibt er bestehende Rechtsunsicherheiten – vor allem eine ungleiche Risikoverteilung mit Blick auf die Formwirksamkeit des Strafantrags. Hauser befürchtet, dass ohne eine "behördenseitige Pflicht zur unverzüglichen Nachforschung" eine "erhebliche Anzahl" an Strafanträgen, die von juristischen Laien gestellt werden, "formunwirksam angebracht" und "die Formunwirksamkeit mangels Nachforschung seitens der jeweiligen Behörde auch nicht nachträglich hergestellt" würde.
Bundeseinheitliches Strafantragsformular wünschenswert
Um nicht missverstanden zu werden: Die Reform des § 158 Absatz 2 StPO war gewiss kein Fehler, sondern im Sinne der Digitalisierung ein richtiger, gar notwendiger Schritt des Gesetzgebers. Es gibt aber eben Verbesserungspotenzial, das – mit Blick auf die polizeilichen Strafanzeigenportale im Internet – nicht zuletzt im praktischen Bereich (Stichwort: Nachforschungsaufwand) liegt. Hier gilt es anzusetzen, um vor allem gegenüber dem Laien als Rechtsanwender für eine echte Verbesserung zu sorgen.
Um perspektivisch mehr Rechtssicherheit und – statt eines rechtlichen Stolpersteins – eine tatsächliche Erleichterung zu schaffen, sollte daher eine bundeseinheitliche Lösung zur Einführung eines elektronischen Identifikationsnachweises und eines elektronischen Strafantragsformulars (beispielsweise über die polizeilichen Strafanzeigeportale) angestrebt werden.
Eva-Maria Lies ist Regierungsrätin am Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Sachsen-Anhalt. Dr. Lorenz Bode ist Staatsanwalt bei der StA Magdeburg, derzeit abgeordnet. Der Beitrag gibt ausschließlich ihre private Meinung wieder.
Einführung des digitalen Strafantrags: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55137 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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