Was auf dem Portal WikiLeaks veröffentlicht wird, sorgt regelmäßig für großen Wirbel, bei besonders geheimen Unterlagen für Beinahe-Staatskrisen. Wie weit darf Transparenz gehen? Und wie sollten Medienleute mit dieser neuen Quelle für Enthüllungsjournalismus umgehen? Ein Kommentar von Prof. Dr. Rolf Schwartmann.
1983 hatte der "Stern" die unglaubliche Meldung, im Besitz von Adolf Hitlers geheimen Tagebüchern zu sein, und veröffentlichte sie als Serie. Wenig später wurde klar, dass sie gefälscht waren. Niemand würde dem Stern grundsätzlich mangelnde Sorgfalt bei der Recherche vorwerfen. Aber die Geschichte war so spannend, dass der Trieb, der den Journalismus zu Recht leitet, zu stark war. Der Vorgang war peinlich, aber historisch belanglos und schon gar nicht gefährlich für den Staat.
Was auf WikiLeaks veröffentlicht wird, ist teils peinlich, aber belanglos. Teilweise ist es aber auch unverantwortlich. Manches wird stimmen - aber wer garantiert für die Authentizität und Echtheit der Dokumente und wer kann sicher sein, dass sie es sind? Was ist, wenn sich zu den Depeschen bewegte Bilder gesellen? Nicht erst seit "Wag the Dog" haben wir die Phantasie, dass bewegte und inszenierte Bilder die Wiederwahl eines Präsidenten in der amerikanischen Öffentlichkeit retten können. Sie könnten ihn aber auch zerstören.
WikiLeaks darf kein Werkzeug werden
Wäre man sicher, dass Monika Lewinsky nicht auch ein Verhältnis mit Barack Obama hätte, wenn sich das bei WikiLeaks einschliche? Das wäre möglich, wenn die Plattform vorher Vertrauen für sich erworben hätte, weil auch seriöse und professionelle Medien sie als Informationsquelle nutzen. WikiLeaks ist mit der Kraft der digitalen Wirkmechanismen ausgestattet und kann am Ende gefährlich für den Staat werden.
Für die Arbeit der Medien birgt WikiLeaks Risiken, weil es Aufwand und Disziplin erfordert, die Meldungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Es erfordert auch Zurückhaltung und Skepsis gegenüber Menschen, die mit sensiblen Informationen schießen wie Pistoleros.
Als Informationsquelle mag WikiLeaks bei allen Gefahren unter den genannten Vorbehalten und bei vorsichtiger Handhabung geeignet sein. Ein Werkzeug darf ein solcher Dienst nicht werden. Aber die Versuchung, Meldungen zu übernehmen ist groß, und sie stellt die Medien auf eine ganz neue Bewährungsprobe.
In WikiLeaks realisieren sich die Gefahren des Internets auf eine neue, besondere Weise. Das Angebot hat die Vereinigten Staaten außenpolitisch in eine Zwangslage gebracht. Die politischen Flurschäden und die genannten Gefahren für den Staat liegen auf der Hand.
Geschlossene Kreise schützen die internationale Zusammenarbeit
Aber WikiLeaks wirft auch rechtliche Probleme auf. Das Völkerrecht ist ein Recht unter souveränen und gleichen Beteiligten. Es lebt vom besonderen Vertrauen, das die Staaten einander entgegenbringen. Gedeihliches zwischenstaatliches Verhalten lebt von Vertrauen unter den Staatenvertretern. Und Nuancen oder gar kleine Fehltritte können schwere Irritationen im staatlichen Miteinander auslösen.
Hier können protokollarische Details schwere Folgen verursachen. Dies zeigt etwa der Empfang des Dalai Lama als tibetisches Staatsoberhaupt vor dem Bundeskanzleramt, der in China Verstimmungen auslöste. Immer sind solche zwischenstaatlichen Zeichen aber bewusste Signale, deren Folgen man erwartet und einkalkuliert. Die Funktionsfähigkeit des Systems der internationalen Zusammenarbeit lebt davon, dass es geschlossene Kreise gibt, aus denen nichts herausdringt.
In diesem filigranen Konstrukt hat sich jetzt eine Börse für diplomatische Details etabliert – Klatsch und Staatsgeheimnisse. Das, was an persönlichen Bewertungen durchgedrungen ist, ist inhaltlich für europäische Staatsmänner auszuhalten. Politische Brisanz kommt Berichten zum Nahost-Konflikt und zu Nordkorea zu, weil hier Sicherheitsgefahren entstehen können.
Ein Hort für Persönlichkeitsverletzungen und Datenschutzverstöße
Weitere rechtliche Probleme liegen im Grundsatz auf der Hand und müssen im konkreten Fall geprüft werden. Strafrechtlich wird sich zum Beispiel derjenige, der Zugang zu geheimen Inhalten hat, die den Staat betreffen und diese publik macht, mit dem Vorwurf des Geheimnisverrats auseinander setzen müssen.
Und wie steht es um den Informantenschutz? Bislang war die Anonymität des Informanten zentrale Grundlage des Presserechts und das Bedürfnis der Medien danach wird von der Rechtsprechung unterstrichen. Kann sich eine Internetplattform auch darauf berufen oder gilt das nur für Journalisten? Selbst wenn, dürften in diesem Fall die Interessen des Staates stärker wiegen. Ein Dienst wie WikiLeaks ist zudem ein Hort für Persönlichkeitsverletzungen und Datenschutzverstöße.
WikiLeaks ist eine typische Erscheinung des Internetzeitalters. Sie übt einen großen Reiz aus und birgt für Staat und Gesellschaft zugleich erhebliche Gefahren. Dieser Dienst nimmt die Medien in den Blick und zugleich in die Pflicht. Sie haben seit jeher die Macht, die Gesellschaft zu beeinflussen, sie sind für das Bundesverfassungsgericht Medium und Faktor der freien Meinungsbildung. Wenn sie WikiLeaks als Quelle nutzen, dann verleihen sie ein Gütesiegel, das für Authentizität und Seriosität des Anbieters stehen. Dieser Funktion müssen sie sich bewusst sein.
Der Autor Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Professor für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht, insbesondere Internationales und Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Fachhochschule Köln. Er ist Leiter und Gründer der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht.
Rolf Schwartmann, Die Presse und der Pistolero: . In: Legal Tribune Online, 01.12.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2058 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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