In den USA ist Litigation-PR schon länger etabliert; hierzulande ist strategische Rechtskommunikation erst "im Kommen". Davon zeugte auch der 1. Berliner Tag der Rechtskommunikation. Der daraus hervorgegangene Tagungsband enthält auch kritische Töne – eine sinnvolle Ergänzung auf dem deutschen Litigation-PR-Buchmarkt.
Gute Litigation-PR muss man mit der Lupe suchen. Das gilt vor allem dann, wenn die Wissenschaft sich mit der strategischen Rechtskommunikation beschäftigt. Denn "ein Phänomen soll untersucht werden, das sich möglichst unsichtbar macht", wie Volker Boehme-Neßler es auf den Punkt bringt. Der Berliner Rechts- und Politikwissenschaftler führt im Vorwort zu "Die Öffentlichkeit als Richter?" als Erklärung an: "Litigation-PR ist dann besonders gut und wirksam, wenn sie nicht zu sehen oder zu merken ist. Die öffentliche Meinung soll beeinflusst werden, man soll es aber nicht merken."
Vor diesem Problem steht die wissenschaftliche Betrachtung der Litigation-PR, die in Deutschland noch mehr als ihr Erkenntnisgegenstand in den Kinderschuhen steckt. Gefragt ist neben der Kommunikationswissenschaft vor allem die Rechtswissenschaft. Das zeigen auch die Beiträge, die im Tagungsband zum 1. Berliner Tag der Rechtskommunikation enthalten sind: Sie sind vor allem von Juristen verfasst.
Im Wesentlichen sind in "Die Öffentlichkeit als Richter?" Vorträge abgedruckt, die auf der Tagung zu Jahresanfang gehalten und diskutiert wurden. Dabei kamen neben Litigation-PR-Praktikern auch Journalisten, Richter und Anwälte zu Wort. Dementsprechend ist die Mehrzahl der zwölf Beiträge aus Sicht der Praxis geschrieben. Der theoretische Teil der Tagung ist mit drei Beiträgen vertreten. Nicht aus einem Tagungsvortrag hervorgegangen sind die Beiträge der Journalisten von FAZ und "Tagesspiegel" – Joachim Jahn und Jost Müller-Neuhof –, der Kommunikationsberaterin Susanne Kleiner und von Rudolf Gerhardt, seines Zeichens Jurist, Journalist und Kommunikationswissenschaftler.
Der Staatsanwalt fehlt
Den Anfang macht FAZ-Wirtschaftsredakteur Joachim Jahn mit einem Überblicksbeitrag, der mit "Zwischen Erpressung und Dienst an der Gerechtigkeit" überschrieben ist, und in dem er kritische Untertöne nicht ausspart. Etwas despektierlich klingt es jedoch schon, wenn Jahn Litigation-PR-Praktiker als "Litigation-Propagandisten"bezeichnet. Daran schließt sich der titelgebende Beitrag von Boehme-Neßler an, in dem er die "Chancen und Risiken von Litigation-PR aus verfassungsrechtlicher und rechtssoziologischer Sicht" untersucht.
In den nächsten drei Beiträgen schildern verschiedene Akteure im Strafverfahren ihre Sicht: Gisela Friedrichsen, die Gerichtsreporterin vom SPIEGEL, die Richterin im Mannesmann-Verfahren, Brigitte Koppenhöfer, sowie der Frankfurter Rechtsanwalt Eckart Hild, der aus der Sicht des Strafverteidigers schreibt.
Bedauerlich ist, dass Oberstaatsanwalt Anton Winkler aus München mit seinem Vortrag über "Litigation-PR aus der Sicht der Staatsanwaltschaft" nicht im Tagungsband vertreten ist. Angesichts der vehementen Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft, wie sie von den Anwälten Jan Mönikes und Gregor Wettberg am Beispiel von Jörg Tauss vorgetragen wurde und sich am Fall Benaissa entzündete, wäre auch aus Gründen der Waffengleichheit zu wünschen gewesen, dass sich ein Beitrag aus den Reihen der Staatsanwaltschaft im Tagungsband wiederfände.
Zwischen Gerechtigkeit und Moral
Mit den Beiträgen der Kommunikationsberaterin Susanne Kleiner aus Sicht der Organisationskommunikation und des Litigation-PR-Spezialisten Uwe Wolff kommt schließlich die Branche selbst zu Wort. Wolff bricht verständlicherweise eine Lanze für die Litigation-PR und will in seinem Beitrag zeigen, „Warum die Gerechtigkeit PR-Spezialisten braucht“. Ein ähnliches Plädoyer hielt er in dem von ihm mitverfassten Buch "Im Namen der Öffentlichkeit", dem ersten deutschsprachigen Buch zur Litigation-PR.
In dem wohl kritischsten Beitrag des Tagungsbandes betrachtet der Kommunikationswissenschaftler Klaus Streeck "Litigation-PR als beauftragte Beeinflussungsdienstleistung" und sieht in ihr die Gefahr der Remoralisierung des Rechts, jedenfalls soweit Litigation-PR mit Moral Prozesse vor der Entscheidung beeinflussen will. Versöhnlicher gestimmt ist Jost Müller-Neuhof, Rechtsredakteur beim "Tagesspiegel" in seiner Übersicht über "Wert und Wirkung von Rechtskommunikation und Rechtsöffentlichkeit in den Medien und für die Medien": Für ihn geht es im Gerichtssaal "immer noch und immer wieder, um Recht und Unrecht."
Die letzten zwei Beiträge des Tagungsbandes stammen aus der Feder des Kommunikationswissenschaftlers Hans Mathias Kepplinger und von Rudolf Gerhardt. Die von ihnen ausgewerteten empirischen Studien sollen den Einfluss der Medienberichterstattung auf bestimmte Akteure im Gerichtssaal nachweisen. Über den Einfluss von Litigation-PR auf die Medienberichterstattung ist damit leider nichts gesagt. Hier zeigt sich die Krux, dass ein Phänomen untersucht werden soll, "das sich möglichst unsichtbar macht", wie Boehme-Neßler eingangs feststellt.
Mit "Die Öffentlichkeit als Richter?" hat Boehme-Neßler einen Sammelband herausgegeben, der die bisher in Deutschland erschienenen Monographien sinnvoll ergänzt, werden in den Beiträgen nämlich nicht nur die Licht-, sondern auch die Schattenseiten der Litigation-PR beleuchtet.
Boehme-Neßler, Volker (Hrsg.), Die Öffentlichkeit als Richter? Litigation-PR als neue Methode der Rechtsfindung, Nomos, Baden-Baden 2010, € 52,00, 978-3-832-95276-1
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Jean-Claude Alexandre Ho, "Die Öffentlichkeit als Richter?" von Volker Boehme-Neßler: . In: Legal Tribune Online, 26.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2388 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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