Mehr Transparenz, ein neuer Strafenkatalog und die Einbeziehung von Fan-Vertretern: Der DFB verändert massiv die Stellschrauben seiner Sportgerichtsbarkeit. Für die Fans könnte sich einiges zum Positiven wenden.
Der Deutsche Fußball-Verband (DFB) hat am Freitag eine Reform seiner Strafgerichtsbarkeit in die Wege geleitet: In den obersten Gremien des Verbandes wurden Beschlüsse gefasst, um das Verfahren an einigen Stellen stärker an die ordentliche Gerichtsbarkeit anzunähern und um rechtsstaatliche Elemente anzureichern. Für Bundesligavereine soll zudem der Anreiz erhöht werden, auch nach einer rechtskräftigen Entscheidung des Sportgerichts Anstrengungen zu unternehmen, die Täter zu ermitteln und gegen diese vorzugehen.
Das DFB-Sportgericht ist zuständig für verbandsinterne „Strafverfahren“, die Sanktionen gegen Vereine oder Spieler – zum Beispiel nach roten Karten - der höheren Ligen nach sich ziehen. Beim Fehlverhalten von Zuschauern, wenn diese beispielsweise im Block mit Pyrotechnik zündeln oder beleidigende Spruchbänder hochhalten, kann der Verband nicht gegen die Täter selbst vorgehen. Das bleibt den Vereinen überlassen. Sie können sich eine gegen sie verhängte Geldstrafe anschließend im zivilgerichtlichen Verfahren vom Täter zurückholen. Der Bundesgerichtshof hatte diese zivilrechtliche Inregressnahme im Jahr 2016 gebilligt (BGH, Urt. v. 22.09.2016, Az. VII ZR 14/16).
In der Bundesligarückrunde 2016/2017 war das Verhältnis zwischen Fans und DFB eskaliert. „Fick dich DFB“ oder „Krieg dem DFB“ stand auf ihren Plakaten, insbesondere denen der sog. Ultra-Gruppierungen. Diese Hardcore-Fans, die in den Kurven zumeist für Stimmung und aufwändige Choreografien zuständig sind, fühlten sich vom Verband schikaniert und ungerecht behandelt. Ob es dabei um das Verbot von Fanutensilien oder um verhasste Kollektivstrafen ging: „Unser Problem mit Euch:“ Eure selbstgerechte Sportgerichtsbarkeit“, hieß es beispielsweise auf einem Transparent in der Kurve von Dynamo Dresden.
Kollektivstrafen als „ultima ratio“ weiter möglich
Ein besonderer Dorn im Auge waren den Fans die sog. Kollektivstrafen. Dabei wird für das Fehlverhalten Einzelner immer auch eine Vielzahl Unschuldiger sanktioniert. Hier war der DFB ihnen bereits 2017 entgegengekommen, indem er sich zu einem vorläufigen Verzicht auf Sanktionen wie die Blocksperren, Teilausschlüssen oder Geisterspielen durchrang. Gegenüber LTO bekräftigte DFB-Vizepräsident Rainer Koch, der im Verband u.a. für Recht und Satzungsfragen zuständig ist, die Fortgeltung dieses Verzichts – allerdings mit Einschränkungen:
"Beim Thema Kollektivstrafen gilt weiterhin, dass der Kontrollausschuss in der Regel keine Strafen beantragen wird, die unmittelbare Wirkung auf Fans haben, deren Beteiligung an Verstößen gegen die Stadionordnung nicht nachgewiesen ist.“
Andererseits, so Koch, könne das Instrument aber auch nicht vollständig aus der DFB-Satzung gestrichen werden. Dem DFB-Vize zufolge kann es zu Fallkonstellationen kommen, bei denen Zuschauerausschlüsse als Sanktion möglich sein müssen: „Stellen Sie sich etwa - wie gelegentlich im Ausland zu beobachten -vor, dass aus einer 5.000-Leute Kurve 200 Personen schwerwiegende rassistische Äußerungen machen. Dann sind anschließend sicher Maßnahmen unausweichlich, die auch Unbeteiligte treffen“, so Koch, der auch noch als Vorsitzender Richter am OLG München tätig ist.
Künftig Fan-Sachverständige im Gerichtssaal
Gefallen dürften Fanvertretern dagegen Änderungen an der Rechts-und Verfahrensordnung des DFB, die der DFB-Vorstand am Freitag beschloss und die nach den Worten Kochs gegenüber LTO „auch den Wünschen der Fans entsprechen“. „So wird jetzt erstmals auch im Rahmen eines sportgerichtlichen Verfahrens, sollte es zu einer mündlichen Verhandlung kommen, die Möglichkeit einer Hinzuziehung von Fan-Sachverständigen geschaffen - vergleichbar mit der Jugendgerichtshilfe im Jugendstraffrecht." Gerade in schwerwiegenden Fällen dürfte die Expertise und das Insiderwissen von Fanbetreuern für das Gericht hilfreich sein.
Deeskalierend und im Sinne der Fans dürften auch Änderungen sein, die die Anklagebehörde des Verbands betreffen. Dieser sog. DFB-Kontrolllausschuss war bei Fehlverhalten der Fans bisher streng angehalten, den Legalitätsgrundsatz zu beachten, also alles zu verfolgen, wovon er erfährt.
Nach Erläuterungen von DFB-Vize Koch wurde dieser Grundsatz am Freitag nun eingeschränkt. Bei bestimmten Delikten soll es jetzt ein Antragserfordernis wie im Strafgesetzbuch geben, ohne Antrag soll der Kontrollausschuss also nicht ermitteln können. Nur noch auf Antrag soll der Kontrollausschuss künftig „bei unsportlichem Verhalten von Zuschauern und Anhängern“, die verbotene Bannern oder Transparenten zeigen, ermitteln.
„Strafenkatalog im Dialog mit Fanorganisationen besprechen“
Auch bei einem weiteren Thema bahnt sich eine Lösung an: Immer wieder war dem Verband von Fans vorgeworfen worden, ein undurchsichtiges, intransparentes und unverhältnismäßiges Sanktionensystem anzuwenden.
Nun kündigte der DFB gegenüber LTO an: „Zur neuen Saison 2018/2019 soll dem Kontrollausschuss für die Fälle von Zuschauerfehlverhalten ein Strafenkatalog an die Hand gegeben werden, dem transparent und für alle Beteiligten nachvollziehbar die Strafanträge des Kontrollausschusses entnommen werden können. Dieser Strafenkatalog wird Teil einer vom DFB-Präsidium zu beschließenden Richtlinie für die Arbeit des Kontrollausschusses sein.“
Fanvertreter hatten sich in den vergangenen Tagen verwundert über Medienberichte gezeigt, in denen es zunächst geheißen hatte, dass der Verband diesen Strafenkatalog – vergleichbar mit der Punktekartei für Autofahrer in Flensburg – bereits am Freitag beschließen könnte. Zu diesen Pressemeldungen stellte der DFB-Vize jetzt klar: "Es gibt einen im Kontrollausschuss erarbeiteten Richtlinienentwurf, der nunmehr zunächst im Dialog mit den Fanorganisationen besprochen und anschließend im DFB-Präsidium zu beschließen sein wird."
Streitpunkt: Inregressnahme der Täter
Heikel und für die Vertreter von Fanorganisationen weiterhin hochproblematisch bleibt indes das Thema Inregressnahme. Ihre Sorge: Wenn die teilweise hohen Geldstrafen von den Vereinen auf die ermittelten Täter eins zu eins umgelegt werden, kann das für manchen Jugendlichen existenzvernichtende Wirkung haben. Der Verband hält jedoch, nicht zuletzt aus präventiven Erwägungen, an diesem Mittel fest, wie Rainer Koch bekräftigte:
„Der DFB-Kontrollausschuss und die DFB-Sportgerichtsbarkeit werden ihre Arbeit auch künftig vorrangig „täterorientiert“ ausrichten, das heißt die Ermittlung der verantwortlichen Täter durch den Heim- und den Gastverein und deren Bestrafung bzw. Inregressnahme durch die Vereine und dadurch die Verhinderung zukünftiger Ordnungsverstöße sind das primäre Ziel des sportstrafrechtlichen Handelns der DFB-Rechtsorgane." Die vom BGH jetzt abschließend gebilligte zivilrechtliche Inregressnahme der Täter durch die Vereine sei weiterhin erforderlich, „um die Einhaltung der Stadionordnungen auf den Rängen durchzusetzen“.
Schon jetzt belohnt das DFB-Sportgericht Vereine im Rahmen der Strafzumessung, wenn sie Anstrengungen zur Tataufklärung und Täterermittlung leisten. In einem 9-Punkte-Papier des Verbandes heißt es, dass es sich sanktionsmindernd auswirke, „wenn ein Verein den ihn treffenden zentralen Pflichten zur Tataufklärung und Täterermittlung nachkomme, insbesondere dann, wenn ihn am Zuschauerfehlverhalten selbst kein eigenes Verschulden trefft (verschuldensunabhängige Haftung)“.
„Vereine sind keine alternativen Ermittlungsbehörden“
Am Freitag beschloss der DFB-Vorstand nun weitere Anreize für die Vereine, eine Art Wiederaufnahme des Verfahrens: Rainer Koch erläutert: „Der DFB-Vorstand hat eine Regelung verabschiedet, die den Vereinen weiteren Anreiz verschafft, die Täter auch noch lange nach dem Vorfall zu ermitteln: Künftig kann eine verhängte, rechtskräftige Strafe noch im Nachhinein abgemildert werden, wenn seitens des Vereins der oder die Täter bis zu 12-Monate nach der sportgerichtlichen Entscheidung ermittelt wurden oder - noch besser - Täter sich selbst zu der Tat bekennen."
Fanvertreter kritisieren unterdessen grundlegend den Appell des DFB an die Vereine, die Täter ausfindig zu machen: „Die Vereine dürfen nicht zu alternativen Ermittlungsbehörden gemacht werden. Strafverfolgung ist alleine Aufgabe der staatlichen Strafverfolgungsbehörden“, meint etwa Volker Goll von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS). Der Leiter der Abteilung Fanangelegenheiten in der Deutschen Fußball Liga (DFL), Thomas Schneider, kann sich in den Vereinen zukünftig „Vereinsgerichte“ vorstellen; eine Art Schiedsstellen, in denen der Verein gemeinsam mit den Tätern nach Lösungen sucht und so möglicherweise einen Regress vermeidet. „Dann kann zum Beispiel ein Täter-Opfer-Ausgleich oder Sozialarbeit im Vordergrund stehen, so Schneider.
Auch wenn also das Verhältnis zwischen DFB und Fußballfans in vielen Punkten noch gespannt bleiben wird, zeigte sich DFB-Vize Rainer Koch optimistisch: "Wir wollen den konstruktiven Dialog mit den Fans und den Vertretern ihrer Organisationen fortsetzen.“ Seit den Transparenten mit schlimmen Androhungen an die Adresse des DFB in der Rückrunde 2016/17 habe sich „die Situation jedenfalls für den Moment erfreulicherweise deutlich entspannt", sagte er im Gespräch mit LTO.
Hasso Suliak, DFB modernisiert Sportgerichtsverfahren: . In: Legal Tribune Online, 09.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27443 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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