Deutschland braucht ausländische Fachkräfte, das ist nichts Neues. Mit der zum 1. August in Kraft tretenden Neuregelung, die deren Zuzug vereinfachen soll, geht die Bundesregierung über die europäischen Vorgaben sogar noch hinaus. Völlig zu recht, meint Winfried Kluth – aber reichen wird auch das noch lange nicht.
Mit einem Jahr Verspätung hat der Deutsche Bundestag im Juni dieses Jahres die so genannte Blue-Card-Richtlinie der Europäischen Union umgesetzt. Deren offizielle Bezeichnung als Hochqualifizierten-Richtlinie lässt deutlicher werden, worum es geht: zusätzliche Anreize und Vereinfachungen für den Zuzug von Fachkräften aus Drittstaaten in die Europäische Union.
Während die Bundesregierung bei den Ausländerrechts-Richtlinien ein Jahr zuvor noch strikt den Kurs einer eins-zu-eins-Umsetzung verfolgte und sich zusätzlicher politischer Gestaltung enthielt, ging man diesmal über das unionsrechtlich vorgegebene Ziel hinaus und schuf eine "Blue Card Plus".
Das war möglich, weil in Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat die Einsicht gereift ist, dass sich Deutschland mehr denn je um die Zuwanderung qualifizierter Menschen aus Drittstaaten bemühen muss, um die Folgen des demografischen Wandels auszugleichen und den aktuellen Stand wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu erhalten.
Deutliche Zahlen, bisher wenig Erfolge
So wird im Freistaat Sachsen im Jahr 2020 der Anteil der Erwerbstätigen nur noch 76 Prozent des Niveaus im Jahr 2000 betragen. Gleichzeitig müssen die dann eine deutlich größere Zahl an Rentenempfängern mitfinanzieren, als dies heute der Fall ist.
Deutlich wird die Problematik auch bei der Besetzung freier Stellen. So wird für Baden-Württemberg als einen der führenden Industriestandorte für das Jahr 2013 ein Fachkräftemangel von 200.000 Personen prognostiziert.
Die neue Regelung ist nicht die erste gesetzgeberische Maßnahme mit dem Ziel, den Zuzug von Fachkräften zu erleichtern. So privilegierte schon bisher die Vorschrift des § 19 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) die Niederlassung von Hochqualifizierten, indem sie ihnen den Umweg über einen befristeten Aufenthalt ersparte blieb, allerdings ohne dass sie eine spürbare praktische Wirkung entfaltet hätte.
Die Zahl der Bewilligungen nach dieser Vorschrift blieb deutlich hinter den Erwartungen zurück, nicht zuletzt wegen des geforderten Mindestgehalts in Höhe von 66.000 Euro.
Leichter kommen, leichter bleiben Die neuen Regelungen verfolgen zwei Ziele: Die Zuwanderung von qualifizierten Kräften aus Drittstaaten soll erleichtert und die Aufenthaltsverfestigung für die bereits zugewanderten Fachkräfte zugleich verbessert werden. Mit dem zweiten Ziel trägt der Gesetzgeber der realistischen Einschätzung Rechnung, dass auch für diejenigen Hochqualifizierten, die sich bereits in Deutschland aufhalten, weitere Anreize zum Verbleib geschaffen werden müssen.
Dabei setzt die Bundesregierung mehrere Mittel ein. Die Fristen zur Arbeitssuche für ausländische Hochschulabsolventen und Akademiker wurden verlängert (§ 16 Abs. 4 und § 18c AufenthG) und auf Auszubildende erstreckt (§ 17 III, § 16 Vb AufenthG). Dadurch sollen Ausländern, die in Deutschland ihre Ausbildung absolviert haben und damit in der Regel schon sozial integriert sind, der Zugang zum Arbeitsmarkt und ein Daueraufenthalt erleichtert werden – durchaus im eigenen Interesse des deutschen Staates und der deutschen Wirtschaft. Weiter wurden die Anforderungen an den Erwerb einer Niederlassungserlaubnis abgesenkt und die bisherigen Gehaltsgrenzen gestrichen (§ 19 AufenthG). Das klingt nach einem großen Schritt. In der Anwendungspraxis war die Vorschrift bislang aber auf Wissenschaftler beschränkt und hat kaum Fachkräfte für die Wirtschaft angelockt.
Blue Card auf deutsch: Schon nach zwei Jahren zur Niederlassungserlaubnis
Außerdem führt die Neuregelung die von der Richtlinie geforderte Blue-Card als europäischen Aufenthaltstitel in § 19a ein. Auch dieser neue Aufenthaltstitel kürzt den Weg zu einem sicheren Daueraufenthalt ab. Der Erwerb der Blue-Card setzt voraus, dass eine Mindestgehaltsgrenze von 44.800 Euro erreicht wird, die bei "Mangelberufen" sogar nur 35.000 Euro beträgt.
Mit der Blue Card ist die Anwartschaft auf eine Niederlassungserlaubnis verbunden. Das "Plus" gegenüber den Vorgaben der Richtlinie verdient sich die deutsche Regeung damit, dass diese Anwartschaft nicht erst nach fünf, sondern bereits nach zwei Jahren zum vollen Recht erstarken, das heißt zu einer Niederlassungserlaubnis führen kann. Darin sieht der Gesetzgeber einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Staaten, die von den Maßgaben der Richtlinie ausgehen.
Schließlich lockert das Gesetz die Voraussetzungen für die Gründung eines Unternehmens sowohl durch Drittstaatsangehörige, die zu diesem Zweck einreisen, als auch durch ausländische Absolventen deutscher Hochschulen (§ 21 AufenthG). Vor allem die zweite Variante verweist auf das Potenzial, das den deutschen Hochschulen bei der Bewältigung des demografischen Wandels zukommt und noch stärker als bisher in der Hochschulpolitik beachtet werden sollte.
Migration alleine schließt die Lücke nicht
Pressemeldungen der letzten Monate, die über einen verstärkten Zuzug junger Akademiker aus Spanien, Italien und Griechenland berichten, deuten keine Trendwende an. Im Vergleich zu dem tatsächlichen Fachkräftebedarf handelt es sich um geringe Zahlen im niedrigen zweistelligen Tausenderbereich. Sie beeindrucken nur deshalb, weil sie eine hohe prozentuale Steigerung auf der Basis eines sehr geringen Ausgangsniveaus darstellen. Zudem geht es dabei um die ohnehin freie Migration innerhalb der Europäischen Union, für die schon lange keine rechtlichen Barrieren mehr bestehen.
Die Auswirkungen der neuen Regelungen zu prognostizieren fällt schwer. Migration wird nur zu einem sehr geringen Ausmaß durch den Rechtsrahmen positiv motiviert. Sprachliche und kulturelle Barrieren spielen eine bedeutendere Rolle, da sie im Alltag eine größere Hürde darstellen als der in Europa inzwischen ohnehin vereinheitlichte Rechtsrahmen. Außerdem ist n vielen Staaten, aus denen traditionell qualifizierte Kräfte auswandern, die wirtschaftliche Entwicklung inzwischen so weit fortgeschritten, dass die Anreize zur Auswanderung gesunken sind. Dies gilt etwa für Indien, aber auch innerhalb der Europäischen Union. So war nach Eintritt der vollen Freizügigkeit im Mai 2010 kaum Zuzug aus Polen und Tschechen zu verzeichnen.
Die deutsche Politik muss sich deshalb auch und vor allem auf anderen Feldern bemühen, die Zahl der erwerbtätigen Personen zu erhöhen. Familienförderung und die Vereinbarkeit von Beruf und Familien müssen dabei an erster Stelle stehen. Frankreich, das anders als Deutschland demografisch stabil ist, zeigt, dass dieses Ziel auch in Mitteleuropa erreicht werden kann.
Der Autor Prof. Dr. Winfried Kluth ist Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Richter des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt. Er forscht unter anderem zum deutschen und europäischen Migrations- und Berufsrecht.
Deutschland setzt Hochqualifizierten-Richtlinie um: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6751 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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