Nach Ungarn bereitet nun auch Rumänien der EU Sorgen. Mittels Notverordnungen und vorgetäuschten Selbstmordversuchen hebelt die Regierung nach und nach die Gewaltenteilung aus. Während das Europäische Parlament die Angelegenheit parteipolitisch diskutiert, hat die Kommission einen Forderungskatalog vorgelegt. Ob die Brüsseler Politik langfristig Auswirkungen haben wird, kommentiert Axel Bormann.
Die Justiz ist zu weit gegangen: Am 20. Juni verurteilte der Oberste Kassations- und Gerichtshof in der rumänischen Hauptstadt Bukarest den früheren Ministerpräsidenten Adrian Nastase zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe, ohne Bewährung. Nichts konnte verhindern, dass er diese inzwischen auch tatsächlich antreten musste: Es half nicht, dass der derzeitige Ministerpräsident Victor Ponta in letzter Sekunde den Geschäftsführer der staatlichen Baufirma, die in dem Verfahren als Geschädigte auftrat, absetzte. Und auch ein vorgetäuschter Selbstmordversuch Nastases konnte den Haftantritt nicht abwenden.
Dass es hierzu kommen konnte, ist bei allen eigenen Verfehlungen des Präsidenten und seiner Mitstreiter, ein Verdienst der politischen Kräfte um Präsident Traian Basescu. Dieser wurde nun Anfang Juli durch Beschluss der Regierungsmehrheit im Parlament von seinem Amt suspendiert, nachdem die Regierung Ponta dem Verfassungsgericht zuvor per Notverordnung das Recht entzogen hatte, über die Verfassungsmäßigkeit von Parlamentsbeschlüssen zu entscheiden. Noch für diesen Monat ist ein Referendum geplant, das über seinen Verbleib im Amt entscheiden soll.
Das Programm der Regierung Ponta steht unter einer zentralen Prämisse: Ein Fall Nastase soll sich unter keinen Umständen wiederholen. Ponta selbst spricht davon, dass seine Regierung mit zwei Dritteln ihrer Kapazität mit der Abwehr "feindlicher Angriffe" beschäftigt sei. Diese "feindlichen Angriffe" kämen in erster Linie aus der Justiz.
Regierungsnaher Medientycoon entkommt Verurteilung
Ein Lehrbuchbeispiel für die erfolgreiche Abwehr solcher Angriffe ist die Verhinderung der Verurteilung von Dan Voiculescu. Dieser, ein der sozialdemokratischen Regierungspartei PSD nahestehender Privatisierungsgewinnler und Medientycoon, der die meisten rumänischen Fernsehsender kontrolliert, stand kurz vor seiner Verurteilung durch den Obersten Gerichtshof wegen verschiedener Korruptionsdelikte.
Durch entschlossenes Eingreifen, in engem Zusammenwirken mit dem Angeklagten, konnte die Regierung jedoch verhindern, dass es so weit kam: Der angeklagte Voiculescu gab kurz vor der Urteilsverkündung sein Mandat als Senator zurück. Ministerpräsident Ponta seinerseits sorgte dafür, dass dies mittels einer eigens zu diesem Zweck veröffentlichten Sondernummer des rumänischen Gesetzblattes so rasch rechtswirksam wurde, dass der Oberste Gerichtshof noch vor der Urteilsverkündung seine Zuständigkeit verlor.
Das Verfahren muss nun neu aufgerollt werden. Mit einer Verurteilung ist allerdings nicht mehr zu rechnen, da die Voiculescu zur Last gelegten Straftaten bis zum Abschluss des neuen Verfahrens verjährt sein werden.
Durchregieren um jeden Preis
Das Parlament durch Notverordnungen, die nach der rumänischen Verfassung eigentlich nur in dringenden Ausnahmefällen erlassen werden dürfen, zu umgehen, hat in der rumänischen Politik zwar eine langjährige Tradition. Neu ist jedoch, dass sie eingesetzt werden, um das institutionelle Gleichgewicht zugunsten der Exekutive zu verschieben und ein Durchregieren gegen alle Widerstände zu ermöglichen.
Die Kompetenzen des Verfassungsgerichts werden per Notverordnung beschnitten. Der Volksanwalt, der dagegen hätte klagen können, wird durch einen Parlamentsbeschluss abgesetzt. Dies wiederum ist ein Beschluss, für dessen Überprüfung das Verfassungsgericht nicht mehr zuständig ist – so schließt sich der Kreis der forcierten Erosion der verfassungsgemäßen Kompetenzverteilung.
In diese Reihe gehört auch die Abschaffung des 50-Prozent-Quorums für ein Referendum; eine Änderung, die die Regierung ebenfalls per Notverordnung durchgesetzt hat. Die Absetzung des Präsidenten soll diesmal unbedingt gelingen. Dass die rumänische Verfassung den Erlass von Notverordnungen, die grundlegende rechtsstaatliche Institutionen und deren Zusammenwirken betreffen, eigentlich ausdrücklich verbietet, sei hier nur am Rande vermerkt.
EU hat keine effektiven Druckmittel
Dass insbesondere Vertreter der sozialdemokratischen Fraktion des Europaparlaments, der auch Pontas Partei angehört, zunächst keine Rechtsverstöße erkennen konnten, mutet allein schon angesichts des evidenten Verfassungsbruchs zynisch an. Die Europäische Kommission hat nun einen Katalog mit elf Forderungen vorgelegt hat, die unter anderem darauf zielen, dass die schwerwiegendsten Verfassungsverstöße rückgängig gemacht werden. Hierzu zählt insbesondere die Aufhebung mehrerer Notverordnungen, mit denen unter anderem die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts beschnitten und das Referendumsgesetz geändert wurde. Auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, hat sich zu einer kritischen Stellungnahme entschlossen. Er verlangt eine rasche und konsequente Umsetzung der von der EU-Kommission vorgelegten Liste. Ob dieser Druck aus Brüssel langfristig etwas bewirkt, bleibt allerdings abzuwarten, auch wenn Victor Ponta inzwischen die Behebung der meisten der von der Kommission kritisierten Missstände zugesagt hat: Schon der derzeitig in Haft sitzende ehemalige Ministerpräsident Nastase war ein Meister darin, gegenüber den Institutionen der Europäischen Union (EU) Reformwillen zu bekunden, und eben diese Reformen zu Hause zu blockieren. Ponta ist ein politischer Ziehsohn Nastases. Seine mittlerweile in wesentlichen Teilen als Plagiat entlarvte Doktorarbeit wurde von Nastase betreut. Europäische rechtsstaatliche Ideale bedeuten ihm und seinen Mitstreitern nichts, ihre Prämissen sind anderer Art.
Außer den Beitritt Rumäniens zum Schengen-Raum weiter aufzuschieben, verbleiben der EU allerdings kaum noch Druckmittel gegenüber Rumänien. Die in den Verträgen für derartige Fälle vorgesehenen Maßnahmen und Verfahren sind dysfunktional. Das hat schon das Beispiel Ungarn gezeigt.
Der Autor Axel Bormann ist Wissenschaftlicher Referent für Rumänien und die Republik Moldau am Institut für Ostrecht in Regensburg und schreibt an seiner Dissertation Thema "Die Rechtsprechung des EGMR zu Rumänien". Er ist zudem als Rechtsanwalt mit Beratungsschwerpunkt Rumänien tätig.
Demontage des rumänischen Rechtsstaates: . In: Legal Tribune Online, 23.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6673 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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