Gläubige Katholiken haben keine Wahl: Sie müssen einmal jährlich, am besten zur Osterzeit, zum Gottesdienst, um sich nicht zu versündigen. Wie passen Pflicht und Recht zur Absage von Präsenzgottesdiensten? Gar nicht, erklärt Johannes M. Jäger.
Für Christen ist Ostern nicht irgendein Fest, zu dem die Familie aufgehübscht zum Gottesdienst geht. Es ist der Höhepunkt des Kirchenjahres: Über mehrere Tage feiern Gläubige die Auferstehung Jesu Christi. Nun mag nicht jedes Kirchenmitglied gläubig sein, doch die Evangelische Kirche in Deutschland hat ca. 20,7 Millionen Mitglieder, wovon etwa 700.000 an einem "normalen" Sonntag den Gottesdienst besuchen. Die katholische Kirche hat mit rund 22,6 Millionen etwas mehr Mitglieder und zählt davon 2,1 Millionen als Besucher der Sonntagsmesse außerhalb der Hochfeste (alle Zahlen für 2019).
Dennoch baten die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsident:innen vergangene Woche die Kirchen, auf Präsenzgottesdienste an Ostern zu verzichten. Diese Bitte haben sie inzwischen zurückgenommen, doch viele evangelische und katholische Gemeinden haben ihre Präsenzgottesdienste längst abgesagt. Nun haben sogar einzelne Kommunen – wie die nordrhein-westfälische Stadt Lage – Gottesdienstverbote aus Infektionsschutzgründen verhängt.
Katholiken und ihre Messe als "Geheimnis des Glaubens"
Für Christen aller Konfessionen ist das schmerzhaft, tatsächlich hat eine Absage von Gottesdiensten für Katholiken eine noch größere Dimension. Denn bei ihnen findet die Heilige Messe ihren Höhepunkt in dem Sakrament der Eucharistie, an der nur der anwesende Gläubige wirksam teilnimmt – so sieht es das katholische Kirchenrecht im Codex Iuris Canonici (CIC) vor. Katholiken müssen ein Mal jährlich, und zwar möglichst in der Osterzeit, im Anschluss an die Eucharistie die Kommunion empfangen, c. 920 CIC.
Mit den im CIC enthaltenen „Grundrechten“ wird entsprechend der Anspruch der Gläubigen u.a. auf den Messbesuch geschützt (cc. 213, 214 CIC). Wenn ein Bischof Gottesdienste verbietet oder eine Pfarrei schlicht keine anbietet, so ist dies an ebendiesen Grundrechten zu messen, deren Prüfung sich weithin an der weltlichen Dogmatik (Vorliegen eines Eingriffs in den Schutzbereich und Erforderlichkeit einer spezifisch kirchenrechtlichen Rechtfertigung) orientiert.
In diesem Jahr entschieden die katholischen Bischöfe, an Ostern nicht auf Präsenzgottesdienste mit Gläubigen zu verzichten. Blickt man auf das im Kirchen- und im Staatsrecht gleichermaßen streng geschützte Grundrecht der Gläubigen, an Gottesdiensten teilzunehmen, blieb ihnen auch kaum eine andere Wahl.
Kirchliche Rechtfertigung der Absage
Im vergangenen Jahr war das noch anders. Mit den Verordnungen der Länder waren im März 2020 zumeist religiöse Versammlungsverbote verbunden, vgl. etwa § 1 Abs. 1 S. 2 Erste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Und diese trugen auch die Kirchen weitgehend mit.
Zwar ist dogmatisch bereits eine kirchenrechtliche Ermächtigungsgrundlage für die Untersagung der Messteilnahme nicht leicht zu finden: Weder gibt es eine spezielle Ermächtigungsgrundlage, noch kann sich die Amtskirche – mangels Normierung im CIC – auf ein „Notstandsrecht“ berufen, wie es z.B. das Grundgesetz (GG) für Krisensituationen kennt.
Die katholischen Bischöfe – als Inhaber aller drei Gewalten in der nicht demokratisch verfassten Kirche – verhängten also analog zu den Versammlungsverboten kircheninterne Gottesdienstverbote und zwar mit allgemeinen Dekreten (Gesetzen). Zugleich befreiten die Bischöfe mit Dispensen (Verwaltungsakten) nach c. 87 § 1 CIC von der sog. Sonntagspflicht, also der in c. 1247 CIC normierten Pflicht zum wöchentlichen Kirchgang. All dies geschah ausdrücklich auf Basis der damaligen Pandemieeinschätzungen der Regierung.
Körperliche Unversehrtheit als Teil des spirituellen Heilsbegriffs
Doch waren diese Verbote zulässig? Die Bistümer konnten im vergangenen Jahr nur die bischöfliche Leitungsgewalt aus c. 381 § 1 CIC für die Absage der Präsenzgottesdienste heranziehen. Auf Grundlage dieser allgemeinen Befugnisnorm ergehende Grundrechtseinschränkungen sind allerdings an den strengen Auslegungsregeln der cc. 17-19, 135 § 2 CIC und damit an der sonstigen Kirchenrechtsordnung zu messen.
Eine Vorschrift, die für die Zulässigkeit kircheninterner Gottesdienstverbote eine Auslegungshilfe sein kann, ist c. 223 § 2 CIC. Sie erlaubt es den Bischöfen, die Grundrechtsausübung zum „Gemeinwohl der Kirche“ (= Seelenheil) zu regeln, nicht aber sie den Gläubigen unmöglich zu machen. Im Rahmen dieser Norm kann zudem der – menschlich nachvollziehbare und weltlich-rechtlich gebotene –Infektionsschutz ein kirchlich legitimer Eingriffszweck nur sein, wenn man das von der Kirche anerkannte Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit über den Wortlaut hinaus unter den an sich spirituellen Heilsbegriff subsumiert.
In jedem Fall muss ein Gottesdienstverbot angemessen sein. Der CIC hält indes selbst in Krisenzeiten an dem Empfang der Sakramente fest – siehe nur formerleichterte Nottaufen oder -eheschließungen, die nach cc. 850, 1116 CIC ohne Pfarrer erlaubt sind.
Rechtspraktisch betrachtet können all diese Prüfungs- und Kritikpunkte dahinstehen, da der Papst – als Oberhaupt der Kirche – nicht in die Entscheidungen der Bischöfe eingriff. Vielmehr erließ er selbst im Frühjahr 2020 als Bischof von Rom entsprechende Gottesdienstverbote.
Nur ein Petitionsrecht der Gläubigen an die Bischöfe
Gläubige aber müssen derartiges nicht gänzlich klaglos hinnehmen: Wollen sich Gläubige gegen die kirchlichen Verbote von Ostermessen oder ihre Absage kirchenintern zur Wehr setzen, so existiert zwar kein formalisiertes Eilrechtsschutzsystem. Ein kirchliches Gottesdienstverbot könnte nur auf einen form- und fristlosen Antrag hin vom Vatikan auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden. Dies kann Monate oder gar Jahre dauern.
Doch den Gläubigen bleibt, eine Petition gemäß c. 212 § 2 CIC bei ihrem Bischof einzulegen. Im vergangenen Jahr sind einige Gläubige diesen Weg gegangen – weil der Bischof gewissermaßen Richter in eigener Sache ist, verwundert es aber nicht, dass alle bekannten Eingaben kurzerhand abgelehnt wurden.
BVerfG: Schwerwiegende Eingriffe in die Religionsfreiheit
Daneben strengten im vergangenen Jahr vor allem katholische Gläubige bei den staatlichen Gerichten Eilverfahren gegen die Ostergottesdienstverbote der Länder an. Sie rügten Verletzungen des Bestimmtheits- und des Wesentlichkeitsprinzips mit der damaligen Generalklausel des § 28 Infektionsschutzgesetz (IfSG) sowie die Unangemessenheit der auf dieser Basis ergangenen Gottesdienstverbote.
Sie blieben einstweilen erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg (Beschl. v. 08.04.2020, Az. 11 S 21/20) etwa entschied, dass durch die Gottesdienstverbote schon der Kernbereich der Religionsfreiheit nicht berührt sei. Das Gericht verwies die Antragsteller auf die mögliche individuelle Einkehrmöglichkeit in Kirchen und daneben auf die Teilnahme an Online-Ostermessen.
Diese staatskirchenrechtlich fragwürdige Argumentation korrigierte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) umgehend (Beschl. v. 10.04.2020, Az. 1 BvQ 31/20): Gerade für Katholiken sei die untersagte Osterfeier ein überaus schwerwiegender Eingriff. Dieser könne über die damalige Generalklausel nur übergangsweise in der Pandemie gerechtfertigt sein und unterliege einer fortlaufenden Neubewertung der Lage. In 2020 kam das BVerfG allerdings zum gleichen Ergebnis wie das OVG: Die Behörden durften die Präsenzgottesdienste verbieten.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (Hess. VGH) zeigte im Jahr 2020 im Eilverfahren eine besondere Auffassung der Staat-Kirche-Kooperation des GG. Das Gericht bezweifelte schon das Rechtsschutzinteresse des katholischen Antragstellers: Selbst eine Aufhebung des staatlichen Verbots bringe ihn im Grunde nicht weiter, da der Bischof von Limburg ja ein eigenes – und weitergeltendes – Messeverbot verhängt habe. Jedoch kassierte das BVerfG ebenso dieses Argument und verwies auf die freie Entscheidung der Kirchen für ihre Verbote. Diese würden wohl – i.S.e. Kooperation auf Augenhöhe – ohne staatliche Verbote umgehend zurückgenommen (Hess. VGH, Beschl. v. 07.04.2020, Az. 8 B 892/20.N.; BVerfG, Beschl. v. 10.04.2020, Az. 1 BvQ 28/20).
Mallorca-Urlaub vs. Gottesdienste
Doch was gilt in diesem Jahr? Die Spitzen der Exekutive in Bund, Ländern und Kommunen halten zum Teil bis heute pauschale Gottesdienstverbote für unbedenklich: Während also die eher dem weltlichen Genuss dienenden Mallorca-Urlaube oder Einkäufe in Weinhandlungen ohne substanzielle Einschränkungen erlaubt sind, wollten Bund und Länder die Religionsfreiheit erneut – wenn auch über Appelle an die Kirchen – im Kern einschränken. Interessant ist dies schon, weil Einkäufe oder Urlaube unter dem einfachen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG stehen, der Messbesuch nach Art. 4 Abs. 1, 2 GG dagegen nicht.
Unter den vom BVerfG vergangenes Jahr aufgestellten Leitlinien zur Prüfung der zeitlichen und örtlichen Angemessenheit sind die aktuell auf kommunaler Ebene beschlossenen Gottesdienstverbote – wie die Allgemeinverfügung der Stadt Lage – zu sehen. Als Grundlage dient insbesondere der vom Gesetzgeber im November 2020 eingeführte § 28a Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 Nr. 1 IfSG, der auch die Anforderungen des BVerfG umsetzt. Danach gilt: Gottesdienstverbote sind nur als ultima ratio denkbar.
Mehr Kirche als Stadion wagen
Die Haltung der katholischen und evangelischen Bischöfe, Ostern 2021 unter Hygieneauflagen mit Gläubigen feiern zu wollen, steht nach alldem mit den staats- und kirchenrechtlichen Grundsätzen im Einklang. Staat und Kirchen wollen und sollen nach der für diesen Bereich noch immer geltenden Weimarer Reichsverfassung kooperieren. Einen Dissens in Sachfragen schließt das freilich nicht aus. Mit der nun angekündigten gerichtlichen Überprüfung des kommunalen Verbotes in Lage für dieses Osterfest unterstreicht die (lokale) Amtskirche diese kritische, aber von gegenseitiger Akzeptanz geprägte Kooperation.
Niemand weiß, wie viele Gläubige "nach Corona" den Weg zurück in die Sonntagsgottesdienste finden. Was Politiker, Bischöfe und örtliche Geistliche bei ihren Entscheidungen für oder gegen Präsenzgottesdienste im Sinn haben sollten: Vor der Pandemie besuchten an einem normalen Sonntag in beiden großen Kirchen über fünf Mal so viele Gläubige einen Gottesdienst wie Fans die 1. Bundesliga in den Stadien verfolgten.
Und wie geht es in Lage weiter? Dort hat die katholische Pfarrei angekündigt, gegen das Verbot gerichtlich vorzugehen. Nach der Einführung des § 28a ins IfSG wird dieser Antrag auf Aufhebung des Verbotes im Hinblick auf die hohen Inzidenzen in Lage allerdings wohl keinen Erfolg haben.
Der Autor Johannes M. Jäger ist Rechtsanwalt bei HFK Rechtsanwälte in Frankfurt. Er hat seine mündliche Prüfung zum Doktor beider Rechte kürzlich zu diesem Thema absolviert.
Ostergottesdienste in der Pandemie: . In: Legal Tribune Online, 03.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44646 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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