Seit Jahren setzt sich Amtsrichter Andreas Müller für die Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumenten ein. Er ist zuversichtlich, dass demnächst das BVerfG und die Politik der Legalisierung von Marihuana und Haschisch den Weg ebnen.
LTO: Herr Müller, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung ist davon überzeugt, dass das Cannabis-Verbot in Deutschland noch viele Jahre Bestand haben wird. Hat sie Recht?
RiAG Andreas Müller: Ich hoffe nicht und gehe auch nicht davon aus. Aus meiner Sicht spricht einiges dafür, dass die repressive Cannabis-Politik, die zur Strafverfolgung breiter Bevölkerungsgruppen führt, bald der Vergangenheit angehört.
Sie haben als Richter am Amtsgericht (AG) Bernau im April 2020 einen 140seitigen Antrag auf konkrete Normenkontrolle beim BVerfG zum Cannabisverbot eingereicht. Im Jahr 2002 sind Sie mit einer solchen Vorlage in Karlsruhe gescheitert. Warum könnte es diesmal besser für Sie laufen?
Es hat sich seit 2002 einiges getan: Cannabis hat sich nicht nur als Medizin durchgesetzt. Auch ansonsten hat sich das gesellschaftliche und politische Klima bei dem Thema fundamental geändert. Inzwischen hält es die ganz normale Bevölkerung für nicht mehr zeitgemäß, wenn erwachsene Konsument:innen wegen wenigen Gramm Gras oder Haschisch strafrechtlich verfolgt werden.
Beharrlich verweisen auch diverse Organisationen und Jurist:innen immer wieder auf die Verletzung von Grundrechten, die mit der staatlichen Repression einhergeht. Ich habe das in meinem Antrag an das BVerfG, der auf der Seite des Amtsgerichts Bernau bei Berlin abrufbar ist, detailliert beschrieben. Im Übrigen haben auch 123 deutsche Strafrechtsprofessorinnen und -professoren eine Resolution verabschiedet, in der sie die strafrechtliche Drogenprohibition für gescheitert, sozialschädlich und unökonomisch erachten.
Woanders ist man bereits schlauer als in Deutschland: Eine Vielzahl von Staaten hat Cannabis legalisiert. Manchmal auch erst, nachdem ihnen Gerichte durch entsprechende Urteile klargemacht haben, dass die Strafrechtskeule sich nicht mit der jeweiligen Verfassung des Landes verträgt. Ich hoffe, das BVerfG zieht in Deutschland nach.
"Gefahr des Missbrauchs rechtfertigt das Verbot nicht"
Die Befürworter einer repressiven Cannabispolitik argumentieren, dass der Jugendschutz ein Verbot gebietet. Verwiesen wird auf wissenschaftliche Studien, wonach Cannabis Psychosen und Schizophrenie auslösen kann sowie auf ein hohes Abhängigkeitspotenzial. Die Drogenbeauftragte spricht von über 30.000 Menschen, die sich jährlich wegen Cannabis in stationärer oder ambulanter Behandlung befinden.
Ich habe diese Zahlen überprüft und komme zu ganz anderen Ergebnissen. Nach meinen Erkenntnissen befinden sich wegen Cannabis jährlich rund 3.000 Personen in stationärer Behandlung. Doch auch diese Zahl relativiert sich: Denn dahinter stecken nur in seltenen Fällen tatsächlich schwer kranke Konsument:innen.
Cannabis wird zwar oft als Hauptdiagnose genannt, tatsächlich nehmen die Menschen aber verschiedene Substanzen. Auch legen Strafverteidiger:innen ihren Mandanten im Rahmen eines Betäubungsmittelverfahrens oft eine solche Behandlung nahe, weil nach § 35 Betäubungsmittelgesetz auf diese Weise die Strafvollstreckung zurückgestellt werden kann.
Manche Konsumenten werden auch von ihren Familien bedrängt, in eine Therapie zu gehen, obwohl in Wirklichkeit kein Problem vorliegt. Ambulante Behandlungen werden zudem gerne auch bei geringen Mengen von Gerichten und Staatsanwaltschaften angeordnet. In sehr vielen dieser Fälle ist eine derartige ambulante therapeutische Maßnahme überhaupt nicht angezeigt, da gar kein Problem vorliegt. Es dient lediglich dem Selbstzweck und führt eben zu diesen nicht richtigen Zahlen.
Aber was ist mit denjenigen, die ernsthaft in Folge Cannabis-Konsums erkranken?
Dass dauerhafter oder übertriebener Cannabiskonsum gesundheitlich nicht zu empfehlen ist, will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber die Gefahr des Missbrauchs rechtfertigt nicht das staatliche Verbot. Sonst müssten alkoholische Getränke unverzüglich verboten werden.
Es gibt Millionen Konsument:innen weltweit, die Cannabisprodukte ohne nachteilige Nebenwirkungen regelmäßig konsumieren und dabei gesellschaftlich völlig unauffällig leben. Sie gehen einer Arbeit nach, zahlen Steuern, haben Familien etc.. Statt andauernd wie die Drogenbeauftragte Angstmache zu betreiben, sollte der Staat lieber – flankiert von einer Aufklärungskampagne – eine legale Abgabeform ermöglichen, die den Jugendschutz gewährleistet.
Derzeit ist das nicht der Fall: Jugendliche besorgen sich ihr Gras von oft zweifelhafter Qualität beim Dealer im Park, an jeder Ecke ist es verfügbar. Oder sie kaufen sich neuartige psychoaktive Substanzen wie sogenannte "Legal Highs". Diese sind viel gefährlicher als sauberes Marihuana und bringen jedes Jahr mehr Todesfälle.
"Jugendschutz im Familienrecht ausgestalten"
Wie stellen Sie sich eine legale Abgabeform vor, die den Jugendschutz gewährleistet?
Man könnte es den Menschen erlauben, eine bestimmte Menge an Cannabis zu Hause selbst zu züchten. Und für diejenigen, die keinen grünen Daumen haben, plädiere ich für die Abgabe in spezialisierten Cannabis-Geschäften an über 18jährige. Wenn es politisch zur Kompromissfindung beiträgt, könnte man das Alter auch auf 21 Jahre raufsetzen.
Den Jugendschutz sollte man offen und ehrlich, rechtlich z.B. im Familienrecht ausgestalten. Anbieten würde sich hier § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der bei einer Gefährdung des Kindeswohls gerichtliche Maßnahmen ermöglicht. Polizei oder auch die Eltern könnten das Gericht zu Rate ziehen, wenn tatsächlich ein übertriebener Konsum vorliegt. Wobei ich vorschlagen würde, dass dann auch ein fachkundiger Drogenberater mit ins Boot geholt werden müsste.
In einem Verfahren, in dem es um den Besitz von insgesamt 28,4 Gramm Cannabis ging, wirft die Staatsanwaltschaft (StA) Frankfurt (Oder) Ihnen Befangenheit vor. Nachdem das AG Bernau den Befangenheitsantrag zunächst abgelehnt hatte, legte die StA Beschwerde beim Langericht Frankfurt (Oder) ein. Was passiert, wenn der Antrag durchgeht?
Na ja, dann komme ich vielleicht meinem persönlichen Ziel näher, künftig keine Cannabis-Verfahren mehr verhandeln zu müssen. Aber im Ernst: Die Staatsanwaltschaft begründet meine Befangenheit mit einer meiner Buchveröffentlichungen, einem Zeitungsinterview und meiner Biografie. Ihr missfällt meine Rechtsauffassung, die ich dort zum Ausdruck gebracht habe.
Sollte der Befangenheitsantrag Erfolg haben, dürfte sich kein Strafrichter oder keine Strafrichterin mehr öffentlich für die Legalisierung einsetzen. Viele Politiker:innen könnten sich nicht mehr auf ein Richteramt bewerben, da sie im Strafbereich jedenfalls nicht über Cannabisfälle entscheiden dürften. Und Sie würden in der Richterschaft keine Interviewpartner zu drogenpolitischen Themen mehr finden.
Und was ich noch problematisch finde: Die Staatsanwaltschaft hat sich eins von vielen Verfahren ausgesucht, in der der Angeklagte über keinen Rechtsbeistand verfügt. Aufgrund des Befangenheitsantrages konnte ich ihm keinen Pflichtverteidiger beiordnen. Dieser Angeklagte dürfte nun doppelt unter dem Vorgehen der Strafverfolger leiden.
Sollte das BVerfG das Cannabisverbot weiterhin für verfassungskonform erachten: Ist Ihr Kampf für eine liberale Drogenpolitik dann beendet?
Nein, mit Sicherheit nicht. In drei Jahren gehe ich voraussichtlich in Pension. Und auch als Pensionär braucht man bekanntlich eine Aufgabe.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Andreas Müller (58) ist Jugendrichter am AG Bernau bei Berlin. Er setzt sich seit vielen Jahren für eine liberale Drogenpolitik ein.
Gibt das BVerfG das Hanf frei?: . In: Legal Tribune Online, 16.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44507 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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