Die Eckpunkte aus dem BMG zur Cannabis-Legalisierung sorgen für Wirbel. Bislang v.a. wegen geplanter THC-Grenzwerte. Interessanter aber ist: Die internationale Rechtslage bereitet der Bundesregierung offenbar erhebliche Bauchschmerzen.
Die Reaktionen auf das bekanntgewordene Eckpunktepapier aus dem Hause von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach fielen am Mittwoch heftig aus. Und sie kamen von diversen politischen Seiten. Hauptkritikpunkt bislang: Die geplanten Tetrahydrocannabinol (THC)-Grenzwerte und der Einwand, dass diese dem Jugendschutz und der Bekämpfung des Schwarzmarktes nicht gerecht würden.
Im zwölfseitigen Papier des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), das LTO vorliegt, heißt es hierzu: "Wegen des erhöhten Risikos für cannabisbedingte Gehirnschädigungen in der Adoleszenz dürfen an Erwachsene bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres nur Produkte mit einem maximalen THC-Gehalt von 10 Prozent verkauft werden. Verstöße der Lizenznehmer gegen diese Vorgabe werden als Ordnungswidrigkeit verfolgt."
Vor allem Politiker der Union kritisierten die Regelung scharf: "Das wichtigste Ziel der Ampel, den Cannabis-Schwarzmarkt auszutrocknen, wird so nicht erreicht werden“, sagte CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). "Wenn Cannabis mit begrenztem THC-Gehalt in Deutschland produziert werden muss, dann wird der Preis bei den für die Aufzucht schwierigen klimatischen Bedingungen hierzulande, bei den hohen Energiepreisen, bei unseren vergleichsweise hohen Steuersätzen und den zu erwartenden Gewinnmargen der Apotheken deutlich über dem Schwarzmarktpreis liegen."
Doch nicht nur die Thematik "THC-Grenzwert" lässt nach Lektüre des noch als "vertraulich" eingestuften "Eckpunktepapiers der ressortübergreifenden Arbeitsgruppen zur Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken" (Stand: September) aufhorchen.
"Eingeschränkte Legalisierung keine Option"
Die Frage ist, ob sich das Vorhaben überhaupt völker- und europarechtlich durchsetzen lässt. Aus dem Papier geht hervor, wie die Ampel gedenkt, die rechtlichen Hürden zu meistern. Verschiedene Juristen hatten zuletzt angemahnt, dass eine Freigabe von Cannabis in Deutschland – jedenfalls so, wie die Ampel sie sich vorstellt – gegen diverse UN-Abkommen und vor allem auch gegen Europarecht verstößt.
Das BMG-Papier greift diese Problematik nun auf. Im Hause Lauterbach ist man offenbar durchaus besorgt. Im Abschnitt "Völker- und europarechtliche Bewertung" heißt es: "Der (…) rechtliche Rahmen bietet begrenzte Optionen, das Koalitionsvorhaben umzusetzen. Die Option einer nur eingeschränkten Legalisierung mit dem Fokus auf Eigenanbau und Eigenkonsum würde hinter dem Auftrag des Koalitionsvertrages zurückbleiben."
Um ihr Versprechen dennoch einzuhalten, will die Bundesregierung nunmehr "eine Interpretationserklärung" gegenüber den übrigen Vertragsparteien der internationalen Übereinkommen und den internationalen Drogenkontrollgremien abzugeben, "nach welcher sie diese Umsetzung des Koalitionsvertrages als mit dem Zweck und den rechtlichen Vorgaben der Übereinkommen vereinbar erklärt". Diese Interpretation erfolge "mit Blick auf die deutsche Rechtsordnung und die BVerfG-Rechtsprechung und baue auf einer bereits bei Ratifizierung des UN-Übereinkommens gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen von 1988 abgegebenen Interpretationserklärung auf. "Für eine Vereinbarkeit mit dem Zweck der völkerrechtlichen Vorgaben können ein enger staatlich kontrollierter Rahmen, die Abgabe und der private Konsum von Cannabis unter Aufrechterhaltung hoher Standards beim Gesundheitsschutz sowie die Bekämpfung der internationalen Drogenkriminalität angeführt werden."
"Enge Abstimmung, um Vertragsverletzungsverfahren zu vermeiden"
Probleme sieht das BMG dabei, das Vorhaben europarechtskonform umzusetzen: "Europarechtlich ist Deutschland darauf angewiesen, dass die EU-Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten sowie der EuGH dem Interpretationsansatz Deutschlands folgen und das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) und den EU-Rahmenbeschluss 2004 sowie die ggf. unionsrechtlich geltenden Bestimmungen des VN-Übereinkommens 1988 entsprechend auslegen", heißt es in dem Papier.
Indes: Wie das gesetzgeberisch konkret gelingen soll, darüber schweigen sich die Eckpunkte aus. Anscheinend sollen die "völker- und europarechtlichen Risiken" in erster Linie mit Diplomatie überwunden werden:
"Bei der o.g. Interpretation besteht die Gefahr der Kritik sowohl in internationalen Gremien (z.B. der VN-Suchtstoffkommission) wie von anderen Staaten. Europarechtlich wird es auf eine enge und transparente Abstimmung ankommen, damit EU-Kommission und Mitgliedstaaten dem Interpretationsansatz Deutschlands folgen und um ein Vertragsverletzungsverfahren und/ oder Staatshaftungsansprüche zu vermeiden."
"Streichung von Cannabis und THC aus dem Betäubungsmittelrecht"
Wesentlich konkreter wird das Eckpunktepapier da, wo es um die Mengen geht, die in Zukunft straffrei besessen werden dürfen und was daraus für die nationale Rechtslage folgt.
"Der Erwerb und der Besitz von bis zu 20 Gramm Genusscannabis (getrocknete Pflanzen) zum Eigenkonsum im privaten und im öffentlichen Raum sind unabhängig vom konkreten THC-Gehalt straffrei." Unabhängig vom THC-Gehalt, da der THC-Wert sowie die Herkunft des Genusscannabis nur mit hohem labortechnischem Aufwand festgestellt werden können. "Ziel ist, eine Entlastung der Strafverfolgungsbehörden im Hinblick auf aufwändige und unverhältnismäßige labortechnische Untersuchungen zu schaffen." Prüfen will die Bundesregierung noch, "ob in einem Gesetzentwurf andere pauschale Gewichts- oder Mengengrenzen für Harz bzw. Flüssigkeiten zu berücksichtigen sind, die die ggf. unterschiedliche Wirkpotenz berücksichtigen".
Auch der Eigenanbau zum Eigenkonsum soll künftig in begrenztem Umfang gestattet werden. Straffrei soll das Ziehen von zwei weiblichen blühenden Pflanzen pro volljährige Person sein. Geplant sind besondere Kinder- und Jugendschutzregelungen: "Pflanzen und Erträge aus dem Eigenanbau müssen für Kinder und Jugendliche unzugänglich sein. Der Eigenanbau ist anzeigepflichtig. Der Verkauf von Samen und Setzlingen wird reguliert."
Rechtlich setzen diese Pläne die "Streichung von Cannabis und THC aus dem Betäubungsmittelrecht" voraus. Im Papier heißt es: "Alle Änderungen im nationalen Recht müssen das Ziel eines hohen Gesundheits-, Jugend- und Verbraucherschutzes berücksichtigen. Cannabis (Pflanze, Cannabisharz) und THC werden dabei künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes eingestuft. Genusscannabis, Medizinalcannabis und Nutzhanf werden vollständig aus dem Anwendungsbereich des BtMG ausgenommen und die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen werden in einem gesonderten Gesetz festgelegt."
"Geänderte Risikobewertung rechtfertigt geringere Strafen"
Im Eckpunkte-Kapitel "Sanktionierung" bekräftigt das BMG, dass Erwerb, Besitz und Einfuhr von Genusscannabis für Minderjährige weiterhin durch "verwaltungsrechtliches Verbot" verboten bleiben soll. Aber auch für Minderjährige gibt es eine liberalere Rechtslage: "Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und im Hinblick auf die gewünschte Entkriminalisierung werden jedoch Handlungen, die Erwachsenen gestattet werden, auch für Minderjährige nicht strafbewehrt. Jenseits dieses Bereichs machen sich Minderjährige- wie Erwachsene – strafbar, z.B. durch Handeltreiben ohne Lizenz. Eine geeignete Behörde, wie z.B. Jugendämter verpflichten Minderjährige bei Besitz zu einer Teilnahme an einem Frühinterventions- oder Präventionsprogramm."
Die Legalisierung erfordert unterdessen nicht nur die Streichung von Straftatbeständen, eingeführt werden auch neue: "Straftatbestände mit erhöhten Strafrahmen bei besonders schweren Fällen und Qualifikationstatbestände sowie Ordnungswidrigkeitstatbestände", heißt es. Die kontrollierte Abgabe von Genusscannabis an Erwachsene sei die Reaktion auf eine geänderte Risikobewertung, so dass auch geringere Strafrahmen sachgerecht seien. "Handlungen, die üblicherweise der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind und/oder die besonders kinder- und jugendgefährdend sind, werden als Verbrechen mit einer Strafbewehrung nicht unter einem Jahr qualifiziert, beispielsweise die gewerbsmäßige Abgabe von Cannabis an Minderjährige durch eine Person über 21 Jahre oder die Bestimmung eines Minderjährigen zum Handeltreiben o.ä. durch eine Person über 21 Jahre."
Aber auch in diesem Kontext sieht die Ampel mögliche Kollisionen mit internationalem Recht: "Vor allem aus völker- und unionsrechtlicher Sicht soll im weiteren Verfahren geprüft werden, ob die Ausfuhr generell oder nur bei Überschreiten der zulässigen Besitzmenge strafbewehrt verboten werden soll, für ersteres könnten ggf. Artikel 71 Abs. 2 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) und das Ziel sprechen, den Drogentourismus einzudämmen."
Rehabilitierung und Amnestie für verurteilte Cannabis-Konsumenten
Im Bereich der Strafverfolgung setzt die Ampel offenbar nicht auf eine vorgeschaltete Entkriminalisierung, wie sie der Richter am AG Bernau, Andreas Müller, im LTO-Interview forderte. Allerdings wird an die Ermittlungsbehörden appelliert: "Vor dem Inkrafttreten der geplanten Neuregelungen obliegt es den Strafverfolgungsbehörden der Länder, von der Strafverfolgung abzusehen und die geltenden Opportunitätsvorschriften (insbes. § 31a BtMG) anzuwenden." Mit Inkrafttreten der geplanten Neuregelung würden dann laufende Ermittlungs- und Strafverfahren, durch die bereits in der StPO vorgesehenen Möglichkeiten beendet. Zu prüfen bleibe allerdings, ob Übergangsvorschriften für noch nicht abgeschlossene Strafvollstreckungsmaßnahmen erforderlich seien.
Schließlich ist auch eine Rehabilitierung verurteilter Cannabis-Konsumenten geplant: "Dem berechtigten Interesse Betroffener an der Beseitigung des Makels der Verurteilung [soll] Rechnung getragen werden. Dazu sollen eingetragene Verurteilungen aus dem Bundeszentralregister, die ausschließlich wegen einer Handlung eingetragen sind, für die das Gesetz künftig keine Strafe mehr vorsieht (insbes. Besitz, Erwerb und Anbau von Cannabis bis zu 20 Gramm bzw. zwei weibliche blühende Pflanzen, s.o.), getilgt werden. Die Voraussetzungen der Tilgungen auf Antrag sollen in einem noch zu bestimmenden Verfahren festgestellt werden." Darüberhinausgehende Rehabilitierungs- oder Amnestieregelungen würden geprüft.
Keine Änderungen im Straßenverkehrsrecht
Im Bereich des Straßenverkehrsrecht beabsichtigt die Bundesregierung indes keine größeren Änderungen: "Die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken erfordert keine Änderung der geltenden Grenzwerte für Cannabis im Straßenverkehr oder des Ausnahmetatbestands für die bestimmungsgemäße Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels im Rahmen des Ordnungswidrigkeitendelikts des § 24a Abs. 2 Satz 3 StVG (Fahrten unter der Wirkung der in der Anlage zu § 24a Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz genannten psychoaktiven Substanzen).
Allerdings: Es bedürfe eines "starken Signals" im Rahmen einer Aufklärungskampagne, dass eine Legalisierung des Konsums von Genusscannabis keine Legalisierung von Fahrten unter der Wirkung von Cannabis bedeute. "Die Regelungen über die Zulässigkeit von Fahrten unter der Wirkung von psychoaktiven Substanzen wie Cannabis im Straßenverkehr orientieren sich allein an den Erfordernissen der Straßenverkehrssicherheit, und nicht an der rechtlichen Einordnung der Substanz."
Online-Verkauf unter strengen Voraussetzungen
Entschieden hat sich die Bundesregierung nunmehr auch, wo und in welcher Form das Cannabis abgegeben werden soll. Umstritten war, ob ein Verkauf auch online möglich sein soll.
"Die kontrollierte Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken erfolgt ausschließlich in behördlich zugelassenen und überwachten Geschäften, ggf. in Apotheken sowie unter sehr strengen Voraussetzungen durch Online- bzw. Versandhandel."
Um zu verhindern, dass Ware aus dem Schwarzmarkt in die legale Lieferkette gelangt – und umgekehrt –, bedürfe es einer "strengen staatlichen Mengenkontrolle auf allen Stufen". Die gesamte Lieferkette ist einem Track- and Trace System zu unterwerfen, das eine Dokumentation der einzelnen Schritte in der Kette einschließt.
Die lizenzierten Geschäfte sollen sich künftig ausschließlich dem Genusscannabis-Verkauf widmen. "Eine Verknüpfung mit dem Verkauf anderer Genussmittel wie Tabak und Alkohol findet nicht statt." Pro Erwerbsvorgang darf lediglich eine Höchsterwerbsmenge pro Person entsprechend der maximalen Eigenbesitzmenge abgegeben werden, eine Abgabe für Dritte dürfe nicht erfolgen.
Für die Shop-Betreiber sollen hohe Anforderungen gelten: "Die Betreiber und das Verkaufspersonal der lizenzierten Geschäfte sind verpflichtet, einen Sachkundenachweis zu erbringen sowie spezifische Beratungs- und Präventionskenntnisse nachzuweisen." Bei jedem Kauf werde ein Beratungsgespräch angeboten sowie auf Risiken des Konsums hingewiesen.
Wie der Drogenbeauftragte der Bundesregierung Burkhard Blienert seinerzeit bereits im LTO-Interview ankündigte, soll es auch ein umfassendes Werbeverbot geben: "Es gilt ein generelles Werbeverbot für Genusscannabis. Genusscannabis wird in Umverpackungen (neutrale Verpackung) ohne werbendes Design verkauft." Auch "Kaufanregungen durch Verkaufsstellen im Außenauftritt oder im Internet" würden nicht erlaubt.
FDP will im parlamentarischen Verfahren nachbessern
Ob am Ende alle diese Punkte tatsächlich in einem Gesetz stehen werden und auch die völker- und europarechtlichen Bedenken überwunden werden können, wird sich zeigen. Das BMG bemüht sich auf Anfrage, das Papier als "noch nicht abgestimmt" zu bezeichnen.
Dass die Eckpunkte allerdings noch einmal auf Wunsch anderer Ressorts fundamental geändert werden, ist eher unwahrscheinlich. Auch die Ampel-Fraktionen selbst erwarten jetzt wohl einen Gesetzentwurf auf Grundlage dieses Papiers. Denn nur so ist dann auch die Aussage der sucht- und drogenpolitischen Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, MdB Kristine Lütke, zu verstehen: "Im parlamentarischen Verfahren müssen wir nachbessern: Keine THC-Grenzen, mehr Eigenanbau, sicherer Online-Handel."
Eckpunkte der Bundesregierung zur Cannabis-Legalisierung: . In: Legal Tribune Online, 20.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49948 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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