Über 200 Experten angehört – jetzt geht es beim Gesetz zur kontrollierten Freigabe von Cannabis ans Eingemachte. Die Ampel will im Herbst Eckpunkte vorlegen, im Dezember soll ein Referentenentwurf folgen. Doch noch sind viele Fragen offen.
Den Vorwurf, sich beim gesellschaftlich umstrittenen Gesetzesvorhaben der Cannabis-Legalisierung keinen ausreichenden Sachverstand eingeholt zu haben, wird sich die Ampel eines Tages jedenfalls nicht vorhalten lassen müssen.
Noch bevor überhaupt ein erster Entwurf zur legalen Abgabe von Cannabis an Erwachsene in lizensierten Geschäften vorliegt, ging am Donnerstag in Berlin ein fünftägiger Anhörungsmarathon zu Ende. Mehr als 200 Expertinnen und Experten aus Suchtmedizin, Suchthilfe, Rechtswissenschaft, Wirtschaft und Verbänden sowie Vertreterinnen und Vertretern von Ländern, Kommunen, Bundesministerien und Behörden brachten ihre Expertise ein: ein für ein Gesetzesvorhaben einmaliger Vorgang.
Angestoßen hatte diesen der für seine liberale Haltung bekannte Drogen- und Suchtbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert. Zumindest offiziell. Davon auszugehen ist, dass vor allem die Legalisierungs-Skeptiker aus Reihen der SPD im Hinblick auf mehr gesellschaftliche Akzeptanz des Vorhabens auf einen derartigen, vorgeschalteten Anhörungsprozess bestanden hatten.
Nicht zuletzt war Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach, dessen Ministerium für das Gesetz federführend ist, erst spät zu einem Befürworter der Legalisierung geworden. Unter Rot-Grün Anfang der 2000er Jahre scheiterten (grüne) Liberalisierungs-Bemühungen in Bezug auf Cannabis regelmäßig an der SPD.
Lauterbach pocht auf angemessenen Jugendschutz
Auf dem Abschlusshearing am Donnerstag zeigte sich Lauterbach jedoch fest entschlossen, das in der Ampel verabredete, "alles andere als triviale" Projekt zügig auf den parlamentarischen Weg zu bringen. "Viele warten sehnlichst darauf", so der Minister. Dass die Zahlen der Cannabis-Konsumenten in den vergangenen Jahren gerade auch bei den Jüngeren nicht zurückgegangen seien, belege, dass der bisherige repressive Kurs gescheitert sei. Der Jugendschutz, so betonte Lauterbach immer wieder, müsse bei dem Vorhaben sehr ernst genommen werden. Cannabis-Konsum sei keine Kleinigkeit, in jungen Jahren könne er ein Leben zerstören, bevor dieses erst richtig angefangen habe, so der Minister.
Für den Herbst kündigte Lauterbach ein Eckpunktepapier an, im Dezember soll dann der Referentenentwurf folgen. Eine Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag dürfte nicht vor Herbst 2023 realistisch sein.
Was in diesem Entwurf eines Tages drinstehen wird, ist an vielen entscheidenden Punkten noch völlig offen. Fest steht bisher eigentlich nur der rudimentäre Auftrag, wie er im Koalitionsvertrag formuliert ist: "Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet".
"Wir haben genug Gewächshäuser für den Anbau"
Ob spezielle Shops gegründet werden oder die Abgabe über die Apotheken laufen soll, welche Mengen und mit welchem THC-Gehalt gekauft werden können, ob auch online oder nur in Präsenz und wie hoch die Strafen aussehen, wenn ein Erwachsener einem Minderjährigen lizensiertes, qualitativ einwandfreies Marihuana verschafft, so dass dieser sein "Gras" nicht mehr beim Drogendealer im Park kaufen muss – all das ist noch unklar.
Sicher ist, dass der gesamte Prozess – vom Anbau bis zur Ladentheke – unter staatliche Kontrolle gestellt werden soll. Aber wo soll das Cannabis herkommen, von hiesigen Landwirten oder per Import? Noch offen. Der renommierte Düsseldorfer Wirtschaftsökonom, Prof. Dr. Justus Haucap, sagte am Donnerstag, er habe keine Sorge, dass in Deutschland das Cannabis für den hiesigen Verkauf gezüchtet werden könne. "Wir haben genug Gewächshäuser", so Haucap.
Welche Varianten der Legalisierung möglich sind, dokumentierten im Abschlusshearing zahlreiche internationale Referentinnen und Referenten, in deren Staaten der Legalisierungsprozess entweder bereits abgeschlossen oder weit fortgeschritten ist. Expertinnen und Experten aus Malta, Südafrika, Uruguay, Luxemburg oder Kanada erläuterten detailliert, wie sie in ihrem Land den Kurswechsel von einer repressiven zu einer liberalen Cannabis-Politik geschafft bzw. eingeleitet haben – und dabei auch der Jugendschutz sichergestellt werde.
Was auffiel: In keinem der Staaten, in denen Cannabis zum Eigengebrauch legal ist, hat es bisher den befürchteten Anstieg der Konsumentenzahlen bei Jugendlichen gegeben. Auch eine Vertreterin der UN konnte den Zusammenhang zwischen Legalisierung und ansteigenden Konsumentenzahlen nicht bestätigen.
Mehrfache Ausweiskontrollen?
Den Anfang beim Hearing machte Dominique Mendiola, die im US-Bundesstat Colorado für die Kontrolle von Cannabisprodukten zuständig ist. Colorado zählt zu den ersten Bundesstaaten in den USA, in denen die Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken legal ist. Verboten ist dort jegliche Werbung oder Verharmlosung des Konsums. Zudem gibt es strikte THC-Grenzwerte und Abgabe-Restriktionen.
Für Deutschland empfiehlt Mendiola u.a., möglichst viele gesellschaftliche Akteure in den Prozess einzubinden. Diverse Kampagnen und Präventionsprogramme seien gestartet worden, um Jugendliche vom Konsum abzuhalten. Wer in Colorado einen Cannabis-Shop betritt, muss zweimal seinen Ausweis vorzeigen: Am Eingang und am Verkaufstresen. Zudem überwacht eine eigens hierfür geschaffene Behörde den Legalisierungs-Prozess.
Vorreiter in Europa ist Malta. Der kleine Inselstaat hat 2021 als erstes EU-Land den Konsum von Cannabis und dessen Anbau für den Eigenbedarf gebilligt – allerdings unter strikten Bedingungen. Mariella Dimech, Vorsitzende der Regulierungsbehörde des Landes, erläuterte, dass Erwachsene demnächst in lizensierten Cannabis Social Clubs monatlich bis zu 50 Gramm bzw. maximal 7 Gramm am Tag erwerben können. Schon jetzt sei aber auch ohne Lizensierung der Anbau von vier Pflanzen pro Person möglich. Geprüfte Non-Profit-Organisationen sollen die Konsumenten beim "sicheren Anbau" unterstützen. Auch in Luxemburg wird der Anbau weniger Pflanzen zum Eigenkonsum in Kürze möglich sein.
Schwarzmarkt zurückdrängen
Vordringliches Motiv der Staaten, die die Legalisierung anstreben, ist die Austrocknung des Schwarzmarktes. Das dort verfügbare hoch-potente und manchmal auch gefährlich verunreinigte Cannabis mit hohem Suchtpotential soll zurückgedrängt werden – auch, um Jugendliche davor zu schützen.
In Kanada, wo seit 2018 Cannabis legal erworben werden kann, freut man sich insoweit über eine positive Entwicklung. Das Land verzeichnete bis zur Gesetzesänderung die höchsten Konsumentenraten weltweit. Einer von drei jungen Erwachsenen konsumierte Cannabis-Produkte, erläuterte John Clare vom Gesundheitsministerium in Ottawa. Seit der Legalisierung verzeichnet man monatlich nun sogar leicht rückläufige Zahlen, außerdem bezögen rund 70 Prozent ihr Hanf inzwischen nicht mehr auf dem illegalen Markt. Für den Staat, so Clare, sei die streng regulierte Abgabe an Erwachsene in Shops zudem eine ertragreiche Einnahmequelle. 1,3 Milliarden Dollar würden pro Quartal mit Cannabis umgesetzt. Der Staat profitiere dabei von Gebühren der Shop-Betreiber sowie einer Verkaufssteuer von einem Dollar pro Gramm.
Für welchen Weg sich Deutschland entscheidet, mit welchen Steuereinnahmen Christian Lindner rechnen kann und ob das Vorhaben überhaupt in Einklang mit internationalem Recht gebracht werden kann, wird jetzt in diversen Bundesministerien geprüft.
Striktes Werbeverbot zeichnet sich ab
Dabei zeichnet sich ab, dass es ein striktes Werbeverbot für Cannabisprodukte zum Schutz von Jugendlichen geben wird, das sich auch auf die Influencer-Werbung z.B. bei YouTube erstrecken könnte. Spannend ist die Frage, ob die Ampel künftig ausschließlich den Erwerb von Cannabis in Präsenz im Laden zulässt oder auch den Onlinehandel und Lieferservice.
Gabriele Sauermann von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) warnte vor einem Online-Verkauf oder dem Verkauf per Lieferservice, da ansonsten der Jugendschutz zu leicht umgegangen werden könnte. Außerdem müsse durch die Verkäufer vor Ort eine qualifizierte Beratung gewährleistet sein. Erfahrungen aus den USA zeigten, dass gerne auch mal Menschen aus der Altersgruppe 60-plus zum ersten Mal probieren wollen – da sei auch angesichts möglicher Vorerkrankungen die Beratung vor Ort unerlässlich, so Sauermann. Kritiker allerdings warnen davor, dass der ausschließliche Präsenz-Verkauf in Shops, die es wohl nur in Städten geben werde, für Menschen auf dem Land bedeute, weiterhin auf den Schwarzmarkt angewiesen zu sein.
Kontroversen gibt es auch rund um die Frage des THC-Höchstwertes. Während Sauermann für eine THC-Obergrenze plädierte, sprach sich Georg Wurth, Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes, dagegen aus. Gäbe es in Shops nur Cannabis mit niedrigem THC-Gehalt, würde für viele der Schwarzmarkt eben doch wieder attraktiver. Um diesem das Wasser abzugraben, dürften in den künftigen Verkaufsstellen Cannabis auch nicht teurer sein als außerhalb.
Einstellung der Strafverfolgung gefordert
Bei allen Differenzen im Kleinen: Einig waren sich Sauermann und Wurth in Sachen Strafverfolgung. Da es mit der Verabschiedung eines Gesetzes ja noch etwas dauern könnte, aber man ja wisse, "wohin die Reise" gehe, sollten die Strafverfolgungsbehörden ihre Aktivitäten bzw. laufende Verfahren gegen Cannabis-Konsumenten schon jetzt einstellen. Für Jugendliche bedeuteten diese Verfahren schließlich auch den Ausschluss gesellschaftlicher Teilhabe – z.B., wenn daraus das Verbot resultiere, den Führerschein zu machen, so Sauermann.
Ob sich die Strafverfolgungsbehörden allerdings wegen eines irgendwann, voraussichtlich Ende 2023 in Kraft tretenden Gesetzes darauf einlassen werden, sich nicht mehr an das Legalitätsprinzip zu halten, ist eher unwahrscheinlich. Helfen könnte hier eher dieses Jahr noch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Der für das Thema zuständigen Berichterstatterin im 2. Senat, Dr. Sibylle Kessel-Wulff, liegen inzwischen sieben Richtervorlagen vor, die die Verfassungskonformität der geltenden Cannabis-Strafnormen anzweifeln. Mit einer Entscheidung aus Karlsruhe ist noch in diesem Jahr zu rechnen.
Allerdings könnte das Gericht den Legalisierungs-Bestrebungen auch einen Dämpfer verpassen. Nämlich dann, wenn das gleiche passiert, wie schon 2004: Damals sollte das BVerfG ebenfalls auf Grundlage einer Richtervorlage prüfen, ob das Cannabis-Verbot mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das BVerfG hielt die Richtervorlage seinerzeit aber für unzulässig, unter anderem auch mit der Begründung, dass es selbst an eine frühere, eigene Entscheidung von 1994 nach § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz gebunden sei (Beschl. v. 29.06.2004, Az. 2 BvL 8/02). Das vorlegende AG Bernau habe damals keine neuen Tatsachen dargelegt, "die geeignet seien, eine von der früheren Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts abweichende Entscheidung zu ermöglichen", hieß es 2004.
Geplante Cannabis-Legalisierung: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48914 (abgerufen am: 20.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag