Laut Bundestagsbeschluss sollte das Cannabisgesetz eigentlich zum 1. April in Kraft treten. Doch weil sich die Länder querstellen, ist nun als neuer Starttermin für die Entkriminalisierung der 1. Oktober im Gespräch.
Millionen Konsumenten hatten sich darauf gefreut: Auf einen legalen Joint zu Ostern und natürlich auf den ersten Sommer, in dem beim Kiffen im Freien nicht mit einem Auge nach einem möglicherweise anrückenden Polizeiwagen Ausschau gehalten werden muss.
Doch dass daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts wird, hatte LTO in den vergangenen Tagen bereits prognostiziert. Nun ist es offenbar ausgemachte Sache: Dem gerade erst im Bundestag beschlossenen Cannabisgesetz (CanG) droht ein Vermittlungsverfahren im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat. Das bestätigte gegenüber LTO der rheinland-pfälzische FDP-Landesjustizminister Herbert Mertin, auch das Portal Table Media hatte entsprechend berichtet.
Parteiübergreifend pochen die Justizministerinnen und -minister der Länder auf ein späteres Inkrafttreten des Gesetzes, um eine ihrer Auffassung nach drohende Überlastung der Strafjustiz stemmen zu können. Vor einer solchen haben sie Angst, weil das CanG eine Art Amnestie vorsieht, nach der Tausende Akten von Verfahren, die sich noch in der Vollstreckung befinden, überprüft werden müssten.
Die Vorsitzende der Justizministerkonferenz (JuMiKo), Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD), ist laut Table Media verärgert, weil die Justiz mit der geplanten Amnestie in rund 16.000 Fällen überfordert sei. "Es wird unweigerlich landauf, landab zu rechtswidrigen Zuständen und zu Entschädigungspflichten kommen", sagte Wahlmann dem Portal. "Wenn der Bund die Justizbehörden der Länder sehenden Auges in eine solche Situation laufen lässt, zeugt das von einer gehörigen Ignoranz gegenüber den tatsächlichen Gegebenheiten."
Grüner NRW-Jusitzminister verärgert die Parteifreunde
In eine ähnliche Kerbe hatten in der vergangenen Woche auch andere Landesminister gehauen. Etwa die Justizministerin der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, Jacqueline Bernhardt, aber auch die grüne Justizsenatorin Anna Gallina aus Hamburg.
Für besonderen Unmut in grünen Parteikreisen hatte indes der nordrhein-westfälische Justizminister Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen) gesorgt, weil er nur Minuten nach der für die Ampel erfolgreichen Abstimmung im Bundestag ein Statement veröffentlichte, in dem er keinen Hehl daraus machte, dass ihm am grünen Herzensprojekt Cannabis-Legalisierung nicht viel gelegen ist. In einem nüchternen Statement erklärte Limbach: "Die verbleibende Zeit von nur fünf Wochen reicht nicht annähernd aus, damit die Staatsanwaltschaften und Gerichte in Nordrhein-Westfalen die Regelungen zum rückwirkenden Straferlass fristgerecht umsetzen können. Allein in Nordrhein-Westfalen muss in zehntausenden Fällen geprüft werden, ob verhängte Strafen ganz oder teilweise zu erlassen sind."
Auf diese Problematik haben die Länder laut Limbach auch ausreichend früh im Gesetzgebungsverfahren hingewiesen. Er kritisierte: "Ich bedaure sehr, dass unsere Einwände insbesondere vom zuständigen Bundesgesundheitsminister nicht gehört worden sind. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir im anstehenden Bundesratsverfahren das Inkrafttreten des Cannabisgesetzes verschieben, um die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege zu erhalten."
Ampel streitet
Dass es nun zu einer solchen Verschiebung beim Inkrafttreten kommt, gilt als sicher, wenn wie erwartet am 22. März im Bundesrat der Vermittlungsausschuss angerufen wird. Noch unklar ist jedoch, ob das CanG in einem solchen Vermittlungsverfahren womöglich noch mehr geändert wird. So hatte etwa SPD-Landesministerin Kathrin Wahlmann eine umfassende Korrektur des Gesetzes angemahnt. Im Hinblick auf ein Vermittlungsverfahren sagte sie jetzt, ein zeitlicher Aufschub um sechs Monate sei "das Mindeste, auf das sich Berlin nun einlassen" müsse.
Nach LTO-Informationen hatte es kurz vor der Verabschiedung des CanG im Parlament Bemühungen von Grünen und FDP gegeben, den Ländern entgegenzukommen und entsprechend ein späteres Inkrafttreten gleich im CanG zu verankern. Das hatte dem Vernehmen nach aber vor allem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) abgelehnt, dessen Ministerium für das CanG federführend ist.
Nun schieben sich Ampel-Politiker gegenseitig die Schuld an der erneuten Verzögerung im Gesetzgebungsverfahren zu – und das in aller Öffentlichkeit. So keilte der Grünen-Abgeordnete und parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion Till Steffen in einem Post auf X gegen SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, der in den Medien NRW-Justizminister Limbach kritisiert hatte. Steffen schrieb: "Dirk Wiese hatte wohl gerade Urlaub, als wir auf die SPD wie auf einen lahmen Gaul eingeredet haben, diese eine Änderung aufzunehmen, um die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu verhindern. FDP war einverstanden, SPD leider nicht." Wiese reagierte prompt und schrieb zurück: "Hey Till, schöne Grüße nach Hamburg. Aber bei den letzten Runden warst Du nicht am Tisch. Soll vorkommen. Da saßen andere von Euch. Ansonsten beste Grüße!"
Auch FDP-Justizminister sauer
In der sogenannten Cannabis-Community, die sich auf eine überfällige Entkriminalisierung zum 1. April eingestellt hatte, reagiert man auf dieses Hickhack mit Abscheu. Grüne und SPD seien künftig unwählbar, hieß es in diversen Posts auf X. Dabei dürfte sich allerdings auch die FDP nicht als wählbare Alternative anbieten: Auch ihr einziger Landesjustizminister Herbert Mertin aus Rheinland-Pfalz teilt die Kritik seiner Kollegen von SPD und Grünen.
Gegenüber LTO schimpfte Mertin am Donnerstag, die Länder seien "wieder einmal" gezwungen, über den Vermittlungsausschuss Verbesserungen in einem Gesetz zu erreichen. "Der geplante rückwirkende Straferlass stößt bei mir – freundlich formuliert – auf äußerst wenig Verständnis. Diese Regelung stellt die rheinland-pfälzische Justiz vor immense Herausforderungen, weil Tausende laufende Verfahren zu überprüfen sind. Besonders ärgerlich ist, dass entsprechende Forderungen der Länder im Bundesrat keinerlei Berücksichtigung gefunden haben. Überhaupt ist es wieder so wie auch schon in früheren Koalitionen: Die Stellungnahmen der Landesjustizverwaltungen werden abgetan und diesen wird das Gefühl gegeben, sie könnten ebenso gut den Mond anbellen."
Zerbröselt das Gesetz?
Interessant dürfte nun in der kommenden Woche werden, welchen Überarbeitungsbedarf Innen- und Rechtsausschuss des Bundesrates beim CanG sehen. Sie bereiten die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat am 22. März inhaltlich vor. Gut möglich, dass die Länder am Ende darauf bestehen, das als Einspruchsgesetz konzipierte CanG nicht hinsichtlich eines späteren Inkraftraftretens im Vermittlungsauschuss zu verhandeln, sondern womöglich auch noch einmal inhaltlich.
SPD-Ministerin Wahlmann hatte seinerzeit etwa angeregt, den Anbau und die Abgabe des berauschenden Hanfs über sogenannte Cannabis Social Clubs (Anm. d. Red.: Gemeint sind die im Gesetz vorgesehenen Anbauvereinigungen, in denen Cannabis nicht konsumiert werden darf) noch einmal zu überdenken. "Ich halte es für schwierig, ehrenamtlichen Vereinsvorsitzenden die Verantwortung zu übertragen, den Anbau und die Abgabe zu organisieren, zu dokumentieren und sicherzustellen, dass kein Missbrauch betrieben wird." Den unionsregierten Ländern stößt vor allem ein im Gesetz angelegter hoher Kontrollaufwand für Polizei und Verwaltung übel auf.
Es bleibt in Sachen Cannabis also spannend. Wird das Gesetz im Vermittlungsausschuss noch weiter abgeändert, könnte das Vorhaben am Ende zerbröseln wie der Stoff, um den es geht.
Vermittlungsausschuss zum Cannabisgesetz so gut wie sicher: . In: Legal Tribune Online, 29.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53997 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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