Der BGH stellt sich in Sachen Cannabis gegen den Gesetzgeber und setzt die nicht geringe Menge wie seit 1984 bei 7,5g THC an. Konstantin Grubwinkler hat die Entscheidung analysiert und bezweifelt, dass sie verfassungskonform ist.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Montag einen Beschluss zum neuen Konsumcannabisgesetz (KCanG) gefasst, der zu Recht für viel Wirbel gesorgt hat. Es geht um die Frage, ab wann auch unter den seit 1. April liberalisierten Bedingungen für Konsumenten der Gesetzgeber von einer nicht geringen Menge auszugehen ist, die zur Strafverschärfung führt, wenn gegen das neue Gesetz verstoßen wird.
Der Erste Strafsenat des BGH hat sich nunmehr für die strengste und prohibitivste Auslegung des Begriffes der nicht geringen Menge entschieden. Danach bleibt Grenzwert wie nach der alten Cannabis-Rechtslage auf Grundlage des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) bei strengen 7,5g Tetrahydrocannabinol (THC). THC gilt als die psychoaktive Substanz des Hanfs und macht den Hauptteil der berauschenden Wirkung aus.
§ 34 Abs.1 KCanG sieht für den einfachen Verstoß gegen das KCanG Geldstrafe oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren vor, also zum Beispiel für Überschreitung der Grenze zur strafbaren Besitzmenge von 60g Cannabis aus Eigenanbau. § 34 Abs.3 Nr. 4 KCanG normiert das Regelbeispiel für den besonders schweren Fall, wenn sich die Tat auf eine nicht geringe Menge bezieht. Der Strafrahmen beträgt dann Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
Uneinheitliche Rechtsprechung
Wie schon im BtMG, definiert auch das neue KCanG die nicht geringe Menge nicht. Die konkrete Festlegung ist bewusst der Rechtsentwicklung, den Gerichten überlassen. Und bei diesen gibt es seit dem 1. April keine einheitliche Linie: 20g aber auch 50, 75 oder 100g THC wurden bereits vertreten – und jetzt eben 7,5g.
Die Auffassung des BGH überrascht insofern, als die Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf hinweist, dass die nicht geringe Menge im KCanG auf Grund geänderter Risikobewertung deutlich höher liegen müsse als bisher. Mit dem Festhalten an 7,5g überschreitet der Erste Senat die Grenzen der Auslegung und stellt sich klar gegen den eindeutig formulierten Willen des Gesetzgebers. Und zwar mit Ansage: Im Beschluss selbst wird bemerkt, dass die Gesetzesbegründung an sich nicht bindend sei.
Diese Auffassung kann man so nicht stehen lassen: Der rechtsprechenden Gewalt ist es verboten, die Voraussetzungen einer Bestrafung gegen den Willen des Gesetzgebers festzulegen. Andernfalls liegt ein Verstoß gegen den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, den strengen Gesetzesvorbehalt in Art. 103 II GG, vor.
Systematischer Fehler des BGH
Verfährt man wie der BGH und nimmt den alten THC-Grenzwert zum Maßstab, ist nach neuem Recht der Abstand zwischen der Schwelle der Strafbarkeit und besonders schwerem Fall kaum mehr existent. Nach dem KCanG beginnt die Strafbarkeit ab einem Besitz von mehr als 60g Cannabis.
Legt man dem Marihuana einen durchschnittlichen Wirkstoffgehalt zugrunde, wäre die nicht geringe Menge von 7,5g THC allerdings schon bei 60,1g in der Regel erreicht. Der Grundtatbestand "Normalmenge" wäre allenfalls dann einschlägig, wenn die strafbare Besitzmenge nur geringfügig überschritten und zusätzlich der Wirkstoffgehalt unterdurchschnittlich wäre. Damit verkommt der besonders schwere Fall zum Hauptanwendungsfall. Der Grundtatbestand des Besitzes erfasst dann lediglich deutlich unterdurchschnittliche Fälle.
Der Erste Strafsenat begeht diesen systematischen Fehler sehenden Auges: Vorgaben hinsichtlich eines zu wahrenden Abstands zu den erlaubten Besitzmengen ergäben sich aus den Regelungen des KCanG nicht, heißt es im Beschluss. Auch das ist falsch: Ein besonders schwerer Fall muss sich aber schon dem Wortlaut nach vom Durchschnitt der Fälle so sehr abheben, dass ein Ausnahmestrafrahmen geboten ist. Der zu wahrende Abstand ergibt sich schon aus dem Wortlaut "in besonders schweren Fällen".
Von Unkenntnis geprägter Beschluss
Haarsträubend ist die BGH-Entscheidung auch deshalb, weil der Senat sogar explizit darauf hinweist, dass er die nicht geringe Menge so niedrig ansetzt, dass auch geringfügige Überschreitungen der legalen Menge, die nicht geringe Menge erreichen können: "Zwar ist denkbar, dass auch der Besitz einer die Strafbarkeitsschwelle nur geringfügig überschreitenden Menge Cannabis – also geringfügig mehr als 50g – das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG verwirklicht."
Mit dieser Bemerkung dokumentiert der Senat eindrucksvoll seine Unkenntnis: Denn die Strafbarkeitsschwelle nach neuem Recht liegt bei 60g und nicht - wie im Beschluss genannt - bei 50g. Und wo zwischen Grundtatbestand Besitz von mehr als 60g Cannabis und dem besonders schweren Fall 7,5g THC noch Platz für die geringe Menge zum Eigenverbrauch nach § 35a KCanG bleiben soll, lässt der Senat komplett offen.
Nicht geringe Menge zu niedrig
Bei der Bestimmung der nicht geringen Menge THC übernimmt der Erste Strafsenat die Herleitung für das BtMG aus dem Jahr 1984. Sie bezieht sich auf die Wirkstoffmenge einer durchschnittlichen Konsumeinheit. Diese Menge wird dann mit einer Zahl multipliziert, die von der Gefährlichkeit der Substanz abhängt. 1984 nahm der BGH dafür eine Konsumeinheit mit 0,015g THC mal 500 an, mithin 7,5g THC.
Der erste Senat unterstellt, dem KCanG liege die Annahme zugrunde, es handele sich bei Cannabis um ein gefährliches Suchtmittel. Woher diese Behauptung stammt, bleibt offen. Die Gesetzesbegründung enthält zumindest keinen Hinweis darauf. Zugleich bemängelt der senat, dass der gesetzgeber der Rechtsprechung keine konkreten Vorgaben gemacht hat. Offenbar hätte er sich eine Zahl gewünscht, auf deren Basis die nicht geringe Menge berechnet werden kann.
Unterdessen ist die nicht geringe Menge im KCanG laut der Gesetzesbegründung von der Rechtsprechung auf Grund geänderter Risikobewertung zu entwickeln. Die 40 Jahre alte Formel 15mg Konsumeinheit x 500 ist jedenfalls in dieser Form nicht mehr ungeprüft hinzunehmen. Deshalb wird vielfach bereits vertreten, die nicht geringe Menge anhand eines Vielfachen der gesetzlich erlaubten Menge Cannabis zu bestimmen, ohne auf den Wirkstoff THC abzustellen.
Die Ampel macht in ihrer Gesetzesbegründung deutlich, dass Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten vor den spezifischen Risiken des Schwarzmarktes geschützt werden sollen. Ausdrücklich wird von ihnen ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Cannabis erwartet, das durch privaten Eigenanbau erlangt wird. Eine nicht geringe Menge von gerade einmal 7,5g THC läuft auch diesem Zweck des Gesetzes zuwider. Der gewöhnliche Ertrag der drei erlaubten Pflanzen liegt schon über 60g. Ausgehend von besonders schwerem Fall bei 7,5g THC liegt jede Person, die die Menge beim privaten Eigenanbau falsch einschätzt und am Ende über 60g liegt, nicht nur in der Strafbarkeit, sondern direkt im besonders schweren Fall.
Korrigiert ein anderer BGH-Senat?
Wie geht es nach diesem fatalen BGH-Beschluss nun weiter? Nicht alle Instanzgerichte, die sich in den letzten Tagen mit 50g oder 75g THC als nicht geringer Menge positioniert haben, werden wohl ihre Ansicht auf 7,5g korrigieren.
Allerdings dürfte es auch nur eine Frage der Zeit sein, bis ein anderer Senat des BGH zur selben Thematik den großen Senat für Strafsachen anrufen wird. Und dann bleibt nur zu hoffen, dass sich die Gerichte an den Ausspruch des BVerfG aus dem Cannabis-Beschluss von 1994 erinnern: "Sollte diese Auslegung im Blick auf die angedrohte Mindeststrafe mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvereinbar sein, ist kein Strafgericht gehindert, die Vorschrift verfassungskonform auszulegen und anzuwenden."
Verfassungskonform ausgelegt hat jedenfalls der Erste Strafsenat des BGH das KCanG mit seinem Beschluss vom 18. April nicht.
Autor Konstantin Grubwinkler ist Fachanwalt für Strafrecht und bundesweit gefragter Spezialist für Betäubungsmittelstrafrecht und das neue Konsumcannabisgesetz.
Umstrittener Cannabis-Beschluss zur "nicht geringen Menge": . In: Legal Tribune Online, 24.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54410 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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