Das Land darf keinen Eintritt für den Zugang zum Nordseestrand erheben. Die fast vollständige Einzäunung und Kommerzialisierung ist rechtswidrig. Der Mensch sei genau so viel wert wie die Natur, entschied das BVerwG.
Jeder, der einmal Urlaub an der niedersächsischen Nordsee gemacht hat, kennt das Bild: Da liegt das Watt, davor ein - oftmals aufgeschütteter - Strand – und: ein Zaun. Wer den Sand oder den Schlick des Wattes an den Füßen spüren möchte, muss Eintritt zahlen. Die Preise liegen zwischen 1,50 Euro und 3,50 Euro. Selbst wenn mal kein Zaun vorhanden ist, wie etwa in Norddeich, stehen dort Kassenautomaten, an denen Strandtickets zu lösen sind, meist auch von Einheimischen. Nur für Urlauber mit Kurkarten, die im Tagessatz etwa dem Strandeintritt entsprechen, ist der Strandeintritt inklusive.
Die Initiative "Freie Strände für freie Bürger" will sich damit nicht abfinden. An der Niedersächsischen Nordseeküste seien 95 Prozent aller Strände bezahlpflichtig, bis auf Dangast alle Sandstrände, hat die Initiative herausgefunden. Zwei der Mitglieder, Bürger aus der niedersächsischen Region Wangerland, haben geklagt. Sie leben in den Nachbargemeinden der Strandregion in Schortens und Wilhelmshaven und möchten freien und ungehinderten Zugang zum Strand.
Zunächst gingen sie gegen die Tourismus GmbH vor dem Amtsgericht (AG) Jever vor. Von diesen Tourismus-Gesellschaften gibt es viele entlang der Nordseeküste – sie sind 100-prozentige Töchter der Gemeinden. Die Klage blieb erfolglos, und zwar endgültig, denn den Streitwert hatte das AG auf 600 Euro festgesetzt. Damit war der Rechtsweg erschöpft.
Aber Janto Just und seine Mitstreiterin Jasmin Roos wollten sich damit nicht abfinden. Sie erhoben Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) Oldenburg gegen die Gemeinde Wangerland: Die Gemeinde sollte ihre Gesellschaft anweisen, freien Strandzugang zu gewähren. Auch das VG wies die Klage ab (VG Oldenburg, Urt. v. 23.09.2014, Az. 1 A 1314/14). Immerhin ließ das Gericht aber die Berufung zu, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache. Die Kläger cheiterten auch vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg (Urt. v 19.01.2016, Az. 10 LC 87/14), erreichten aber auch dort die Zulassung der Revision.
Strandkörbe, Toiletten, Kinderspielplatz und die DLRG
Die beklagte Gemeinde soll Just und Roos das unentgeltliche Betreten der beiden Nordseestrände im Gemeindegebiet ermöglichen, indem sie die Tourismus GmbH entsprechend anweist. Die wiederum hat die Strände vom Land Niedersachsen gepachtet, sowohl GmbH als auch das Land waren in dem Rechtsstreit beigeladen.
Die GmbH hat beide Strände in Wangerland nahezu vollständig eingezäunt und u.a. mit Sanitäranlagen und Strandkörben sowie, in bestimmten Strandabschnitten, mit DLRG-Stationen und Kinderspielgeräten ausgestattet, um die Pachtflächen als Strandbäder zu betreiben – ein sehr gängiges Bild entlang der niedersächsischen Nordseeküste. Für den Zugang erhebt die Gemeinde Wangerland von April bis Oktober von allen Besuchern mit Ausnahme der Gemeindeeinwohner und Kurkarteninhaber ein Entgelt.
Für die Kläger aber liegt der Nordseestrand ebenso wie das Küstengewässer dem Gemeingebrauch. Jedermann müsse das Recht haben, Strand und Meer unentgeltlich zu betreten. Das ergebe sich auch aus §§ 59 und 62 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), argumentierten sie vor allen Instanzen. Beim BVerwG fanden sie damit nun Gehör.
2/2: BVerwG: Abwehrrecht gegenüber der Gemeinde und ihren Gesellschaften
Zwar konnten die Leipziger Richter bei ihrer Entscheidung nicht auf das Recht zum Gemeingebrauch abstellen, darüber durfte der Senat wegen der Ableitung aus dem Landesrecht nicht entscheiden. "Das BNatschG aber, insbesondere § 59 BNatSchG, hat uns die Tür geöffnet", sagt Rechtsanwalt Bernard Tepe von der Cloppenburger Kanzlei Mählmeyer & Partner, der Janto Just seit dem OVG-Verfahren bis hin zum BVerwG vertreten hat.
Das Urteil des OVG verletze die Kläger in ihrem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs.1 Grundgesetz (GG), entschied der Senat, und widerspreche §59 BNatSchG. Die Vorschrift unter dem Titel „Betreten der freien Landschaft“ lautet: "Das Betreten der freien Landschaft auf Straßen und Wegen sowie auf ungenutzten Grundflächen zum Zweck der Erholung ist allen gestattet (allgemeiner Grundsatz)".
Aus der Norm folge das Recht zur Abwehr rechtswidriger Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit., so das BVerwG. Dieses könne gegenüber der Gemeinde und sehr wohl auch gegenüber deren Eigengesellschaften geltend gemacht werden.
Nur weil die Flächen als Strandbad bewirtschaftet wurden, dürfe der freie Zugang nicht verweigert werden. Der Betrieb dieser kommunalen Einrichtung sei rechtswidrig, weil eine wirksame Widmung fehle, die auch durch Pachtverträge nicht ersetzt werden könne. Außerdem schränke die Inanspruchnahme nahezu des gesamten Strandes - und nicht nur der für den derzeitigen Badebetrieb benötigten Flächen - die allgemeine Handlungsfreiheit unverhältnismäßig ein, meinen die Richter.
Nicht überall und immer freier Zugang
Der Strand sei Teil der freien Landschaft. Ob er künstlich angelegt, umzäunt oder dort Sand aufgeschüttet, eine DLRG-Station oder ein Toilettenhäuschen aufgestellt wird, ändert an dieser Einschätzung nichts. "Es müsste wesentlich mehr Infrastruktur vorhanden sein, um das Recht zum freien Zugang einzuschränken", erklärt Anwalt Tepe die Entscheidung aus Leipzig.
Daraus folgt allerdings kein Recht der Kläger auf freien Zugang zu sämtlichen Strandflächen. So könnten die Gemeinden immer noch einen Teilbereich zum kostenpflichtigen Strandbad deklarieren, wenn entsprechende Flächen mit der Infrastruktur für den Badebetrieb ausgestattet sind. Es geht allerdings nicht, den gesamten Strand pauschal zum Strandbad zu erklären. Entscheidend sei, so das BVerwG, dass sich die Nutzung des Strandes nicht darin erschöpfe, das nach dem Gesetz unentgeltlich zu gewährende Betreten zum Spazierengehen und Baden zu kommerzialisieren.
Für Wangerland ist die Entscheidung des BVerwG klar. "Unklar ist allerdings, wie die Gemeinde und andere Regionen damit umgehen", sagt Tepe. Er rechnet damit, dass auch andere Erholungsgebiete nicht nur an der Nordsee, sondern auch mit Binnenseen die eigene Praxis überprüfen müssen – schließlich gebe es an vielen Stellen Beschränkungen beim Zugang zur Natur.
Die Gemeinde habe bereits zuvor angedeutet, sie wolle prüfen, ob es nun auch für die Tagesgäste eine Kurtaxe oder höhere Parkgebühren erheben könne. In diesem Fall sei dann allerdings nach seiner Einschätzung das Land Niedersachsen in der Pflicht, sicherzustellen, dass hinreichend Meeresstrand zur Verfügung gestellt werde, der unentgeltlich betreten werden kann, ohne dass irgend ein Entgelt entrichtet werden muss. Insoweit bestehe eine erhöhte Verpflichtung über § 62 BNatSchG.
Tanja Podolski, Strandeintritt an der Nordsee: Freier Strand für freie Bürger . In: Legal Tribune Online, 14.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24527/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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