Wen darf der BND wie im Ausland überwachen? Und wie sortieren die Geheimdienstler Journalisten oder Anwälte aus? Klar ist nur: Die Richter haben sehr viele Fragen. Und für einen wird es die letzte große Grundsatzentscheidung werden.
Keiner von ihnen ist am Dienstag nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gekommen, obwohl es eigentlich nur um sie geht: die Beschwerdeführer. Geklagt haben ausländische Journalisten und Menschenrechtler, sie arbeiten in Mexiko, Guatemala oder Slowenien zu Themen von organisierter Kriminalität über Korruption bis hin zu Terrorismus. Alles Themen, für die sich auch der deutsche Auslandsgeheimdienst, der Bundesnachrichtendienst (BND) interessiert. Seine Aufgabe ist es, der Bundesregierung schnell Informationen zu verschaffen, damit diese außenpolitische Entscheidungen treffen kann.
Die Frage, wer hinter einem Angriff steckt, könne über Krieg und Frieden entscheiden, so der Chef des Kanzleramtes, Helge Braun (CDU) am Dienstag in der Verhandlung. Als Schlagworte erinnerte er an die aktuellen Konflikte in Iran, Irak oder Libyen. Außerdem dienten Geheimdienstinformationen zur Entschärfung von Terrorismus, Entführungen oder Cyberangriffen.
Einen ganz erheblichen Teil seiner Informationen gewinnt der BND durch die sogenannte strategische Fernmeldeaufklärung, also eine anlassunabhängige Überwachung der Internetkommunikation von E-Mail bis Video-Chat. Dazu lassen sich die Geheimdienstler von Internetanbietern Daten ausleiten. Die Beschwerdeführer befürchten, dass sie auch in der Beobachtung landen, sie halten deshalb Vorschriften zur Auslandsaufklärung im BND-Gesetz für verfassungswidrig.
Christian Mihr von der NGO Reporter ohne Grenzen repräsentierte die Beschwerdeführer und beschrieb am Dienstag in der Verhandlung, wie diese Überwachungspraxis zum Abschreckungsproblem für die Arbeit von investigativen Journalisten werden kann. Aufdeckungsgeschichten wie die Panama oder Paradise Papers könnten nicht ohne menschliche Quellen entstehen. Müssten diese Informanten aber befürchten, "dass ihre Kommunikation über Jahre hinweg in Datenbanken liegt, aus denen sie an diverse Geheimdienste der Welt geraten kann, hat das eine enorm einschüchternde Wirkung", sagte Mihr vor Gericht.
Deutsche Grundrechte weltweit?
Das Fehlen der Beschwerdeführer, der ausländischen Journalisten und Menschenrechtler, am Dienstag in Karlsruhe ist dabei auch symbolisch. Denn während es für den BND um eine seiner wichtigsten Arbeitsgrundlagen geht, geht es verfassungsrechtlich um eine sehr grundsätzliche Frage: Können sich Ausländer, also Menschen irgendwo auf der Welt, auf deutsche Grundrechte berufen, wenn sie sich durch die deutsche Staatsgewalt verletzt sehen? Sollen sie also aus aller Welt nach Karlsruhe kommen können, um eine Grundrechtsverletzung zu rügen?
Dazu hatte der Erste Senat des BVerfG am Dienstag eine ganze Reihe von Nachfragen. Vor allem, ob das Grundgesetz diese sozusagen internationale Schutzdimension überhaupt zulässt. Ausgangspunkt war dabei Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz (GG): "Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht." Also eine Bindung deutscher Staatsgewalt an Grundrechte – und zwar auch dann, wenn sie Rechtsverletzungen im Ausland und bei Ausländern verursachen? Eine territoriale Beschränkung des GG wollten die Richter in der Verhandlung jedenfalls nicht so recht erkennen.
Prof. Dr. Joachim Wieland, Verfassungsrechtler an der Uni Speyer und Prozessbevollmächtigter der Regierung, sprach sich deutlich gegen eine solche Ausweitung aus, das könne man der GG-Konzeption so nicht entnehmen. Auch warnte er vor den Folgen einer solchen Internationalisierung des Grundrechtsschutzes. Ob sich dann auch Asylbewerber in Syrien auf Asylgrundrechte berufen können sollten oder Empfänger von deutscher Entwicklungshilfe auf Gleichheitsrechtsschutz, fragte er rhetorisch. Den Verfassungsrichtern ging es aber, das wurde deutlich, nur um eine abwehrrechtliche Dimension. Also spezifische Fälle, in denen Ausländer durch deutsche Staatsgewalt im Ausland verletzt werden. Der Gedanke der Internationalisierung bei den Grundrechten scheint für die Richter eng verbunden mit den spezifischen Gefährdungslagen des Art. 10 GG, also beim Fernmeldegeheimnis.
Das BVerfG beschäftigten auch weitere grundrechtliche Eigenheiten bei der strategischen Fernmeldeüberwachung. So wurde in der Verhandlung deutlich, dass ein Großteil der Auslandsüberwachung von deutschem Boden aus erfolgt. Ein bekanntes Beispiel ist der Internetknotenpunkt in Frankfurt am Main, durch den ein großer Teil des Internetverkehrs läuft und an dem sich der BND eine Ausleitung hat einrichten lassen.
Wieland hielt dagegen, dass durch eine internationale Ausweitung von subjektiven Grundrechtsberechtigungen in Rechtsordnungen fremder Staaten hineingeregelt würde. Auch dazu hatten die Richter Nachfragen. So zeigten sie sich nicht besonders überzeugt davon, dass eine Grundrechtsgewährleistung einer Einmischung in fremde Rechtsangelegenheiten eines anderen Staates gleichkomme. Sie erkannten darin eher eine zusätzliche grundrechtliche Haftung des deutschen Staates für das, was er im Ausland tut.
Wie werden aus 150.000 abgefangenen Nachrichten am Tag 250 Meldungen?
Nach der Mittagspause wurden mehrere leitende BND-Mitarbeiter befragt, die für die technische Aufklärung zuständig sind. Die BVerfG-Richter interessierte dann vor allem die Praxis: Wie werden die Daten erhoben und wie ausgewertet? Bei der Ausland-Ausland-Überwachung fange der BND am Tag rund 150.000 Kommunikationsdatensätze ein, also E-Mails oder Textnachrichten, so ein leitender BND-Beamter. Dafür sorgten ausgewählte Suchbegriffe, das laufe alles automatisch ab. Am Ende eines Tages blieben davon 250 interessante Meldungen übrig. Diese Aussortierung erfolge dann durch Mitarbeiter, meist Fremd-Muttersprachler, des BND. Sie lesen manuell E-Mails, Textnachrichten oder hören sich abgefangenen Gespräche an. Sie entscheiden, was wichtig ist und weiterverfolgt werden muss.
An dieser Stelle gäbe es die Möglichkeit, so beschreiben es die BND-Beamten, noch festzustellen, dass durch die automatische Aussiebung eine Kommunikation erfasst wurde, die laut Gesetzeslage gar nicht hätte erfasst werden dürfen. Also zum Beispiel, wenn doch ein Deutscher an der Kommunikation beteiligt war. So eine Überwachung wäre dann nur nach den weiteren Voraussetzungen des sogenannten G-10-Gesetzes erlaubt. Solche Fehlerfassungen passierten in rund 30 Fällen pro Monat, sagte ein leitender BND-Beamter. Gemessen an der hohen Zahl abgefangener Datensätze hielt er das für einen "guten Wert".
Wie sortiert der BND Kommunikation von Anwälten oder Journalisten aus?
Die Antworten waren um einen Spagat bemüht: Wieviel muss der Geheimdienst in Karlsruhe von seiner Praxis preisgeben, um die Richter zu überzeugen, und wieviel muss und sollte nicht öffentlich werden? Besonders interessierte den Senat, was der BND intern dafür tut, solche Kommunikation auszusortieren, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betrifft und solche, bei der die besondere Vertrauensbeziehung von Journalisten oder Anwälten betroffen ist.
BND-Mitarbeiter erläuterten dazu, dass auch hier das Stufensystem wirke. Außerdem gebe es eine interne Qualitätssicherung, eine eigene Abteilung, die Suchbegriffe und Zweifelsfälle überprüft. Auch lag den Richtern eine interne "Dienstvorschrift SIGINT" des BND vor. Sie enthält Verhaltungsanweisungen an die Nachrichtenauswerter: Was sind Anzeichen für eine Kommunikation mit Kernbereichsbezug oder die Annahme, dass ein besonders geschütztes Vertrauensverhältnis vorliegt?
Doch auch hier scheinen die Details knifflig. Die interne BND-Dienstvorschrift verweist auf § 53 Strafprozessordnung (StPO), der Zeugnisverweigerungsrechte für Ärzte oder Anwälte regelt. Richter Henning Radtke fragte nach, wie die BND-Auswerter zum Beispiel damit umgehen, dass nach § 53 StPO auch "Geistliche" in ihrer Kommunikation besonders geschützt würden. Wer aber für eine fremde Religionsgemeinschaft ein Geistlicher ist, sei alles andere als einfach zu bestimmen, gab Radtke zu bedenken.
Ein letztes großes Verfahren für BVR Masing
Nicht nur daran, dass das BVerfG eine mündliche Verhandlung mit zwei Verhandlungstagen angesetzt hat, kann man erkennen, dass eine Grundsatzentscheidung zu erwarten ist. Auch ist in dem Verfahren BVR Johannes Masing Berichterstatter. Er hatte zuletzt als solcher mit den Entscheidungen zum Recht auf Vergessen nicht nur wesentlich an einer Grundsatzentscheidung zum Persönlichkeitsrechtschutz im Internet mitgewirkt, sondern auch noch das Verhältnis der Grundrechtsprüfung zwischen BVerfG und EuGH neu geregelt. Kommt als nächstes nun die Internationalisierung des Grundrechtschutzes? Eine Entscheidung wird das Gericht erst in wenigen Monaten treffen. Allerdings: Richter Masing wird das Gericht Ende April verlassen, seine Amtszeit endet dann.
BVerfG verhandelt zur Geheimdienstüberwachung: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39679 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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