2/2: "Gefahr im Verzug" auch bei Geheimhaltungsbedürftigkeit?
Dieser Aspekt macht das besondere Vertrauenserfordernis zwischen Regierung und Parlament im Zusammenhang mit Militäroperationen deutlich. Wie das BVerfG ausführt, ist dem offenbar auch nach Ansicht der antragstellenden Fraktion ausreichend Rechnung getragen worden. Angesichts der Tatsache, dass der Außenminister die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag unmittelbar nach Beendigung der Evakuierung telefonisch informierte, die Obleute der relevanten Ausschüsse umgehend schriftlich in Kenntnis gesetzt wurden und die politisch-parlamentarischen Informationsmöglichkeiten erst mit einer Kleinen Anfrage aus dem Juni 2011 in Anspruch genommen wurden, sah sich das BVerfG nicht veranlasst, über die konkreten Unterrichtungsrechte des Parlaments bei Eilentscheidungen zu entscheiden.
Die Antragsteller haben ihrem Vorstoß insofern die falsche Fallfrage zugrunde gelegt. Denn der tatbestandliche Anwendungsfall "Gefahr im Verzug" dürfte nunmehr an Bedeutung gewonnen haben. Inwieweit ihm neben dem Zeitmoment (Eilbedürftigkeit) auch ein Umstandsmoment (z.B. Geheimhaltungsbedürftigkeit) zu entnehmen ist, wird nun außerhalb dieses Verfahrens zu bestimmen sein. Offen bleibt zudem, wem letztendlich die Entscheidungskompetenz auf Exekutivseite zugewiesen ist. Ist es wirklich "die Bundesregierung", also das Kollegialorgan im Sinne des Art. 62 Grundgesetz (GG)? Die hatte auch im Fall "Pegasus" weder geschlossen darüber beraten noch den Einsatz beschlossen.
Eine Entscheidung auch im Sinne der Soldaten
Insoweit bleibt der Wermutstropfen, dass das Urteil zu weitergehenden (auch materiellen) Rechtsfragen nicht Stellung nehmen und die erhoffte Klärung der vielen ausfüllungsbedürftigen Passagen im Wehrverfassungsrecht nicht liefern kann; sei es zum Verteidigungsbegriff des Art. 87a GG oder zu den erlaubten Einsatzformen der Streitkräfte im Allgemeinen. Hier erinnert Karlsruhe abermals dezent daran, dass die insoweit Verantwortlichen andernorts zu suchen sind: "Es ist Sache des Gesetzgebers, Form und Ausmaß parlamentarischer Mitwirkung je nach Anlass und Rahmenbedingungen des Einsatzes näher auszugestalten". Soweit der Gesetzgeber nicht verfassungsändernd tätig werden will, hat der Zweite Senat daher heute einer extensiven parlamentarischen Anspruchshaltung ihre Grenzen aufgezeigt.
Seit der letzten Entscheidung im wehrverfassungsrechtlichen Kontext, dem "Lissabon-Urteil" aus 2009, hat sich die Senatsbesetzung weitgehend geändert: Nur zwei der Richter von damals waren auch an der jetzigen Entscheidung beteiligt. Mit dieser haben sie bei näherer Betrachtung weniger das Parlament gestärkt, als vielmehr diejenigen, deren Perspektive in der Rechtsprechung oft nicht besonders prominent zum Tragen kommt: Durch die alleinige Eilkompetenz bei Gefahr im Verzug werde "…dem Interesse der eingesetzten deutschen Soldaten Rechnung getragen, nur aufgrund einer rechtlich verlässlichen und nicht etwa schwebend unwirksamen Anordnung in einen bewaffneten Auslandseinsatz entsandt zu werden."
Der Autor Dr. iur. Robert Glawe ist Rechtsanwalt und Major der Reserve. Gegenstand seiner Promotion waren Organkompetenzen und Handlungsinstrumente auf dem Gebiet der nationalen Sicherheit. Er veröffentlicht regelmäßig zu sicherheitsrechtlichen und sicherheitspolitischen Themen.
BVerfG zum Parlamentsvorbehalt bei Militäreinsätzen: . In: Legal Tribune Online, 23.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16992 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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