2/2: Der Fernsehrat: Quadratur des Kreises
Der ZDF-Staatsvertrag versucht diese Quadratur des Kreises durch die Zusammensetzung des Fernsehrates zu erreichen. Der Fernsehrat ist das wichtigste Gremium, in dem die grundlegenden Entscheidungen für das ZDF fallen - oder jedenfalls fallen sollen. Er entscheidet über die Programmrichtlinien und muss die inhaltliche Vielfalt des Rundfunkprogramms sichern. Er hat 77 Mitglieder, die möglichst repräsentativ aus allen relevanten Gruppen der deutschen Gesellschaft kommen sollen. Durch diese binnenpluralistische Zusammensetzung soll nicht der Staat, sondern die Zivilgesellschaft die Kontrolle über das ZDF ausüben.
In der Theorie klingt das auch sehr plausibel. Die konkrete Zusammensetzung des Fernsehrates regelt Art. 21 ZDF-Staatsvertrag. Danach sind nur 34 Mitglieder direkte Vertreter des Staates und seiner Organe. Das Problem sind aber andere Gruppen im Fernsehrat, die nur auf den ersten Blick vom Staat unabhängig sind. In vielen Verbänden, die eine gesellschaftliche Gruppe repräsentieren (sollen), sitzen ehemalige Bundesminister und noch aktive Parteipolitiker. Für das Rote Kreuz etwa sitzt der ehemalige und langjährige Bundesinnenminister Rudolf Seiters in dem Gremium. Die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach vertritt den Bund der Vertriebenen. Mit anderen Worten: Der Einfluss von Politik und Staat im Fernsehrat ist deutlich größer, als die vorgesehene Zusammensetzung es vermuten lässt.
Hier setzt das BVerfG an, indem es die Zahl der Staatsvertreter und der staatsnahen Personen auf ein Drittel beschränkt.
Nur ein Urteil – oder eine Machtprobe?
Das Urteil der Karlsruher Richter ist gut gemeint: Sie wollen die Rundfunkfreiheit sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen die Richter auf bewährte juristische Instrumente – Quotenregelungen, Verbote, Inkompatibilitätsregelungen und strikte Zugangsregelungen. Aber ob das effektiv ist? Medien und Politik sind zwei besonders dynamische Bereiche der Gesellschaft, die sich kaum mit solch einfachen und starren Regelungen ordnen und erfassen lassen.
Aber das Urteil ist noch aus einem anderen Grund hochproblematisch, denn das BVerfG überschreitet darin die eigenen Kompetenzen. Seine Aufgabe wäre es gewesen, die Verfassungswidrigkeit des ZDF-Staatsvertrags zu prüfen. Stattdessen macht es der Rundfunkpolitik konkrete Vorgaben, wie der nächste Staatsvertrag inhaltlich aussehen muss. Solche Entscheidungen treffen in der Demokratie aber die Parlamente, nicht die Gerichte. Eine gewisse justizielle Zurückhaltung ist eine wichtige Tugend, gerade für ein Verfassungsgericht. Sonst riskiert es seine Akzeptanz und langfristig auch seinen Einfluss.
Dennoch können die Rundfunkpolitiker das Urteil zum Anlass nehmen, eine überzeugendere Lösung für das ewige Dilemma des öffentlichen Rundfunks zu finden: Wie kann man öffentliche Rundfunkanstalten demokratisch kontrollieren, ohne sie dem Einfluss von Staat und Parteien auszuliefern?
Der Autor Prof. Dr. jur. habil. Dr. rer. pol. Volker Boehme-Neßler lehrt unter anderem Staats- und Verfassungsrecht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.
Volker Boehme-Neßler, Das Bundesverfassungsgericht und der Rundfunk: . In: Legal Tribune Online, 25.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11439 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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