BVerfG erlaubt Sukzessivadoption für Homosexuelle: Der letzte Schritt vor der end­gül­tigen Gleich­stel­lung

von Pia Lorenz

19.02.2013

Auch Homosexuelle dürfen künftig das adoptierte Kind ihres eingetragenen Lebenspartners annehmen, urteilte das BVerfG am Dienstag. Obwohl Karlsruhe nur über die Sukzessivadoption entschied und auch ein zeitgleiches Urteil des EGMR zu Adoptionsrechten Homosexueller für Deutschland wenig bringt, wird nun überall die vollständige Gleichstellung mit der Ehe gefordert. Rechtlich zwingend ist sie auch jetzt noch nicht. Logisch schon. 

Die Entscheidung aus Karlsruhe kam nicht überraschend. Schon in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im vergangenen Dezember hatte sich abgezeichnet, dass die Richter geneigt waren, den fast einstimmigen Aussagen der Sachverständigen zu folgen, dass sich Kinder in "Regenbogenfamilien" genauso gut entwickeln wie in anderen Familienformen.

"Die behüteten Verhältnisse einer eingetragenen Lebensgemeinschaft können das Aufwachsen von Kindern ebenso fördern wie die einer Ehe." Diese Einschätzung der Experten war am Ende ausschlaggebend für die Entscheidung des BVerfG. Die Bundesrichter erklärten die geltende deutsche Rechtslage für verfassungswidrig, nach der zwar ein Ehegatte, nicht aber der eingetragene Lebenspartner das vom Partner bereits adoptierte Kind später ebenfalls adoptieren darf.

Für diese Ungleichbehandlung gibt es nach Ansicht des Ersten Senats keinen sachlichen Grund. Das Verbot der so genannten Sukzessivadoption diskriminiert sowohl die betroffenen Kinder als auch die homosexuellen Lebenspartner und findet nun keine Anwendung mehr, der Gesetzgeber muss bis zum 30. Juni 2014 eine verfassungskonforme Neuregelung treffen (Urt. v. 19.02.2013, Az. 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09).

Völlige Gleichstellung: Nicht zwingend, aber logisch

Daran, dass eingetragene Lebenspartner derzeit gemeinsam kein Kind adoptieren dürfen, ändert das höchstrichterliche Urteil unmittelbar nichts, ein Verfahren dazu ist derzeit auch nicht anhängig.

Dennoch nannte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenber die Entscheidung einen "historischen Schritt". Wie auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte sie, gleichgeschlechtliche Paare und Ehegatten gleichzustellen. Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende erinnerte an das Nachbarland, das nach langwierigen Debatten die gemeinsame Adoption auch für Homosexuelle verabschiedete: "Was Frankreich jetzt auf den Weg gebracht hat, muss auch in Deutschland möglich sein."

Zwingend ist dieser Schritt auch nach der Entscheidung des BVerfG nicht, resümiert Nina Dethloff. Aber auch die habilitierte Rechtswissenschaftlerin aus Bonn, die als Sachverständige in dem Karlsruher Verfahren auftrat, hält das Urteil für einen Meilenstein für die Gleichstellung von Kindern in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. "Jetzt ist anerkannt, dass es eine gemeinschaftliche rechtliche Elternschaft eingetragener Lebensgemeinschaften bei einem fremden Kind gibt", sagte sie gegenüber LTO.

BVerfG: Ebenso behütet wie in einer Ehe

Über die Sukzessivadoption geht diese Wertung aus Karlsruhe nach Einschätzung der Expertin weit hinaus. "Wenn diese rechtliche gemeinsame Elternschaft einmal anerkannt ist, ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis diese auch unmittelbar gemeinschaftlich begründet werden kann."

Tatsächlich sind die Erwägungen der Bundesrichter insbesondere zum Kindeswohl in weiten Teilen unmittelbar auch auf die gemeinschaftliche Adoption übertragbar. Die eingetragene Lebenspartnerschaft ist ebenso auf Dauer angelegt und von einer verbindlichen Verantwortungsübernahme geprägt wie eine Ehe, betonte der Senat. Behütete Verhältnisse können Kinder in einer stabilen Partnerschaft finden, egal, ob die Eltern hetero- oder homosexuell sind. Auch Bedenken wie beispielsweise eine Stigmatisierung der Kinder wegen ihrer gleichgeschlechtlichen Eltern wiesen beinahe alle Sachverständigen ebenso wie nun die Richter zurück.

Vielmehr verbessert die Sukzessivadoption die Stellung des Kindes nach Ansicht des Senats ganz erheblich. Sie verschafft ihm nicht nur Sicherheit, sondern auch Unterhalts- und Erbansprüche. Auch das Sorgerecht und der Umgang mit dem neuen Elternteil können im Fall einer Trennung angemessen geregelt werden.

Nicht mehr weit bis zur gemeinschaftlichen Adoption

Acuh wenn diese konkreten Erwägungen, mit denen das höchste deutsche Gericht faktisch längst bestehenden sozialen Familien zu rechtlicher Realität verhilft, unmittelbar nur die Sukzessivadoption betreffen, ist der Schritt zum gemeinschaftlichen Adoptionsrecht für homosexuelle Lebenspartner nach Ansicht von Dethloff aus einem ganz einfachen Grund nicht mehr weit.

"Das ganze Verfahren verzögert sich ja jetzt nur," erklärt die Professorin. Schon jetzt kann ein Einzelner ein Kind adoptieren - auch wenn er homosexuell ist. "Und wenn nun auch der zweite Partner dieses Kind dann später adoptieren kann, bedeutet das nur eine Verzögerung des gesamten Verfahrens. Und die ist nicht im Interesse des Kindes." 

Ob das Kindeswohl nun die Bundesregierung motivieren wird, noch im Wahljahr für eine vollständige Gleichstellung zu sorgen, darf man bezweifeln. Auch wenn Karlsruhe mittlerweile fast schon regelmäßig Ungleichbehandlungen Homosexueller auch in anderen Bereichen als verfassungswidrig aufhebt, kamen aus Berlin bislang bloß marginale Korrekturen in Randbereichen.

EGMR: Stiefkindadoption muss möglich sein, wenn sie es für unverheiratete Hetero-Paare ist

Europa jedenfalls liefert trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ebenfalls zu den Adoptionsrechten homosexueller Lebensgemeinschaften kaum weiteren Input.

Die Straßburger Richter entschieden, dass das österreichische Verbot der Stiefkindadoption homosexuelle gegenüber unverheirateten heterosexuellen Paaren diskriminiert (Urt. v. 19.02.2013, Az. 19010/07). Für Deutschland aber hat der Sieg der klagenden Lesbe, welcher die österreichischen Behörden nun nicht mehr verbieten dürfen, den leiblichen Sohn ihrer Partnerin zu adoptieren, kaum Bedeutung.

Denn diesbezüglich ist man hierzulande schon weiter: Die Stiefkindadoption ist bereits nach geltendem Recht auch für homosexuelle Paare (§ 9 Abs. 7 Lebenspartnerschaftsgesetz, LPartG), nicht aber für unverheiratete heterosexuelle Paare möglich. Eben die vom EGMR kritisierte Diskriminierung gegenüber unverheirateten Paaren besteht in Deutschland damit nicht. 

Auch wenn es langsam geht, geht es also in Deutschland noch schneller als in manch anderen EU-Ländern. Und auch wenn die vollständige Gleichstellung nach dem heutigen Karlsruher Urteil noch immer nicht zwingend geboten sein mag, ist sie der einzig logische nächste Schritt. Nina Dethloff jedenfalls erinnert sich, dass im Jahr 2003, noch vor Inkrafftreten des LPartG, eine Adoption für Homosexuelle noch völlig ausgeschlossen erschien. Im Jahr 2005 kam dann die Stiefkindadoption, nun ist die Sukzessivadoption möglich. "Manchmal muss man sich auch an Dinge einfach gewöhnen, bis sie dann endlich Normalität werden."

Mit Materialien von dpa.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, BVerfG erlaubt Sukzessivadoption für Homosexuelle: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8175 (abgerufen am: 15.11.2024 )

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