Manche sehen im Zeitalter des Internets schon das Ende der Privatsphäre und des Datenschutzes gekommen. "Post-Privacy" lautet das Schlagwort. Doch für Bundesverfassungsrichter Andreas Paulus gehört das Recht auf Privatheit noch längst nicht der Vergangenheit an. "Wir sollten nicht einfach hinnehmen, dass wir in einer globalen Überwachungssituation leben", sagte Paulus am Donnerstag in Karlsruhe.
"Wir müssen uns vielmehr fragen, wie wir die Grundrechte, die wir national haben, effektiv machen - nicht nur national, sondern auch europäisch". Das sei zum großen Teil schon gelungen, sagte Paulus mit Blick auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Man müsse nun dahin kommen, dass gewährleistet sei, "dass es einen Rechtsschutz gibt gegen internationales Datensammeln - ob anlasslos oder mit Anlass".
Denn hierbei handele es sich nicht "um eine Bagatelle oder einfach einen Fakt des Lebens im 21. Jahrhundert". Sähe man dies so, wäre das gleichbedeutend mit der "Selbstaufgabe des Grundrechtsstaates". Es gebe Anlass, "internationalen Konsens herzustellen, um zur Durchsetzung des Rechts auf Privatheit zu kommen", sagte Paulus bei einem Vortrag zum Thema "Grundrechtsschutz gegen staatliche Datensammlung in rechtsvergleichender Perspektive" beim 14. @kit-Kongress.
Professor Andreas L. Paulus ist seit März 2010 Richter im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Der 46-jährige Jurist hat zudem seit 2006 den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Georg-August-Universität Göttingen inne. Er betonte bei seinem Vortrag, dass er seine persönliche Meinung referiere und nicht für das gesamte Verfassungsgericht spreche.
Paulus: "Der Staat braucht für alles eine Rechtsgrundlage"
Der Verzicht auf Privatsphäre könne zwar in den alten Zeiten des "Big-Brother"-Containers wegen der Zustimmung der Betroffenen noch erträglich gewesen sein, sagte Paulus. "Als Möglichkeit des Staates, über alles und jedes Bescheid zu wissen, ist er das sicherlich nicht", unterstrich der Verfassungsrichter.
Er machte deutlich, dass die Hürden für Eingriffe in die Bürgerrechte in Deutschland gerade für den Staat sehr hoch seien. Paulus verwies darauf, dass es im deutschen Datenschutzrecht "eine fundamentale Unterscheidung" zwischen dem Staat und Privaten gebe, jedenfalls bei den Grundrechten: Der Einzelne oder der Privatunternehmer dürfe grundsätzlich alles - es sei denn, es ist ihm durch Gesetzgebung untersagt. Der Staat hingegen dürfe nichts - es sei denn, es ist ihm durch die Gesetzgebung erlaubt. Das sei Rechtsprechung des BVerfG. Wenn der Staat also in die Privatsphäre des Bürgers eingreife, brauche er "für alles und jedes eine einzelne Rechtsgrundlage". Daran sei festzuhalten, betonte Paulus.
Zu einer möglichen Verfassungsklage gegen die von der großen Koalition geplante neue Vorratsdatenspeicherung wollte der Staatsrechtler sich nicht näher äußeren. Sollte ein solches Gesetz aber je wieder zum Verfassungsgericht kommen, habe er nur einen Wunsch an die Parteien, insbesondere den Staat: "Bitte Fakten auf den Tisch!" Ob das letztlich das Bundeskriminalamt, die Bundesregierung oder die US-amerikanische Regierung erledige, sei egal. Dabei bezog er sich offenbar darauf, dass der Staat deutlich belegen muss, warum eine massenhafte Vorratsdatenspeicherung erforderlich ist, um schwere Straftaten verfolgen oder terroristische Anschläge tatsächlich verhindern zu können.
Google:"NSA hat nicht mit uns zusammen gearbeitet"
Der jährlich stattfindende @kit-Kongress wird vom "Bayreuther Arbeitskreis für Informationstechnologie – Neue Medien – Recht" (AKIT) veranstaltet. Mitglieder sind Rechtswissenschaftler, Rechtsanwälte, Richter und Computerexperten. Der Arbeitskreis hat enge Kontakte zu Bundespolitik und IT-Unternehmen.
Der Leiter der Rechtsabteilung der Google Deutschland GmbH, Arnd Haller, betonte bei einer Podiumsdiskussion, die Debatte um die NSA-Datenausspähung habe das Unternehmen Google beschädigt. "Wir sind in der Debatte auch Opfer", sagte Haller. Google habe zu den staatlichen Institutionen in den USA die gleichen Beziehungen wie zu staatlichen Behörden in anderen Ländern auch. Die NSA frage wie der BND oder Polizeibehörden nach konkreten Nutzerdaten, wobei dann jeweils eine Einzelfallprüfung stattfinde, ob die Daten herausgegeben würden.
Bei den Behördenanfragen an Google stehe Deutschland an zweiter Stelle hinter den USA. Im ersten Halbjahr 2014 habe es 3.300 Anfragen von deutschen Behörden gegeben und 12.500 Anfragen von US-Behörden, sagte Haller unter Berufung auf den "Google Transparency Report". Haller stellte jedoch klar: "Die NSA hat überhaupt nicht mit uns zusammengearbeitet." Es gebe keine "Systeme, die angedockt sind an unsere Systeme". Der Google-Verantwortliche fügte hinzu: "Wir haben keine Vordertür oder Hintertür für die NSA geöffnet."
Verfassungsrichter Paulus will Überwachung nicht hinnehmen: . In: Legal Tribune Online, 24.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15343 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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