Der aktuelle Stand im Fall Egenberger: Müssen Dia­konie-Mit­ar­beiter reli­giös sein?

von Tanja Podolski

09.10.2024

Seit rund fünf Jahren hängt der Fall Egenberger beim BVerfG. Die Diakonie hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt, nachdem EuGH und BAG sie wegen Diskriminierung verurteilt hatten. Wenn Karlsruhe entscheidet, könnte ein Anwalt in den Ruhestand.

 

In sieben für das Jahr 2024 angekündigten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist Verfassungsrichterin Christine Langenfeld die Berichterstatterin. Fünf davon sind erledigt. Offen ist eine Organklage wegen der Einrichtung des europäischen Verteidigungsfonds – und der Fall Egenberger (Az. 2 BvR 934/19). Der hängt dort seit inzwischen rund fünf Jahren, terminiert ist er bisher nicht. 

Für Dr. Klaus Bertelsmann ist es der letzte Fall, den er als Anwalt noch bearbeitet. Es ist die Geschichte der Sozialpädagogin Vera Egenberger, die sich auf eine Stelle als Referentin bei der Diakonie beworben hatte. Sie war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon aus der Kirche ausgetreten und bekam aus diesen Gründen den Job nicht. 

Bertelsmann zog mit der Frau bis zum Bundesarbeitsgericht (BAG), das legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Dort und in der Folge auch beim BAG sorgten Bertelsmann und Egenberger für eine kleine Revolution im kirchlichen Arbeitsrecht.

Diakonie will Konfession bei Mitarbeiterauswahl berücksichtigen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte entschieden, dass sich Kirchen bei Stellenbesetzungen nicht pauschal auf ihr Selbstbestimmungsrecht berufen können (Urt. v. 17.04.2018, Az. C-414/16). Vielmehr müssen sie sich eine Überprüfung ihrer Entscheidungen durch die nationalen Gerichte mindestens in Hinblick auf die drei Kriterien "wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt" gefallen lassen. Das BAG sprach Egenberger in der Folge zwei Monatsgehälter als Entschädigung wegen Diskriminierung wegen der Religion (negative Religionsfreiheit) zu (BAG v. 25.10.2018, Az.: 8 AZR 501/14).

Für die Diakonie geht es in diesem Fall um viel: Denn nach der EuGH- und BAG-Rechtsprechung wäre dies das Ende des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften, abgeleitet aus Art. 140 Grundgesetz (GG) i. V. m. Art 137 II Weimarer Reichsverfassung (WRV). Danach durften sich die Religionsgemeinschaften ihre Beschäftigten selbst aussuchen und diese Entscheidung von der Religionszugehörigkeit abhängig machen – ein Sonderrecht, das nach ihrem Verständnis auch vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht ausgehebelt werden kann, auf dessen Grundlage Bertelsmann für Egenberger die Entschädigung erstritt. 

Man könnte damit sagen: Der Diakonie blieb nach den EuGH- und BAG-Urteilen gar nichts anderes übrig, als im März 2019 Verfassungsbeschwerde zu erheben, wenn sie für ihr rechtlich verbrieftes Selbstbestimmungsrecht kämpfen will.

Befangene Verfassungsrichter?

Die Entscheidung aber lässt auf sich warten. "Das Verfahren befindet sich in Bearbeitung. Es ist derzeit nicht absehbar, wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist", teilte das BVerfG auf LTO-Anfrage mit.

Bewegung gab es zwischenzeitlich gleichwohl in der Sache. Anfang 2021 hat Egenberger mit ihren Anwälten Bertelsmann und dem sie ebenfalls vertretenden Professor Dr. Christian Walter von der LMU München Befangenheitsanträge gegen die Richter des BVerfG Peter Huber und Peter Müller gestellt. In diesen Anträgen ging es darum, dass die beiden damaligen BVerfG-Richter auf einer Kirchenkonferenz, den sogenannten Essener Gesprächen, im März 2019 gegenüber der Diakonie angeblich angeregt haben sollen, Verfassungsbeschwerde einzureichen. Aber: "Anfang 2024 wurden alle Beteiligten informiert, dass über diese Befangenheitsanträge nicht entschieden werden würde", teilte Bertelsmann nun LTO mit. Als Begründung sei ihm mitgeteilt worden, dass die beiden Richter pensioniert und nicht mehr Richter des BVerfG seien. Die Person des Berichterstatters sei nun eine andere. 

Bertelsmann nimmt das hin. "Interessant" findet er jedoch die "Problematik, dass nach § 19 I Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) Befangenheitsanträge gestellt werden können, nach überwiegender Auffassung aber nur von den Verfahrensbeteiligten", sagt der Anwalt aus Hamburg. Diese seien nur der Beschwerdeführer und die Verfassungsorgane (§ 94 V BVerfGG), nicht aber diejenige Person, die in der durch Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung begünstigt worden ist – in diesem Fall also Egenberger selbst. Die ist nicht Beteiligte, darf also keinen Befangenheitsantrag stellen, sondern sich nur zur Verfassungsbeschwerde äußern. Bertelsmann hält diesen Ausschluss für verfassungswidrig. Vorgehen wird er gegen den Ausschluss aber nicht. 

"Festhalten an Verfassungsbeschwerde ist geboten"

Für den inzwischen 75-jährigen Anwalt bleibt der Egenberger-Fall also der letzte. Ob das BVerfG in Sinne der Sozialpädagogin entscheiden wird, da ist er sich nicht sicher. Der Senat müsste von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichen – oder sich dem EuGH widersetzen. Das darf das BVerfG zwar, aber Streit mit dem EuGH vermeidet es eigentlich lieber. 

Die Katholische Kirche hat das Thema bereits pragmatisch gelöst: Sie hat bereits 2022 eine neue kirchliche Grundordnung verabschiedet. Damit ist die Religionszugehörigkeit nur dann ein Kriterium bei der Einstellung, wenn sie für die jeweilige Position erforderlich ist. Auch die Diakonie hat ihre Regelungen zum kirchlichen Arbeitsrecht im Jahr 2023 angepasst. 

"Mit der Mitarbeitsrichtlinie der EKD (Richtlinie des Rates über Anforderungen an die berufliche Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie) wurde die Frage der Kirchenmitgliedschaft als Anstellungsvoraussetzung neu geregelt", teilt Dr. Jörg Kruttschnitt, Vorstand Finanzen, Personal und Recht beim Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. auf LTO-Anfrage mit. "Dabei haben wir sie für Mitarbeitende, die weder eine Profilverantwortung für die Einrichtung noch die Aufgabe einer glaubwürdigen Außenvertretung haben, auch für Nichtkirchenmitglieder geöffnet.”

"Im Fall Egenberger wäre eine solche Profilverantwortung und Außenwirkung nach unserer Auffassung gegeben, zumal es sich in ihrer Referentinnenfunktion um die bundeszentrale Vertretung der spezifisch diakonischen Position der Diakonie in einem bundesweiten Netzwerk handelte. Daher wären wir sogar nach unserem heutigem Rechtsstand durch die Rechtsprechung des BAG und des EUGH beschwert. Das Erfordernis der Kirchenmitgliedschaft orientiert sich nicht an dem untauglichen Begriff der 'Verkündigungsnähe', über die staatliche Stellen nicht befinden können. Außer in Fällen der Tätigkeiten der Verkündigung, der Seelsorge, der evangelischen Bildung oder einer Mitarbeit in besonderer Verantwortlichkeit für das evangelische Profil kann eine Kirchenmitgliedschaft zudem aufgrund der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung erforderlich sein. Auch, um dies klarzustellen, ist das Festhalten an der Verfassungsbeschwerde geboten", so Kruttschnitt.

Während die Diakonie also an der Verfassungsbeschwerde festhält und auf die Entscheidung wartet, sieht es Anwalt Bertelsmann pragmatisch: "Mein erster Fall als Anwalt war eine Verfassungsbeschwerde, sie wurde nach sieben Jahren als 'offensichtlich unbegründet' zurückgewiesen." Die Verfassungsbeschwerde der Diakonie sei hingegen erst fünf Jahre alt. 

Zitiervorschlag

Der aktuelle Stand im Fall Egenberger: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55589 (abgerufen am: 30.10.2024 )

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