E-Mail-Anbieter müssen grundsätzlich damit rechnen, in einem Strafverfahren die IP-Adressen ihrer Nutzer an die Staatsanwaltschaft zu übermitteln. Dominic Habel und Robert Briske erläutern einen folgenreichen Beschluss des BVerfG.
Der E-Mail-Provider Posteo hatte sich geweigert, im Rahmen einer ordnungsgemäß angeordneten Telekommunikationsüberwachung die IP-Adressen seiner Anwender zu erheben und diese an die Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln. Aus Karlsruhe erhielt der Provider jedoch keine Unterstützung. Die 3. Kammer des Zweiten Senats nahm eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. (Beschl. v. 20.12.2018, Az. 2 BvR 2377/16).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat seinem am Dienstag veröffentlichten Beschluss über die im Ergebnis verfassungsrechtlich zulässige Verpflichtung zur Übermittlung von IP-Adressen und damit auch zu den Grenzen der Datensparsamkeit entschieden. Beschwerdeführer war der Dienst Posteo, der unter dem Motto "E-Mail: Grün, sicher, werbefrei" mit Datenvermeidung und Datensparsamkeit wirbt.
Der Dienst wurde entgegen dem eigenen Geschäftsmodell verpflichtet, IP-Adressen ihrer Kunden zu erheben und an die strafrechtlichen Ermittlungsbehörden zu übermitteln. Aus dem ausführlichen Beschluss lassen sich mittelbar auch Rückschlüsse auf das aus dem Urheberrecht bekannte Problem des "Speicherns auf Zuruf" ableiten.
"Datensparsamkeit und Datenminimierung"
Begonnen hatte alles mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Diese ermittelte im Jahr 2006 gegen den Nutzer eines Email-Accounts wegen des Verdachts des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie eines Verstoßes gegen das Kriegswaffengesetz. Auf Basis der damals geltenden §§ 70 Abs. 1 S. 2, 95 Abs. 2, 100b Abs. 3 S. 2 Strafprozessordnung (StPO) a. F. i. V. m. § 110 Abs. 1 S. 1 Telekommunikationsgesetz (TKG) ordnete das Amtsgericht Stuttgart daraufhin die Online-Durchsuchung des Email-Accounts für sämtliche Verkehrsdaten, also insbesondere IP-Adressen, gegenüber dem Beschwerdeführer Posteo an.
Posteo verwaltet den E-Mail-Account des Beschuldigten und sieht sich im Besonderen den datenschutzrechtlichen Grundsätzen der Datensparsamkeit und Datenminimierung verpflichtet. Konkret nutzt der E-Mail-Provider ein Network-Adress-Translation-Verfahren, mit dem unter anderem die IP-Adressen seiner Kunden verschlüsselt werden, bevor sie in seinen Machtbereich gelangen. Ob das konkret genutzte Verfahren es Posteo (auch) ermöglicht, die IP-Adressen wieder zu entschlüsseln, war bis zuletzt streitig.
Das Landgericht (LG) Stuttgart verwarf jedenfalls die Beschwerde des Email-Account-Anbieters. Erst nach einer Stellungnahme des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik im Rahmen des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens, räumte Posteo ein, dass die IP-Adressen jedenfalls in den "programminternen Datenstrukturen gespeichert werden".
Ausführliche Begründung des BVerfG
Zwar hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde des Email-Account-Anbieters nicht zur Entscheidung angenommen, gleichwohl aber seinen Beschluss auch aufgrund der schwierigen Sachverhaltsermittlung recht ausführlich begründet: Danach sind – wenig überraschend – gesetzliche Vorschriften, auf die eine Online-Durchsuchung für besonders schwere Straftaten gestützt wird, mit der Berufsausübungsfreiheit der Dienstanbieter vereinbar. Das Strafverfolgungsinteresse des Staates und eine funktionstüchtige Strafrechtspflege seien Rechtsgüter von Verfassungsrang, die einen Eingriff mit objektiv berufsregelnder Tendenz in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit und das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG rechtfertigen.
Auch habe nach Ansicht des BVerfG das Urteil des LG Stuttgart die Vorschriften verfassungskonform angewandt. Diesbezüglich hatte Beschwerdeführer Posteo Zweifel, weil § 100b Abs. 3 S. 2 StPO a. F. i.V.m. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV) sich lediglich auf beim Verpflichteten vorhandene Daten beziehe. Weil Posteo aber die Verkehrsdaten nicht protokolliere, seien diese Daten auch nicht bei ihm vorhanden.
Dieser Argumentation erteilte das BVerfG im Stile einer (Super)Revisionsinstanz jedoch eine Absage. Die Verkehrsdaten, insbesondere die IP-Adressen, müssten wenigstens für die Dauer der Kommunikation zwischengespeichert werden, weil andernfalls eine E-Mail nicht einem Empfänger zugeordnet werden könne. Damit seien die Daten aber beim Beschwerdeführer vorhanden. Entscheidend sei daher, dass die Ermittlungsbehörden – vermittelt über den verlängerten Arm des Beschwerdeführers – auf die Verkehrsdaten Zugriff erhalten können. Die subjektiven Absichten oder aber das auf Datensparsamkeit ausgelegte Geschäftsmodell von Posteo seien eine entscheidenden Faktoren. Zwar mögen Vertreter eines restriktiven Schutzes personenbezogener Daten, wie auch der im Verfahren angehörte Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, datenschutzrechtliche Bedenken äußern , aber de lege lata verpflichte § 110 Abs. 1 Nr. 1 TKG den Beschwerdeführer und andere Anbieter öffentlicher Telekommunikationsdienste, organisatorische und technische Voraussetzungen zu schaffen, so dass Anordnungen von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten unverzüglich umgesetzt werden können.
Implikationen auch für das Geistige Eigentum?
Das der Entscheidung zugrundeliegende strafprozessuale Problem ist im Rahmen der unionsrechtlich determinierten immaterialgüterrechtlichen Auskunftsansprüche unter dem Stichwort "Speichern auf Zuruf" bekannt. Diese Auskunftsansprüche etwa zur Durchsetzung von Markenrechts- und Urheberechtsverletzungen führen zum multipolaren Interessenskonflikt zwischen dem Schutz des geistigen Eigentums sowie des Datenschutzes in Form der Datenvermeidung und Datensparsamkeit. Hinzu tritt die zeitliche Problematik, dass viele Dienstanbieter die zur Identitätsfeststellung der etwaigen Verletzer erforderlichen Daten nur für sieben Tage speichern oder aber – wie Posteo im aktuellen Fall – unter Umständen gar nicht.
Quasi aus der Not heraus, bildete sich insoweit die Diskussion um die "Speicherung auf Zuruf". Danach versuchten die Rechteinhaber durch gerichtliche Entscheidungen die Dienstanbieter dazu zu zwingen, die Daten zum einen nicht zu löschen (bzw. zu erheben) und zum anderen die Daten an die Rechteinhaber herauszugeben. Angesichts der Brisanz eines solchen Vorgehens als Eingriff in das Fernmeldegeheimnis in die Berufsausübungsfreiheit der Dienstanbieter sowie der informationellen Selbstbestimmung der Nutzer, forderten die Obergerichte eine ausdrückliche gesetzliche Rechtsgrundlage für die Speicherung und Übermittlung der Daten. Dies wurde teilweise in Literatur und Rechtsprechung angegriffen, da damit der Eigentumsschutz der Rechteinhaber faktisch entwertet werde.
Die aktuelle Entscheidung des BVerfG bestätigt nun diejenigen Obergerichte, welche eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Speicherverpflichtung forderten. Denn das BVerfG rechtfertigte den Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit hier nur vor dem Hintergrund der detaillierten strafprozessualen Eingriffsgrundlagen sowie der ausdifferenzierten Regelung im TKG und der Telekommunikationsüberwachungsverordnung. Derartige Regelungen fehlen jedoch gerade für die Speicherpflicht für Dienstanbieter im Fall von Immaterialgüterrechtsverletzungen.
Der schwierige Ausgleich der Interessen der Rechteinhaber, der Dienstanbieter und der Nutzer kann daher nur durch den Gesetzgeber erfolgen. Zumindest hinsichtlich strafrechtlicher Ermittlungen ist ein "Speichern auf Zuruf" auf Kosten des Dienstanbieters nun verfassungsrechtlich abgesegnet.
Die Autoren Robert Briske und Dominic Habel arbeiten als Rechtsanwälte im Hamburger Büro der Kanzlei Osborne Clarke. Beide sind spezialisiert auf die Beratung und Vertretung in marken-, urheber- und wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten.
BVerfG zu den Grenzen der Datensparsamkeit: . In: Legal Tribune Online, 29.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33525 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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