Nach einem Treffen aller Verfassungsrichterinnen und -richter mit der Bundesregierung folgte ein Ablehnungsgesuch gegen Präsident Harbarth und Richterin Baer in den Bundesnotbremse-Verfahren. Dieses lehnte das BVerfG nun aber ab.
In einem am Montag veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Ablehnungsgesuch gegen seinen Präsidenten Stephan Harbarth und seine Richterin Susanne Baer in einem Verfahren bezüglich der Bundesnotbremse zurückgewiesen (Beschl. v. 12.10.2021, Az. 1 BvR 781/21).
Hintergrund ist ein Treffen im vergangenen Sommer. Am 30. Juni 2021 hatte die Bundeskanzlerin mit fast allen Bundesministerinnen und -ministern und allen 16 Verfassungsrichterinnen und -richtern zu Abend gegessen. Der Abend stand unter dem Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten", ausgewählt hatte es Harbarth. Auf dem Programm stand auch eine Rede von Justizministerin Christine Lambrecht zu politischen Entscheidungen während der Coronakrise. Weiteres Thema waren die "Rechtsetzung in Europa", auch BVerfG-Richterin Susanne Baer hielt einen Vortrag.
Nach Abendessen: Harbarth und Baer befangen?
Aufgrund dieses Treffens hält der Anwalt - laut Welt handelt es sich um den Berliner Rechtsanwalt Niko Härting -, der ein Verfahren für Abgeordnete der Freien Wähler vor dem BVerfG führt, Harbarth und Baer für befangen. Harbarth habe an diesem Abend Lambrecht die Gelegenheit gegeben, die umstrittene Bundesnotbremse zu erklären. Der Anwalt sieht sich in seiner Argumentation auch bestärkt von einer Pressemitteilung des BVerfG vom 20. August 2021. Darin erklärte das Gericht zum Verfahren bezüglich der Bundesnotbremse, dass es voraussichtlich im Oktober bzw. November 2021 entscheiden werde und es dazu nach vorläufiger Einschätzung keiner mündlichen Verhandlung bedürfe, die die Entscheidung nur verzögern würde.
Weil sich die Richterinnen und Richter des BVerfG mit der Regierung über die Bundesnotbremse ausgetauscht und anschließend entschieden hätten, schriftlich zu entscheiden, wecke das Zweifel an der Unvoreingenommenheit, so der Anwalt in dem Ablehnungsgesuch. Außerdem sei davon auszugehen, dass Richterin Baer sich in ihrem Vortrag beim Abendessen über Sach- und Rechtsfragen zum vorliegenden Bundesnotbremse-Verfahren geäußert habe.
Zudem zeigten interne Vermerke des Bundeskanzleramts an die Bundeskanzlerin, wie Präsident Harbarth das von ihm vorgeschlagene Thema des Abends inhaltlich beschrieb: "Welche Beurteilungsspielräume verbleiben den Gewalten bei tatsächlichen Unklarheiten? Wieviel Überprüfbarkeit verbleibt dem BVerfG? Wie kann Sicherheit gewonnen werden? Welche Evaluierungspflichten sind dabei zu berücksichtigen?" Diese Beschreibung habe einen sehr offensichtlichen Bezug zu den Corona-Verfahren vor dem BVerfG und begründe damit ebenfalls Zweifel an der Unvoreingenommenheit.
Schließlich habe sich Präsident Harbarth in einem Interview mit der FAZ zur Coronakrise auch so geäußert, dass sich die Besorgnis der Befangenheit weiter verfestige.
Abendessen und Interview als Ablehungsgründe "gänzlich ungeeignet"
Die Bedenken der Freien Wähler und ihres Anwalts teilte der Erste Senat des BVerfG nun nicht und lehnte das Gesuch ab. Teilweise seien die Gründe, die für die Befangenheit Harbarths vorgetragen wurden, schon "gänzlich ungeeignet", eine solche Besorgnis überhaupt zu begründen. Die Teilnahme an einem "Gedanken- und Erfahrungsaustausch" zwischen BVerfG und Bundesregierung lasse als solche keine Befangenheit erkennen. Gleiches gelte für die Pressemitteilung, die das BVerfG veröffentlicht hatte. Auch in dem Interview mit der FAZ habe Harbarth keine Bewertungen oder Ähnliches hinsichtlich der Bundesnotbremse oder anderer Corona-Maßnahmen abgegeben.
Die Themenauswahl Harbarths für den gemeinsamen Abend sei auch nicht geeignet, dessen Befangenheit zu begründen. Der BVerfG-Präsident habe insoweit eine dienstliche Stellungnahme abgegeben, in der er dargelegt habe, dass er das Thema gerade aufgrund der Abstraktheit und Zeitlosigkeit ausgewählt habe, das sich "auch ohne konkreten Bezug zu anhängigen Verfahren erörtern lasse". Sowohl Themenauswahl und das Thema selbst erweckten keinen "bösen Schein" einer fehlenden Unvoreingenommenheit, so das BVerfG. Und weiter:
"Die mit dem Thema verbundenen Rechtsfragen zu den Kontrollmaßstäben des Bundesverfassungsgerichts unter den Bedingungen tatsächlicher Unsicherheiten sind vielfältig und stellen beziehungsweise stellten sich in zahlreichen Verfahren, die das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat und noch zu entscheiden haben wird", stellte der Senat klar.
Außerdem stelle es eine bloße Behauptung dar, dass das Thema gerade ausgewählt worden sei, um Mitgliedern der Bundesregierung die Möglichkeit zu geben, sich konkret zu anhängigen Verfahren zu äußern. Das Redemanuskript, das Justizministerin Lambrecht für ihren Vortrag vorgelegt habe, bestätige dies. So habe sie in ihren acht Minuten langen Ausführungen keinerlei Anmerkungen zu anhängigen Verfahren gemacht.
Es braucht weitere "Umstände in der Person der abgelehnten Richterin"
Auch das Ablehnungsgesuch gegen Richterin Baer hat der Erste Senat abgelehnt. Laut ihrer dienstlichen Stellungnahme habe sie in ihrem Vortrag beim Abendessen mit der Bundesregierung ebenfalls lediglich über abstrakte Fragen gesprochen. Es sei darum gegangen, "dass Gerichte mit der Dynamik und Komplexität von Wissen anders umgehen müssen als Legislative und Exekutive mit ihrer je eigenen Handlungsrationalität". Daraus lasse sich kein Zweifel an der Unvoreingenommenheit ableiten.
Es sei zwar zwangsläufig so, dass abstrakte rechtliche Erwägungen auch in einem konkret anhängigen Verfahren zu Anwendung kommen könnten, so der Senat. Es gelte dann aber nichts anderes als bei wissenschaftlichen Beiträgen oder anderweitig geäußerten Rechtsauffassungen: Allgemeine Rechtsausführungen könnten die Besorgnis der Befangenheit nur dann begründen, "wenn weitere Umstände in der Person der abgelehnten Richterin hinzuträten, aus denen auf eine fehlende Unvoreingenommenheit und insbesondere eine Vorfestlegung zu entscheidungsrelevanten Rechtsfragen geschlossen werden könnte". Dies sei nicht der Fall, entschied der Senat.
Auch AfD hatte gemeinsames Abendessen bereits angeprangert
Wegen des gemeinsamen Abendessens hatte vorher auch schon die AfD den Vorwurf der Befangenheit erhoben. Die AfD hatte hier ein Verfahren zu Äußerungen von Kanzlerin Angela Merkel zur Wahl in Thüringen beantragt. Das in diesem Rahmen gestellte Ablehnungsgesuch, das sich nicht nur gegen Harbarth und Baer gerichtet hatte, sondern gegen den gesamten Zweiten Senat, war jedoch vom BVerfG ebenfalls zurückgewiesen worden.
Treffen zwischen den Verfassungsorganen seien "Ausdruck des Interorganrespekts", hieß es seitens des BVerfG dazu. Da das BVerfG permanent mit Verfahren befasst sei, die die Bundesregierung betreffen würden, wäre ein Austausch damit faktisch unmöglich.
"Zudem käme darin ein Misstrauen gegenüber den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck, das dem grundgesetzlich und einfachrechtlich vorausgesetzten Bild des Verfassungsrichters widerspricht", formulierte der Erste Senat damals. Da der Antrag der AfD als offensichtlich unbegründet eingeordnet worden war, mussten die Richterinnen und Richter – anders als jetzt - damals keine dienstliche Erklärung abgeben.
ast/LTO-Redaktion
BVerfG zum Austausch zwischen Verfassungsorganen: . In: Legal Tribune Online, 18.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46382 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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