Das BVerfG wird das Bayerische Verfassungsschutzgesetz gleich mehrfach beanstanden. Das zeichnete sich in der mündlichen Verhandlung am gestrigen Dienstag ab. Zu erwarten ist ein Grundsatzurteil. Christian Rath war dabei.
Es gab in den letzten Wochen ja schon einige Abgesänge auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), insbesondere auf den Ersten Senat unter Präsident Stephan Harbarth. Nachdem die Richter:innen dem Gesetzgeber in den Beschlüssen zur Bundesnotbremse viel Vertrauen und Spielräume gewährten, befürchteten Kritiker:innen wie Rechtsprofessor Oliver Lepsius, diese "verfassungsrechtliche Abstinenz" könnte auch auf andere Materien durchschlagen.
Doch die Richter:innen des Ersten Senats nutzten die Verhandlung am gestrigen Dienstag, um zu zeigen, dass die beiden Pandemie-Beschlüse nun keineswegs einen neuen Karlsruher Stil ankündigten. Im Gegenteil: Der Erste Senat zeigte sich, wie man ihn kennt. Kleinteilig, um nicht zu sagen kleinlich, wurde jede Formulierung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (BayVSG) geprüft.
Besonders breiter Angriff
Das Bayerische Verfassungsschutzgesetz war 2016 völlig neu gefasst worden. CSU-Innenminister Joachim Herrmann nutzte die Kritik am Versagen des Verfassungsschutzes gegen den NSU-Terror, um sein Landesamt mit besonders weitreichenden Befugnissen auszustatten: Von der Wohnraumüberwachung über die Online-Durchsuchung bis zur Nutzung der Daten aus der (immer noch ausgesetzten) Vorratsdatenspeicherung: das bayerische Landesamt erhielt mehr Befugnisse als das eigentlich wichtigere Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln.
Deshalb griff die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) das Gesetz in einer von ihr koordinierten Verfassungsbeschwerde frontal an. "In bisher keinem Verfahren wurden die Befugnisse von Nachrichtendiensten in solcher Breite in Frage gestellt", sagte die federführende Richterin Gabriele Britz zu Beginn der Verhandlung. Die Neufassung des Gesetzes durch den bayerischen Landtag lud aber auch geradezu dazu ein, einen breiten Angriff zu starten.
Es geht nicht um Bayern
Der Erste Senat ergriff die Chance, sich dem Verfassungsschutzrecht in ganzer Breite zu widmen. Nachdem der Senat 2016 mit dem Urteil zum BKA-Gesetz ein lehrbuchartiges Grundsatzurteil zum Polizeirecht vorgelegt hatte, soll nun wohl das Pendant zum Recht des Inlands-Geheimdienstes folgen. Es geht hier also weniger um den bayerischen Verfassungsschutz, sondern um den Verfassungsschutz in Deutschland.
Die formalen Kläger - drei bayerische Linke, die vom Landesamt wohl als Extremisten beobachtet werden - dienten der GFF nur als Türöffner bei der Zulässigkeit der Klage. Sie spielten im weiteren Verfahren keine Rolle und ergriffen auch nicht das Wort. Einer war nicht einmal angereist.
Kein großer Wurf
Der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer versuchte die Chance für einen großen Wurf zu nutzen und plädierte für eine klare Aufgabentrennung der Sicherheitsbehörden. Der Verfassungsschutz solle sich auf die offene Beobachtung von Strukturen im Vorfeld konkreter Gefahren beschränken. Sobald es gefährlich wird, solle dagegen die Polizei übernehmen. Dort und nur dort sollten dann auch heimliche Ermittlungsmethoden zulässig sein. "Es gäbe auf diese Weise weniger Grundrechtseingriffe, aber mehr Effizienz der Sicherheitsbehörden", argumentierte Buermeyer.
Doch sein Vorstoß wurde vom Gericht nicht aufgegriffen. Die Diskussion der "Maßstäbe" blieb erstaunlich kurz. Der Senat interessierte sich vor allem für Gefahrenschwellen, Rechtsgutschwellen und prozedurale Sicherungen, um die einzelnen Befugnisse auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen.
Bis in den frühen Abend hinein diskutierten die Richter:innen sieben Überwachungsbefugnisse des bayerischen Gesetzes und sechs Normen zur Übermittlung von Erkenntnissen an andere Behörden.
Von Masing zu Britz
Die federführende Richterin Gabriele Britz zeigte sich dabei im Verlauf der Stunden immer dominanter. Diskutierten anfangs auch andere Richter:innen mit, führte Britz am Abend das Wort fast alleine. Sie sprach dabei auch direkt im Namen ihrer Kolleg:innen ("der Senat sieht hier ein Problem..."), was bisher eher unüblich war.
Richter Johannes Masing, der im letzten Jahrzehnt die Karlsruher Rechtsprechung zur Inneren Sicherheit geprägt hatte, war letztes Jahr ausgeschieden. Seine Aufgaben im Bereich der Sicherheitsbehörden übernahmen Ines Härtel (bei Bundesgesetzen) und Gabriele Britz (bei Landesgesetzen). Der Senat machte aber deutlich, dass sich an der von Masing geprägten Linie der präzisen Mikro-Intervention nichts ändern sollte.
Immer wieder die gleiche Diskussion
Ein idealtypischer Ablauf der Diskussion sah gestern so aus: Richterin Britz schilderte die Norm und die Probleme des Senats. Ministerialrat Johannes Unterreitmeier, der im Bayerischen Innenministerium das Gesetz vorbereitet hatte, erläuterte, was er sich dabei gedacht hatte. Burkhard Körner, der Präsident des Landesamts, erklärte dann, wie das Amt die Vorschrift in der Praxis gehandhabt hatte. GFF-Rechtsvertreter Matthias Bäcker (Rechtsprofessor aus Mainz) lobte das Amt, dass das ja alles ganz vernünftig sei, sich allerdings nicht aus dem viel zu weiten Wortlaut des Gesetzes ergebe. Richterin Britz fragte nun nach, ob man die Kriterien der Praxis nicht auch im Gesetz verankern könnte. Doch dies hielt der bayerische Rechtsvertreter Josef Franz Lindner (Rechtsprofessor in Augsburg) stets für unnötig, weil im Gesetz ja bereits das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verankert sei. Innenminister Herrmann sekundierte gelegentlich und warnte vor allzu engen Regeln, weil man ja nie wisse, wie sich die Welt und der Extremismus entwickle. Vor drei Jahren habe schließlich auch noch niemand mit den heutigen Querdenkern gerechnet.
Änderungsbedarf bei Wohnraumüberwachung und Vorratsdaten
Zumindest fünf Punkte wird Bayern an seinem Verfassungsschutzgesetz aber ändern müssen. So fehlt den Richter:innen bei der Wohnraumüberwachung eine Subsidiaritätsklausel. Der Verfassungsschutz, der laut Gesetz nur zur Gefahrenabwehr lauschen darf, soll diese Befugnis nur haben, wenn keine geeignete Hilfe der Polizei erlangt werden kann. Die Richter:innen verwiesen auf eine entsprechende Formulierung im Bundes-Verfassungsschutzgesetz.
Die Daten aus der Vorratsdatenspeicherung werden dem Verfassungsschutz wohl verwehrt bleiben. Da das Telekommunikationsgesetz nur "Gefahrenabwehrbehörden" Zugriff gewährt (und Verfassungsschutzbehörden davon unterscheidet), könne der bayerische Landtag das Landesamt nicht eigenmächtig zur Gefahrenabwehrbehörde erklären. Dies verstoße gegen das Prinzip der Normenklarheit.
Änderungbedaf bei V-Leuten und Datenübermittlung
Für den Einsatz von V-Leuten verlangt das bayerische Gesetz bisher nur, dass tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungswidrige Bestrebungen vorliegen. Das ist den Richter:innen zumindest in Fällen, bei denen V-Leute relativ tief in bestimmte Milieus eindringen, eindeutig zu wenig.
Die Übermittlung von Daten an Nachrichtendienste in anderen EU-Staaten wird wohl rechtsstaatlich besser gesichert werden müssen. GFF-Vertreter Matthias Bäcker hatte darauf hingewiesen, dass die EU-Grundrechtecharte nicht für nationale Nachrichtendienste gelte und bei Staaten wie Ungarn und Polen nicht von vornherein rechtsstaatliche Standards unterstellt werden können.
Auch die Übermittlung an außer-europäische Stellen muss wohl nachgebessert werden. Hier genügt es bisher, dass die Datenweitergabe zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen der Empfänger erforderlich ist. Dabei geht es bisher vor allem um Zusammenarbeit bei der Abwehr von Spionage und Terrorismus.
Streit um Online-Durchsuchung und Quellen-Anwerbung
Vor allem bei zwei Punkten wehrte sich Burkhard Körner, der Münchener Verfassungsschutz-Präsident gegen eine Verschärfung des Gesetzes. So sei es unpraktikabel, den Kernbereichsschutz bei der Online-Durchsuchung von einer unabhängigen Stelle kontrollieren zu lassen. Es genüge, wenn der amtsinterne "Beschaffer" entsprechende Funde bei der Spiegelung einer Festplatte sofort lösche. Dies sei auch ein milderes Mittel als noch vielen Kontrolleuren Zugang zu der privaten Festplatte zu verschaffen.
Auch für die Anwerbung und Verpflichtung von V-Leuten lehnte Körner eine Vorabkontrolle durch eine unabhängige Stelle ab. Die nötige Erfahrung für die Platzierung von Quellen an den richtigen Stellen habe eigentlich nur er und sein Führungspersonal. Unabhängige Kontrolleure wären mit dieser Frage überfordert.
Hier zeigten sich die Richter:innen angesichts der heftigen Gegenwehr leicht beeindruckt. Wie sie letztlich entscheiden, wird sich in einigen Monaten erweisen, wenn das Urteil verkündet wird.
Verhandlung zum BayVSG: . In: Legal Tribune Online, 15.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46939 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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