Das öffentliche Tragen von Burkas zu verbieten, hieße illusorische Sicherheit durch reale Freiheitsbeschränkungen erlangen. Verfassungsrechtlich zulässig wäre es nur in engen Grenzen, meint Felix Ekardt.
Im Kontext der gewachsenen Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa haben die Diskussionen um kulturelle Symbole mit islamischem Hintergrund zugenommen, seien es etwa Moscheen oder Formen der Verschleierung von Frauen.
Unter letzteren erfreut sich die Burka, also die Vollverschleierung mit einer vergitterten Augenöffnung, seit einiger Zeit besonderer Aufmerksamkeit, wird doch von verschiedenen Seiten ihr Verbot in westlichen Staaten gefordert. Frankreich ist hier bereits vorangegangen, in Deutschland sind dagegen auch viele skeptische Stimmen zu hören. Doch wäre ein Burkaverbot überhaupt verfassungsrechtlich machbar?
Denkbare Gründe für ein Burkaverbot
Verfassungsrechtlich wäre ein vollständiges Burkaverbot ein Eingriff in die Religionsfreiheit und regelmäßig auch in weitere Freiheitsrechte wie die Berufsfreiheit, wenn etwa eine Frau infolgedessen ihre Berufstätigkeit aufgibt, um sich nicht unbedeckt fremden Männern zeigen zu müssen.
Das macht ein Burkaverbot nicht per se rechtswidrig, sofern es der Erreichung im liberal-demokratischen Verfassungsrahmen vorgesehener Staatsaufgaben dient und sich diese im Verhältnis zum Grundrechtseingriff als nicht übermäßig beeinträchtigend erweist. Eine sicherlich zulässige Staatsaufgabe ist der Schutz der Freiheiten und Freiheitsvoraussetzungen seiner Bürger vor Beeinträchtigungen durch Dritte. Wird eine Frau gegen ihren Willen zum Tragen der Burka gezwungen, ist der Staat zweifelsfrei zuständig. Da man dies jedoch kaum pauschal unterstellen kann, wäre es als Rechtfertigung eines umfassenden Burkaverbots nicht geeignet.
Ebenso wenig wird man pauschal die Tatsachenannahme treffen können, dass das Tragen einer Burka per se einer Sympathiebekundung für islamistischen Terrorismus* oder jedenfalls für eine militante Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundwerte gleichkommt. Denkbar erscheinen hingegen begrenzte Burkaverbote, etwa bei Polizeikontrollen, in Schulen oder generell in Prüfungssituationen, weil hier eine (buchstäbliche) Verschleierung der Identität mit dem Schutz grundsätzlich für die Freiheit wichtiger Anliegen wie Bildung und Sicherheit nur schwer vereinbar wäre.
Mehrheitswille ist kein Selbstzweck
An die Grenzen der freiheitlichen Demokratie führt der Gedanke, ein Verbot ganz einfach damit zu begründen, dass der Anblick vollverschleierter Frauen in der Öffentlichkeit der Mehrheit der Bevölkerung ganz einfach nicht gefalle und einer wie auch immer zu definierenden europäischen (oder deutschen) Leitkultur widerspreche. Schlichte Geschmacks- und Pietätsvorstellungen, mögen sie auch von einer großen Mehrheit geteilt werden, berechtigen nicht dazu, sie auch der verbleibenden Minderheit aufzunötigen. Es ist gerade der Wesenskern der liberalen Demokratie seit der Aufklärung, dass es nicht mehr Staatsaufgabe ist, Dinge zu reglementieren, bloß weil sie den Herrschenden oder der Mehrheit nicht gefallen.
Anders ausgedrückt: Das gute Leben – also persönliche Glückskonzepte und Weltanschauungen – darf eine demokratische Politik aus zwei wesentlichen Gründen nicht reglementieren, sofern nicht die genannten Rechtfertigungsgründe einschlägig sind. Erstens wären Beschränkungen hierin ein Angriff auf die Freiheit. Denn Freiheit heißt gerade, dass ich nach eigenen Vorstellungen leben kann, soweit nicht die Freiheit anderer bedroht ist. Und zweitens fehlen einfach verallgemeinerbare Maßstäbe dafür, was ein gutes Leben ist.
Wenn schon, denn schon – Verbot von Hammer und Sichel?
Eine laizistische Totalverbannung bestimmter Bekleidungsstücke scheitert auch daran, dass sie nicht unterschiedslos umsetzbar gemäß dem liberal-demokratischen Gleichheitssatz wäre – der eine gleiche Behandlung gleich gelagerter Fälle verlangt, sofern nicht ausnahmsweise für eine Ungleichbehandlung gute Gründe bestehen. Denn wir alle drücken durch Äußerlichkeiten letztlich auch eine Weltanschauung aus. Auch das Tragen von kurzen Röcken drückt letztlich ein persönliches Glücksideal aus. Können nicht sogar lange Haare bei Männern als Ausdruck einer bestimmten Weltanschauung getragen werden, vielleicht ja einer "linken")?
Nun mag man noch sagen, dass eine solche Weltanschauung jedenfalls nicht als Infragestel-lung von Demokratie und Gleichberechtigung erscheint. Doch was wäre mit dem öffentlichen Zeigen von Hammer, Sichel und Zirkel im linken politischen Spektrum? Wäre dies nicht – sogar viel klarer als eine Burka – als Sympathiebekundung mit totalitären Gesellschaftsentwürfen im Stil von Mao oder Stalin interpretierbar? Und davon abgesehen: Wäre es im Falle der Burka wirklich eine gute Verteidigung der Freiheit und des Antiautoritarismus, über den Kopf der betroffenen Frauen hinweg zu dekretieren, dass ihre Kleidung Ausdruck von Unfreiheitlichkeit ist?
Zulässig nur, wo es auch wirksam wäre
Dazu kommt: Beispiele wie Hammer, Sichel und Zirkel beschreiben explizit politische Symbole. Genau dies kann man von der Burka aber nicht einmal sagen. Der Islam als religiöses Bekenntnis wird nicht zwangsläufig von jedem und jeder Gläubigen zugleich als politische Ideologie gelebt. Maßt sich der Staat dazu eine Beurteilung an, wird er in den Streit der Weltanschauungen hineingezogen, die mit einer Nicht-Reglementierung des guten Lebens gerade unvereinbar wäre. Und Einheitskleidung für alle kann unter freiheitlichen Vorzeichen wohl kaum die Lösung sein.
Selbst wenn man unterstellt, dass all das nicht zuträfe und es im Grundsatz taugliche Gründe für ein vollständiges Burkaverbot gäbe, würde ein solches Verbot aus noch einem anderen Grund scheitern: Grundrechtseinschränkungen sind stets nur dann zulässig, wenn sie den verfolgten Zweck zumindest fördern. Diese Geeignetheitsregel ist einer der Bestandteile des bereits erwähnten Verhältnismäßigkeitsprinzips. Einerlei ob man als Zweck nun den Schutz vor Terrorismus, Islamismus oder noch etwas Anderes annimmt: Es erscheint nicht besonders plausibel, dass dadurch, dass eine sehr geringe Anzahl von Frauen bundesweit am Tragen eines bestimmten Kleidungsstücks gehindert werden, diese Zwecke merklich nach vorne gebracht werden. Etwas anderes gilt allerdings auch hier für die erwähnte Möglichkeit lokal wirkender Verbote beispielsweise vor Gericht, bei Polizeikontrollen oder in Schulen. Hier steht die Burka einem liberal-demokratisch anerkannten Zweck entgegen, der nicht nur zulässig ist, sondern durch ein Verbot auch erreichbar wäre.
Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A. leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin und lehrt Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock.
*Änderung der Redaktion am 20.09.16 um 13:40 Uhr: Hier stand zunächst fälschlicherweise "islamischen Terrorismus"
Felix Ekardt, Debatte über Burkaverbot: . In: Legal Tribune Online, 16.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20602 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag