2/2: keine "Verfassungs- oder Völkerrechtsaufsicht"
Doch all dies können die Oppositionsfraktionen jedenfalls nicht im Wege der Organklage in Karlsruhe zur Diskussion stellen. Denn das Organstreitverfahren eröffne keine "Kontrolle außenpolitischer Maßnahmen der Bundesregierung im Sinne einer allgemeinen Verfassungs- oder gar Völkerrechtsaufsicht." Das stellte das Bundesverfassungsgericht 2009 in einer Entscheidung zum fortdauernden Bundeswehr-Einsatz im Kosovo klar
(2 BvE 4/08, Rz 27).
Um die Karlsruher Linie aufzuhebeln, versuchte die Linksfraktion umstrittene Bundeswehr-Einsätze als de-Facto Verfassungsänderung ohne Einhaltung der Form zu beschreiben. So sollte aus der materiellen Verfassungsfrage doch wieder ein parlamentarisches Beteiligungsproblem werden. Das Bundesverfassungsgericht hat sich diesem Trick bisher aber verweigert, etwa in seinem Kosovo-Beschluss 1999 (2 BvE 5/99, Rz 19).
Hintertür in Karlsruhe
Allerdings gibt es in der insoweit stringent-restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch einen Ausrutscher. In einem Urteil von 2007 (zum ISAF-Einsatz in Afghanistan) es eine Organklage der Linksfraktion im Bundestag auch mit dem Argument zugelassen, "die Bundesregierung habe sich an einer Fortentwicklung der NATO dergestalt beteiligt, dass diese nicht mehr der Friedenswahrung diene". Dabei ging es um die Frage, ob das in Artikel 24 II Grundgesetz enthaltene Tatbestandsmerkmal, dass ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit der "Wahrung des Friedens" dienen soll, beachtet wurde oder nicht. Damit wurde ein materieller Verfassungsaspekt für organstreit-fähig erachtet. Handelte es sich dabei nur um eine dogmatische Schlampigkeit? Oder will sich das Gericht doch offenlassen, bei Bedarf auch materielle Klagen im Organstreit entgegenzunehmen? Die Rolle des Verfassungsgerichts als systemstabilisierendes Instrument dürfte dafür sprechen, dass die Richter im Zweifel einen Weg finden, eine nach ihren bisherigen Vorgaben eigentlich unzulässige Klage doch zuzulassen. Eine Verfassungskontrolle mit offensichtlichen Lücken dürfte in Deutschland auf wenig Verständnis stoßen.
Geeigneter als die Öffnung der Organklage wäre dann aber wohl eine erweiternde Auslegung der abstrakten Normenkontrolle. Schließlich geht es bei den oben skizzierten Fragen ausdrücklich nicht um die Rechte des Bundestags, sondern um die materielle Verfassungsmäßigkeit eines Bundeswehreinsatzes in Syrien. Auch wenn ein Mandatsbeschluss des Bundestags keine klassische "Norm" ist, so dürfte doch die Klageart der abstrakten Normenkontrolle am besten passen.
Sollte das Verfassungsgericht diesen Schritt mitmachen, würde sich derzeit allerdings ein anderes Problem stellen. Klageberechtigt ist nicht jede Fraktion, vielmehr ist bei Normenkontrollen aus dem parlamentarischen Raum gemäß Art 93 Grundgesetz ein Viertel der Bundestagsabgeordneten erforderlich. Dieses Quorum erreichen Grüne und Linke derzeit nicht einmal zusammen. Allerdings wird Karlsruhe nächste Woche (am 13. Januar) über eine Klage der Linken verhandeln, die in der faktischen Unfähigkeit der Opposition zur abstrakten Normenkontrolle einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip sieht.
Schließung der Rechtsschutzlücke
Denkbar wäre natürlich auch, dass der Bundestag freiwillig eine neue Klageart einführt, mit der Fraktionen materiell-verfassungsrechtliche Argumente gegen Bundeswehreinsätze dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorlegen können.
Der SPD-Wehrexperte Rainer Arnold hat in der Debatte um den Syrieneinsatz am 4. Dezember die Linke ausdrücklich aufgefordert, beim Bundesverfassungsgericht zu klagen. Das war vermutlich nicht einmal zynisch gemeint, sondern Ausdruck der allgemeinen Vorstellung, dass es immer einen Weg nach Karlsruhe geben müsse. Auf die Anfrage, ob sich die SPD an der Schließung dieser offensichtlichen Rechtschutzlücke beteiligen würde, hat Arnold dann aber nicht geantwortet.
Christian Rath, Streit um Bundeswehr-Mandat für Syrien: . In: Legal Tribune Online, 06.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18047 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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