Beleidigungen gegenüber Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp und Spielunterbrechungen: Die Bundesliga und ihre Fanszene ist in Aufruhr. DFB-Vize und Chef-Jurist Rainer Koch im Interview über Kritik am DFB und wie es weitergehen soll.
LTO: Am letzten Wochenende rückte das Sportliche in der Bundesliga ein Stück weit in den Hintergrund. Beleidigende Banner gegenüber Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp aber auch die Kritik der Fans an sogenannten Kollektivstrafen führten zu Spielunterbrechungen. Der DFB wird dafür kritisiert, weil er derartige Strafen, die auch unbeteiligte Fans treffen, angeblich nicht mehr aussprechen wollte? Zu Recht?
Dr. Rainer Koch: Die Kritik ist leider unberechtigt. Es wurde immer klar kommuniziert, dass Zuschauerausschlüsse nicht gänzlich abgeschafft sind. So habe ich unter anderem vor zwei Jahren im März 2018 in einem Interview auf LTO sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Kollektivstrafen als "ultima ratio" weiter möglich sind.
Im Fall von Borussia Dortmund hatte das Sportgericht nach zahlreichen vorausgegangenen gravierenden Fällen für alle Fans klar und unmissverständlich mit Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe entschieden, dass bei einem weiteren Fall von krasser Verunglimpfung Herrn Hopps ein Zuschauerausschluss zwingende Folge sein würde, da andere Sanktionen offenkundig nicht das Aufzeigen dieser schwer beleidigenden Banner verhindern konnten. Auslöser der aktuellen Kontroversen und Grund des Bewährungswiderrufs war im Übrigen nicht der Wille zur Wiedereinführung der Kollektivstrafe durch den DFB, sondern das wiederholte krasse und nicht hinnehmbare Fehlverhalten von Dortmunder Zuschauern beim Spiel in Hoffenheim.
Wie wollen Sie die Eskalation wieder in den Griff bekommen?
Es muss jetzt das Ziel sein, weitere Eskalationen zu verhindern. Dafür muss im Dialog aufeinander zugegangen werden. DFB und (Deutsche Fußball Liga) DFL müssen klar kommunizieren, dass einerseits Kritik, auch harte Kritik an Vereinen und Verbänden von diesen hinzunehmen und deshalb auch nicht verboten ist, dass andererseits aber eine rote Linie überschritten wird, wenn einzelne Personen in menschenverachtender Weise verunglimpft oder beleidigt werden.
Dies ist insbesondere der Fall, wenn Menschen in ein Fadenkreuz gestellt werden. In einer Zeit von sich häufenden Gewaltexzessen mit Schusswaffengebrauch kann niemandem die besondere Bedeutung eines solchen Plakats verborgen bleiben. Wenn diese Differenzierung verstanden wird, können alle Beteiligten ihr Stadionerlebnis ohne Beeinträchtigungen feiern.
"Effektive Tataufklärung und Täterermittlung ist zentrale Pflicht der Vereine"
Diejenigen zu sanktionieren, die beleidigende Banner hochhalten, ist das eine. Aber wenn unbeteiligte Fans ebenfalls sanktioniert werden, trifft das auf wenig Verständnis. Gilt in den Kurven im Zweifel der Grundsatz: "Mitgehangen ist mitgefangen"?
Zuschauerausschlüsse sind und bleiben immer das letzte Mittel. Sind Verein und Kurve nicht in der Lage, die Täter an ihrem Handeln zu hindern, bleibt in letzter Konsequenz als letztes Mittel nichts Anderes übrig, als den Block in Gänze zu schließen. Auch wenn – leider – bei der Sperre eines Zuschauerblocks wegen Zuschauerfehlverhaltens Unbeteiligte mitbetroffen sein können. In einem solchen Fall geht es um den Schutz des Opfers und die Unterbindung nicht hinzunehmender weiterer menschenverachtender Angriffe auf eine Person, im aktuellen Fall Dietmar Hopps.
Zur Geltung von Recht und Ordnung in den Zuschauerbereichen müssen die Kernvorgaben der überall vorhandenen Stadionordnungen durchgesetzt und Stadionbesucher in ihren Rechten geschützt werden. Das muss Vorrang haben, weshalb Unbeteiligte das Schließen eines Blocks gegebenenfalls hinzunehmen haben.
In welcher Weise sehen Sie die Vereine juristisch in der Pflicht, gegen die Täter vorzugehen?
Seit 2013 richten der DFB-Kontrollausschuss und die Sportgerichte ihre Arbeit vorrangig "täterorientiert" aus. Das heißt, die Ermittlung der verantwortlichen Täter durch den Heim- und den Gastverein und deren Sanktionierung beziehungsweise Inregressnahme durch die Vereine und dadurch die Verhinderung zukünftiger Ordnungsverstöße sind das primäre Ziel des sportstrafrechtlichen Handelns der DFB Rechtsorgane. Effektive Tataufklärung und Täterermittlung durch die Vereine stellen daher zentrale Pflichten des Heimvereins und des Gastvereins dar.
Die Tataufklärung und Täterermittlung für Taten in klar umgrenzten und im Verantwortungsbereich von Vereinen liegenden Zuschauerbereichen müssen den Vereinen bei funktionierendem Ordnungsdienst und guten Sicherungsmaßnahmen möglich sein. Die Kernvorgaben der Stadionordnungen müssen durchgesetzt werden. Dazu gehört insbesondere die Durchsetzung des Vermummungsverbotes, denn nur so lässt sich eine Täteridentifizierung erfolgversprechend durchführen.
Mensch im Fadenkreuz: "Zum Abschuss frei gegeben"
Dürfen Banner, die den DFB – vielleicht auch unflätig – kritisieren in einem Bundesligastadion geduldet werden?
Ein solches Banner mag – falls "unflätig" – vielleicht nach der Stadionordnung nicht erlaubt sein und Anlass für ein sportgerichtliches Verfahren geben, es sollte aber nicht die Ursache für eine Spielunterbrechung oder gar einen Spielabbruch sein. Wir müssen klar differenzieren: Juristische Personen sind im Schutz natürlichen Personen nicht gleichgestellt.
Betroffene Ultra-Gruppierungen haben klargestellt, dass das abgebildete Fadenkreuz mit Hopp keinen Mordaufruf bedeuten soll, sondern symbolisch zu verstehen sei.
Es kommt nicht darauf an, was sich Ultra-Gruppierungen beim Zeigen eines Menschen im Fadenkreuz denken. Maßgeblich ist allein der Empfängerhorizont, das heißt, was der Betrachter eines solchen Bildes empfindet. Wer einen Menschen plakativ in ein Fadenkreuz stellt gibt ihn "zum Abschuss frei". Ein solches Bild kann kein Symbol für Gesellschaftskritik sein.
Einige Medienvertreter und Fans halten dem DFB vor, bei rassistischen oder diskriminierenden Vorfällen oder auch Beleidigungen gegenüber einzelnen Spielern, wie seinerzeit bei Timo Werner, der ähnlich beschimpft wurde wie Dietmar Hopp, weniger sanktionsfreudig zu sein. Ist das zutreffend?
Nein. Rassistische oder diskriminierende Vorfällen müssen unnachgiebig verfolgt werden. Es muss allerdings daran gearbeitet werden, dass die Schiedsrichter rechtzeitig besser und schneller über etwaige Vorfälle informiert werden, wenn sie diese selbst nicht wahrgenommen haben. Deshalb denken wir über Maßnahmen nach, wie wir ein Schiedsrichterteam in Zukunft besser unterstützen können.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Dr. Rainer Koch ist Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und Präsident der Fußballverbände Bayerns und Süddeutschlands. Außerdem ist er Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München.
Interview mit DFB-Vize zur Fan-Eskalation: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40587 (abgerufen am: 12.11.2024 )
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