Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sogenannte Feindeslisten oder das Outing politischer Gegner bestraft werden sollen. Die Konturen des Entwurfs sind noch sehr unscharf, meint Christian Rath.
Seit zwei Jahren wird über die Strafbarkeit von sogenannten Feindeslisten diskutiert. Anlass waren Listen, die vor allem in rechtsextremen Kreisen zirkulieren, etwa eine Liste unter dem Titel #WirKriegenEuchAlle, die rund 200 Namen umfasste.
Das Bundeskriminalamt (BKA) forderte als erstes die Schaffung eines neuen Straftatbestands, der dann auch das "Outing" politischer Gegner umfassen müsse, wie es die Antifa regelmäßig praktiziert. Innenminister Horst Seehofer (CSU) unterstützte die BKA-Forderung.
Im Gesetzentwurf gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus fehlte dann jedoch ein entsprechendes neues Delikt. Die CDU/CSU protestierte und forderte Nachbesserungen. Der Koalitionspartner SPD zeigte sich offen, bestand jedoch wegen der möglichen Gefahr für die Meinungsfreiheit auf einer gründlichen Prüfung. Die Rechtspolitiker der Koalition einigten sich dann, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) im Herbst 2020 einen Entwurf vorlegen solle.
Mit einigen Monaten Verspätung wurde der BMJV-Entwurf nun endlich fertig. Am vorigen Freitag ging er in die Länder- und Verbände-Anhörung. Er liegt LTO vor.
Ein Satz mit 74 Wörtern
Vorgeschlagen wird ein neuer § 126a Strafgesetzbuch (StGB) ("Gefährdende Veröffentlichung personenbezogener Daten"), der aus einem langen Satz mit 74 Wörtern besteht: "Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) personenbezogene Daten einer anderen Person in einer Art und Weise verbreitet, die geeignet ist, diese Person oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr eines gegen sie gerichteten Verbrechens oder einer sonstigen rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert auszusetzen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Der neue Paragraf sei notwendig, heißt es in der Begründung, weil das bisherige Strafrecht lückenhaft sei. In § 111 StGB ("Aufforderung zu Straftaten") und in § 126 StGB ("Androhung von Straftaten") seien jeweils konkrete Kommunikationen zu konkreten Straftaten erfasst, die bei den eher vage gehaltenen Feindeslisten aber gerade fehlen.
Solche Listen seien aber dennoch strafwürdig, so die Begründung, weil sie eine bedrohliche und einschüchternde Wirkung haben und damit das Sicherheitsgefühl der Öffentlichkeit stören. Es bestehe die Gefahr, dass sich engagierte Personen aus dem politischen und gesellschaftlichen Diskurs zurückziehen.
Eine Liste mit einer Person
Wie vom BKA gewünscht geht es nicht nur um "Listen", es genügt, wenn die personenbezogenen Daten einer einzigen Person verbreitet werden. "Heinz Müller ist ein Nazi" oder "Merkel muss weg", sind Parolen, die unter den neuen Tatbestand fallen könnten.
Das "Verbreiten" kann im Internet erfolgen, aber auch ganz altmodisch per Flugblatt oder Plakat. Auch das Posten in einer geschlossenen Chatgruppe kann ein "Verbreiten" sein, wenn die Teilnehmerzahl unüberschaubar groß ist. Der Gesetzentwurf erfasst allerdings keine Feindeslisten, die Extremisten nur für interne Zwecke anfertigen, ohne sie zu verbreiten. So wären die Politiker-Listen, die Ermittler beim rechtsextremistischen Terror-Trio NSU fanden, kein Fall für den neuen Straftatbestand gewesen.
Geeignetheit genügt schon
Anders als frühere Vorschläge von BKA und CDU/CSU enthält der Vorschlag von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) keine Eingrenzung über ein subjektives Tatbestandsmerkmal. Es kommt also nicht darauf an, dass die Täter die Daten veröffentlich haben, um damit andere zu Straftaten aufzustacheln. Es soll vielmehr genügen, dass das Verbreiten der Daten "geeignet ist", die erwähnten Personen einer Gefahr auszusetzen.
Das erstaunt. Denn eigentlich hatten sich die Beteiligten, insbesondere in der SPD, vom Justizministerium ja eine eher enge, verhältnismäßige Formulierung erhofft - und gerade keine Ausweitung der bisherigen Vorschläge.
Als Eingrenzung ist wohl das Merkmal der "Art und Weise" der Verbreitung gedacht. Hierzu finden sich in der Begründung einige Beispiele. Wenn die Aufzählung von Namen etwa mit "militanten Bezügen" oder Drohungen verbunden ist, erhöhe dies die Gefährdungseignung. Oder wenn Namen auf einer extremistischen Webseite aufgelistet werden, dann soll dies eher zu Straftaten führen können, als eine "sachlich-informative" Berichterstattung.
Ist Skandalisierung künftig strafbar?
Aber ist das nun die neue Strafbarkeitsgrenze, dass Journalisten stets "sachlich-informativ" über Missstände berichten müssen, weil sie sonst Gefahr laufen, wegen "Gefährdender Veröffentlichung personenbezogener Daten" bestraft zu werden? Was gilt für skandalisierend-emotionalisierende Berichterstattung, wenn etwa ein Kolumnist der Süddeutschen Zeitung einen Fall brutaler ungerechtfertigter Polizeigewalt anprangert? Oder wenn die Bild-Zeitung anklagend und schon-immer-gewusst-habend über den Rückfall eines Sexualstraftäters im Offenen Vollzug berichtet?
Ist hier die Gefahr so gering, dass einzelne Leser in Selbstjustiz-Laune geraten? Müssen sich die Medien das zurechnen lassen, gerade weil ihre Auflage viel größer ist als die eines extremistischen Flugblatts? Es fehlt im Normtext jedenfalls jede Klausel, die klarstellt, dass aufrüttelnde Medienberichte auch dann straffrei bleiben, wenn man nicht sicher gehen kann, dass niemand inakzeptable und ungewollte Schlüsse zieht.
Es gibt auch Einhegungen
Immerhin hat das BMJV an einer anderen Stelle die Zügel angezogen. Während es bei den Vorentwürfen der CDU/CSU noch genügte, dass Rezipienten der gefährdenden Daten zu Beleidigungen und anderen minder schweren Straftaten neigen könnten, muss in Lambrechts Entwurf schon ein Verbrechen oder eine Straftat gegen ein hochrangiges Rechtsgut drohen. Das dürfte auch eine gewisse Filter-Funktion haben.
Das Ministerium hat seinen Entwurf unter der Überschrift "Formulierungshilfe" veröffentlicht. Dies ist üblich, wenn den Koalitions-Fraktionen ein ministerialer Text zur eigenen Einbringung überlassen wird. Noch ist aber unklar, ob der Vorschlag als isolierter Gesetzentwurf eingebracht wird, ob er an ein bestehendes Projekt angedockt wird oder ob ihn die Koalition mit der ähnlichen Formulierungshilfe für ein neues Delikt "verhetzende Beleidigung" verbindet, die in den kommenden Wochen erwartet wird.
Auf jeden Fall besteht noch genug Zeit, den Gesetzentwurf zur "Gefährdenden Veröffentlichung personenbezogener Daten" gründlich zu prüfen und zu entschärfen.
Gesetzentwurf gegen Feindeslisten: . In: Legal Tribune Online, 08.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44216 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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