Er war 1991 zur Abfederung der Wiedervereinigung gedacht. Doch auch heute gibt es ihn noch. Inzwischen ist der Solidaritätszuschlag aber zur Reichenabgabe geworden. Über seine Verfassungsmäßigkeit verhandelt morgen der Bundesfinanzhof.
"Solidarität" ist, wenn sich Menschen in Verbundenheit zueinander gegenseitig unterstützen. Nicht erst seit der Corona-Pandemie wissen wir indes, dass "Solidarität" auch staatlich verordnet werden kann. Schon im Jahre 1991 wurde der erste Solidaritätszuschlag in Deutschland für ein Jahr eingeführt.
Nach zweijähriger Pause im Jahre 1997 die Neuauflage, um die dauerhaften Lasten für die Wiedervereinigung zu stemmen. Seitdem mussten Steuerzahler:innen zuerst 7,5, dann 5,5 Prozent Zuschlag auf die Einkommensteuer zahlen. Wer also etwa als Single 20.000 Euro Einkommensteuer zahlte, musste 1.110 Euro im Jahr abdrücken. Auch mittlere Einkommen mussten den Soli zahlen, nur Geringverdiener waren ausgenommen.
Von der (fast) Jedermannabgabe zur Reichenabgabe
Schließlich änderte die große Koalition die Rechtslage. Seit 2021 müssen nur noch Spitzenverdiener den Solidaritätszuschlag zahlen. Nach Berechnungen des Finanzwissenschaftlers Prof. Dr. Frank Hechtner für das Handelsblatt muss eine alleinstehende Person ohne Kinder erst ab einem Bruttoeinkommen von knapp über 80.000 Euro (monatlich 6.670 Euro) die Abgabe zahlen. Und ab dieser Summe beginnt erst die sogenannte Milderungszone. Es sind also nicht die vollen 5,5 Prozent auf die Steuer fällig, sondern der Prozentsatz wächst progressiv. Erst ab einem Bruttoeinkommen von über 111.000 Euro (monatlich 9,270 Euro) sind die vollen 5,5 Prozent Soli auf die Einkommensteuer fällig. Verheiratete profitieren auch hier vom Ehegattensplittung.
In der Folge der Reform sank das Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag von rund 19 Milliarden im Jahr 2020 auf rund 11 Milliarden Euro im Jahr 2021. Ein Großteil der Einnahmen fällt dabei auf den Solidaritätszuschlag, der auf die Körperschaftsteuer und die Kapitalertragsteuer erhoben wird, in diesem Fall ohne einen Freibetrag.
Schon lange rechtliche Bedenken
Am Solidaritätsbeitrag gibt es – nicht erst jetzt – erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel. Schon mehrfach musste sich der Bundesfinanzhof (BFH) in München mit der Abgabe beschäftigen. Zuletzt hatte der BFH zum alten – auch für mittlere Einkommen geltenden – Solidaritätszuschlag entschieden, dass dieser jedenfalls im Jahr 2011 noch verfassungsgemäß war (Urt. v. 14.11.2018, Az. II R 64/15). Doch schon 2011 wies der BFH darauf hin, dass sich die Einschätzung der Verfassungsmäßigkeit des Soli für zukünftige Jahre durch zeitliche Entfernung vom historischen Ereignis der deutschen Einheit ändern könne.
Die meisten Stimmen im juristischen Schrifttum halten den Solidaritätszuschlag inzwischen für verfassungswidrig. Dies zeigt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, der bereits 2019 Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Solidaritätszuschlages äußerte, der nur für 10 Prozent der Einkommensteuerzahler gilt.
Nun hat der BFH erneut Gelegenheit, sich mit dem Für und Wider der Abgabe zu beschäftigen. Ein gegen die Abgabe klagendes Ehepaar hält den Zuschlag für verfassungswidrig. Zum einen sei der allgemeine Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, GG) verletzt, da nur noch rund zehn Prozent der Steuerpflichtigen den Solidaritätszuschlag zahlen müssten. Es werde eine "Reichensteuer" eingeführt. Zum anderen habe der Zuschlag seine Rechtfertigung verloren, da der Solidarpakt II, mit dem der Bund den ostdeutschen Ländern 156,6 Milliarden Euro zur Verfügung stellte, Ende 2019 ausgelaufen ist. Die Gesetzesbegründung zum neuen Soli sieht das anders. Demnach führe die Wiedervereinigung weiterhin zu einer besonderen Finanzlast des Bundes, etwa in der Rentenversicherung und im Arbeitsmarkt.
Auf diese Fragen kommt es an
Besonders bedeutsam für den Ausgang des Rechtsstreits ist die Rechtsnatur des Solidaritätszuschlags als eine nur den Bund zugutekommende Ergänzungsabgabe im Sinne des GG (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gelten für die Rechtmäßigkeit solcher Abgaben grundsätzlich strenge Voraussetzungen. Denn jeder Bürger soll darauf vertrauen dürfen, nur in dem durch die Finanzverfassung im GG vorgegebenen Rahmen belastet zu werden. Das BVerfG verlangt erstens, dass die Abgaben nicht den allgemeinen Haushalt, sondern einen vorübergehenden besonderen Finanzbedarf der öffentlichen Hand abdecken. Da die Einnahmen allein dem Bund zugutekommen, muss dieser zweitens einen plausiblen Grund für den Sonderbedarf anführen.
Auf seiner Website beschreibt der BFH anschaulich, mit welchen Fragen er sich im Verfahren konkret beschäftigen wird. So stelle sich die Frage, ob das historische Großereignis der Wiedervereinigung noch 30 Jahre nach der Wende einen besonderen Finanzbedarf begründet, der die eine Fortführung des Solidaritätszuschlags rechtfertigt. Andernfalls könne der Solidaritätszuschlag durch Zeitablauf verfassungswidrig geworden sein.
Umwidmung wegen Corona und Ukraine-Krieg?
Doch selbst für diesen Fall bedeutete es nicht, dass dieser auch verfassungswidrig bliebe. Das BVerfG habe in einer Leitentscheidung zu Ergänzungsabgaben im Jahr 1972 festgestellt, dass sich während des Laufes einer Ergänzungsabgabe neue Aufgaben stellen können, die die Fortführung einer bereits bestehenden Ergänzungsabgabe rechtfertigten.
Vor diesem Hintergrund kann nach Einschätzung des BFH entscheidungserheblich werden, ob wegen der Folgen des Corona-Pandemie, des Ukrainekriegs oder der Kosten des Klimawandels und dessen Bekämpfung ein erhöhter Finanzbedarf das Fortbestehen des Solidaritätszuschlags begründen kann. In diesem Fall müsste der BFH auch entscheiden sein, ob eine solche "Umwidmung" des Solidaritätszuschlags durch den Bundestag entschieden werden muss (Stichwort Parlamentsvorbehalt und Wesentlichkeitstheorie).
Auch eine Befassung mit der Frage der Steuergerechtigkeit kündigte der BFH an. Vor dem Hintergrund, dass nur noch 10 Prozent der Einkommensteuerpflichten den Soli zahlen, sei zu klären, ob besondere sachliche Gründe für die Alleinbelastung von Spitzeneinkommen nötig seien. Fehlten letztere, könnte der Solidaritätszuschlag als "Reichensteuer" verfassungswidrig sein.
BFH kann Soli nicht kippen
Allerdings kann der BFH den Solidaritätszuschlag wegen der alleinigen Verwerfungskompetenz des BVerfG nicht selbst für verfassungswidrig erklären. Gelangte der BFH zu diesem Ergebnis, müsste er das Verfahren dem BVerfG mit der Frage vorlegen (Art. 100 GG), ob die Regelungen zum Solidaritätszuschlag mit dem GG vereinbar sind.
Kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass die Regelungen zum Solidaritätszuschlag mit der Verfassung vereinbar sind, verbleibt den Klägern noch die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung Verfassungsbeschwerde einzulegen.
So oder so dürfte sich also das BVerfG in den nächsten Jahren mit dem Soli beschäftigen. Auch wenn die FDP in ihrem Wahlprogramm die Komplettabschaffung des Solidaritätsbeitrags vorgesehen hat, dürfte zumindest Bundesfinanzminister Christian Lindner – angesichts explodierender Staatskosten – den Wegfall von Einnahmen in Höhe von elf Milliarden Euro ein solches mögliches Urteil zwiespältig sehen.
Die mündliche Verhandlung findet am Dienstag um 10:00 Uhr in München statt. Ende Januar soll das Urteil verkündet werden.
Bundesfinanzhof verhandelt über Solidaritätszuschlag: . In: Legal Tribune Online, 16.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50777 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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