2/2: Rechtmäßige Sterbehilfe ist keine vorsätzliche Tötung
Der Leistungsanspruch wegen eines Arbeitsunfalls war zunächst begründet. Allerdings stellte sich nun die Frage, ob diesem ein gesetzlicher Leistungsausschluss nach § 101 Abs. 1 SGB VII entgegensteht. Denn die Klägerin hatte den Tod ihres Mannes ja vorsätzlich herbeigeführt. Auf die strafrechtliche Bewertung und die Möglichkeit einer Rechtfertigung kommt es nach dem Wortlaut dieser Vorschrift gerade nicht an.
Das BSG hielt allerdings eine teleologische Reduktion der Ausschlussvorschrift für erforderlich, so dass sie auch bei einem vorsätzlichen Herbeiführen des Todes im Falle eines straffreien Behandlungsabbruchs keine Anwendung findet. Dies gelte jedenfalls für Fälle der gerechtfertigten Sterbehilfe im Sinne der neueren Rechtsprechung des BGH.
Der Gesetzgeber habe im Patientenverfügungsgesetz und insbesondere mit § 1901a BGB klargestellt, dass die Entscheidung des Einzelnen, keine lebensverlängernden Maßnahmen erdulden zu müssen, in ihrer Autonomie und durch die in Art. 1 des Grundgesetzes geschützte Menschenwürde generell zu berücksichtigen ist.
Diese gesetzliche Regelung war der Grund dafür, dass der BGH in seinem Urteil vom 25. Juni 2010 einen Behandlungsabbruch für straffrei erklärte.
Ebenso wie der BGH berücksichtigte nun auch das BSG diese Wertung aus § 1901 BGB. Ein straffreier Behandlungsabbruch könne daher auch im Sozialrecht nicht zu negativen Konsequenzen für Personen führen, die den rechtlich gebilligten Patientenwillen verwirklichten.
BSG betritt Neuland
Mit dem Argument des Patientenwillens betritt das BSG sowohl bei der Kausalitätsfrage als auch der Auslegung von § 101 SGB VII Neuland. Allerdings trafen die Richter eher eine Sonderentscheidung für einen Sonderfall. Das Urteil wird in der Bevölkerung dennoch sicherlich zustimmend aufgenommen werden, die Meinung unter Juristen wird wohl eben so sicher gespalten sein.
Diese Entscheidung ist schwierig abzugrenzen zu einem früheren Fall, in welchem ein Zeuge Jehovas nach einem Arbeitsunfall aus religiösen Gründen eine Bluttransfusion verweigerte und aufgrund dessen verstarb (Urt. v. 9.12.2003, Az. B 2 U 8/03 R). Dies unterbrach die Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und dem Tod, denn sie lag in der Glaubensrichtung des Verletzten begründet. Im vorliegenden Fall realisierte sich dagegen der bereits früher geäußerte Wille des Ehemanns, weil er einen Arbeitsunfall erlitt, der zu lebensverlängernde Maßnahmen führte.
Das BSG setzt sich ferner nicht in Widerspruch zu einem Urteil im Rentenrecht. Dort regelt § 105 SGB VI einen dem § 101 Abs. 1 SGB VII entsprechenden Anspruchsausschluss. Der 13. Senat entschied damals, dass im Falle einer strafbaren Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente besteht (Beschl. v. 17.4.2012, Az. B 13 R 347/10 B).
Es bleibt die Frage, warum dieser bewegende Fall gerichtlich geklärt werden musste. Makaber mutet dabei die Überlegung an, dass die seit vier Jahren andauernde sehr hohe Leistungspflicht der Unfallkasse durch den Tod beendet wurde. Ohne den Behandlungsabbruch hätte der Versicherte noch lange im Wachkoma weiterleben können und die Unfallkasse wäre zur Zahlung verpflichtet geblieben. Die eingeklagten Leistungen für die Klägerin fallen dagegen kaum ins Gewicht. Andererseits wandte die Unfallkasse die bestehenden Regelungen wortlautgetreu an. Dazu ist sie verpflichtet.
Die Autorin Dr. Bettina Karl ist Richterin am Sozialgericht und derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundessozialgericht.
BSG zur Hinterbliebenenrente bei Sterbehilfe : . In: Legal Tribune Online, 05.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14026 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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