Die Unfallversicherung muss für den Unfall eines Schülers auf dem Rückweg von einer Projektarbeit zahlen. Das gilt zumindest, wenn die Lehrerin diese so angeordnet hat, entschied das BSG. Aber auch nur dann, erklärt Lars Winkler.
Am Dienstag hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Schüler bei schulisch veranlassten Projektarbeiten auch dann unfallversichert sein können, wenn diese außerhalb des Schulgeländes stattfinden (BSG, Urt. v. 23.01.2018, Az. B 2 U 8/16 A).
Die Kasseler Richter entschieden damit zugunsten eines heute Zwanzigjährigen, der auf den Rollstuhl angewiesen ist. Im Jahr 2013, als damals fünfzehnjähriger Realschüler, war er im Rahmen einer schulischen Projektarbeit schwer gestürzt.
Der Baden-Württemberger sollte damals im Musikunterricht gemeinsam mit drei Mitschülern einen Videoclip erstellen. Da die Gruppe im Unterricht mit dem Clip nicht fertig wurde, traf sie sich zu den Dreharbeiten mit Billigung der Musiklehrerin nach Unterrichtsschluss bei einem der Mitschüler zuhause. Bei den Dreharbeiten kam es in der Gruppe zum Streit, auf dem Heimweg schubste einer seiner Klassenkameraden den Schüler, der daraufhin stürzte und sich schwer verletzte.
Entschädigung für den Unfall verlangte er von der Landesunfallkasse. Erst in Kassel bekam der junge Mann Recht: Es habe sich nicht um eine Hausaufgabe gehandelt, sondern die Lehrerin habe eine Schülergruppe zusammengestellt, die sich mit ihrer Billigung bei einem der Schüler zuhause traf, um die Gruppenarbeit fortzusetzen.
Vom Unterschied zwischen Schule und Hausaufgaben
Schüler sind grundsätzlich während des Besuchs von allgemeinen oder berufsbildenden Schulen unfallversichert. Versichert ist auch die Teilnahme an Betreuungsmaßnahmen, die unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit dieser stattfinden. Versichert sind zudem der Hinweg und der Rückweg zur beziehungsweise von der Schule sowie zu den versicherten schulischen Tätigkeiten (§ 2 Abs. 1 Nr. 8b und § 8 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch VII).
Die beklagte Unfallkasse lehnte es dennoch ab, Leistungen zu gewähren. Sie argumentierte, bei den Dreharbeiten habe es sich um Hausaufgaben gehandelt, die grundsätzlich in den Verantwortungsbereich der Eltern fielen.
Das BSG sieht das anders. Zwar bestehe kein Versicherungsschutz, wenn Schüler ihre Hausaufgaben im Selbststudium zu Hause erledigen. Um eine Hausaufgabe in diesem Sinne habe es sich aber im Fall des Realschülers nicht gehandelt. Vielmehr habe die Musiklehrerein aus pädagogischen Gründen eine Schülergruppe zusammengestellt, die sich dann – mit Wissen und Billigung der Lehrkraft – zu Hause bei einem der Schüler traf, um dort ihre Gruppenarbeit fortzusetzen.
Auf die Anweisung vom Lehrer kommt es an
Aus der Entscheidung der obersten Sozialrichter folgt, dass Gruppenarbeiten nicht nur versichert sind, wenn sie in der Schule oder auf dem Schulgelände stattfinden. Auch Gruppenarbeiten, die Schüler auf Anweisung oder zumindest mit Billigung der Lehrkräfte anderswo durchführen, unterliegen dem Versicherungsschutz. Das gilt grundsätzlich auch, wenn die Projektarbeit zu einem der Schüler nach Hause verlegt wird.
Durch eine entsprechende Anweisung oder zumindest Billigung der Lehrkräfte kann daher auch ein Lernen oder eine Gruppenarbeit außerhalb des Schulgeländes zum "Unterricht" werden, dessen Teilnehmer Unfallversicherungsschutz genießen, Hin- und Rückweg inklusive.
Die Entscheidung des BSG darf allerdings nicht überinterpretiert werden. Zum einen hat das BSG maßgeblich darauf abgestellt, dass die Musiklehrerin gebilligt hatte, dass die Gruppenarbeit außerhalb der Schule fortgesetzt wurde. Treffen Schüler sich also ohne Anordnung, Billigung und Wissen des Lehrers freiwillig zu Hause, sind sie auch weiterhin nicht unverfallversichert.
Zudem wurde der heute Zwangzigjährige bei dem Unfall im Jahr 2013 besonders schwer verletzt. Nach Koma und Operationen besucht er seitdem eine Schule für Körperbehinderte und braucht Therapie sowie Hilfe im Alltag. Bei solchen schwerwiegenden und tragischen Unfallfolgen nutzen auch Obergerichte wie das BSG den ihnen eröffneten rechtlichen Spielraum häufig aus, um Unfallversicherungsschutz zu gewähren.
Der Autor Lars Winkler ist Rechtsanwalt bei Wilhelm Rechtsanwälte in Düsseldorf.
Mit Materialien von dpa
BSG gibt Schüler im Rollstuhl Recht: . In: Legal Tribune Online, 23.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26643 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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