Auch die Fischbestände in der Nordsee sind vom Brexit betroffen. Sie ignorieren das aber und schwimmen zwischen der EU und Großbritannien noch fröhlich hin und her. Doch wer darf künftig wo wie viel fangen? Valentin Schatz hat Antworten.
Die Fischerei macht weniger als ein Prozent des britischen Bruttoinlandsproduktes aus, hat aber einen großen symbolischen Wert. Und sie ist ein großes Thema bei den Verhandlungen zum Brexit. Es sollte ursprünglich bis zum 1. Juli 2020 ausverhandelt sein. Doch nach der jüngsten Verhandlungsrunde zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Vereinten Königreich über ihre künftigen Beziehungen konstatierte EU Unterhändler Barnier, dass auch beim Thema Fischerei keine Fortschritte gemacht werden konnten.
Bereits in der Kampagne des Pro-Brexit Lagers vor dem Austrittsreferendum im Jahr 2016 spielte die ungeliebte Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) der EU, die von vielen Briten als Übervorteilung bei der Nutzung nationaler Ressourcen gesehen wird, eine wichtige Rolle.
Im Rahmen der GFP gilt der Grundsatz des gleichberechtigten Zugangs für Fischereifahrzeuge zu den Gewässern von EU Mitgliedstaaten. Maßnahmen zur Festsetzung und Aufteilung von Fangmöglichkeiten werden auf Grundlage des sog. Prinzips der relativen Stabilität getroffen. Das bedeutet vereinfacht, dass für jeden Bestand eine Fangmenge festgelegt wird und daraufhin die Quoten für die einzelnen Mitgliedstaaten nach einem im Wesentlichen feststehenden historisch begründeten Schlüssel aufgeteilt werden. Die Quoten bleiben also auch bei schwankenden Fangmengen im Verhältnis (also relativ) stabil.
Für das Vereinigte Königreich folgt daraus, dass die Flotten anderer EU Mitgliedstaaten etwa acht Mal so viel Fisch in britischen Gewässern fangen wie britische Fischer in deren Gewässern. Das Vereinigte Königreich möchte daher, dass die Fangrechte lieber abhängig vom physischen Lebensort der Bestände in den jeweiligen küstenstaatlichen Meereszonen aufgeteilt werden. Unter anderem aus diesem Grund wiederholen Brexit-Befürworter seit Jahren gebetsmühlenartig das Ziel, ein "independent coastal State" (unabhängiger Küstenstaat) zu werden, was letztlich nur bedeutet, bisherige vertragliche Verpflichtungen loszuwerden und für die Zukunft neue Vereinbarungen über Fangrechte und Zugang zu treffen.
Briten stehen bei isolierter völkerrechtlicher Betrachtung gut da
Dabei existiert keine völkerrechtliche Verpflichtung des Vereinigten Königreichs, der EU auch in Zukunft Zugang zu den Fischbeständen in den Gewässern des Vereinigten Königreichs zu gewähren. Nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 (SRÜ) haben Küstenstaaten grundsätzlich exklusive Rechte zur Nutzung der Fischbestände in ihrem Küstenmeer von bis zu zwölf Seemeilen, ihrer ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) von bis zu 200 Seemeilen und auf ihrem Festlandsockel – das ist der unter dem Meeresspiegel liegende Rand des Festlandes – unter bestimmten Voraussetzungen sogar jenseits von 200 Seemeilen, wenn sesshafte Arten wie Muscheln oder Krabben gefangen werden sollen.
Allein in der AWZ sind Küstenstaaten verpflichtet, anderen Staaten Zugang zu einem etwaigen Überschuss der zulässigen Fangmenge gewähren (Artikel 62 SRÜ). Ihnen steht aber bei der Festsetzung der zulässigen Fangmenge (Artikel 61 Abs. 1 SRÜ), der Bemessung ihrer eigenen Fangkapazitäten (Artikel 62 Abs. 2 SRÜ) und bei der Auswahl der Staaten, denen Zugang zu einem potentiellen Überschuss gewährt werden soll (Artikel 62 Abs. 2 und 3 SRÜ), ein umfangreiches Ermessen zu.
Selbst wenn die Briten also einen Überschuss haben sollten, könnten sie diesen mit entsprechender Argumentation beispielsweise auch im Rahmen eines Quotentauschs an Norwegen anstelle der EU vergeben. Keine der genannten Ermessensentscheidungen ist im Rahmen der verbindlichen SRÜ (Schieds-) Gerichtsbarkeit überprüfbar, da die Fragedes Zugangs zu Fischbeständen in der AWZ bereits in den 1970er und 1980er Jahren so umstritten war, dass sie ausdrücklich vom Streitbeilegungsmechanismus in Teil XV des SRÜ ausgenommen wurde (Artikel 297(3) SRÜ).
Kein Fisch aus Gewohnheit
Allenfalls von geringer Bedeutung sind demgegenüber zwei noch bestehende historische bilaterale Fischereiabkommen des Vereinigten Königreichs mit Irland und Frankreich, die nur die Fischerei im Küstenmeer an der irischen Küste und um die Channel Islands betreffen.
Von politischer und akademischer Seite werden immer wieder auch sogenannte historische Fischereirechte der EU Mitgliedstaaten in britischen Gewässern ins Spiel gebracht. Dabei handelt es sich um völkergewohnheitsrechtliche Rechte, die aus regionalem Fischfang in küstennahen Gewässern von Nachbarstaaten erwachsen können. Nach vorzugswürdiger Auffassung kommen solche Rechte aber allenfalls in den ersten drei Seemeilen des Küstenmeers in Betracht und dürften in der EU jedenfalls derart von dem EU-Fischereiabkommen GFP überlagert worden sein, dass sie ausgelöscht wurden.
Wenn der Fisch keine Grenzen kennt
Weniger klar ist die Rechtslage bei der Bewirtschaftung gemeinsamer Fischbestände, die sich sowohl in den Gewässern der EU als auch des Vereinigten Königreichs aufhalten. Beide Seiten teilen sich mehr als 100 Fischbestände. Zum Vergleich: Norwegen, vor dem Brexit der wichtigste Partner der EU, teilte sich damals nur 12 Fischbestände mit der EU – und die Verhandlungen gestalteten sich dennoch oft schwierig.
Die künftigen Fischereibeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich stellen also eine gewaltige Herausforderung dar. Völkerrechtlich haben beide Parteien aus Artikel 63 SRÜ und bezüglicher mancher gemeinsamer Bestände auch aus dem UN Fish Stocks Agreement von 1995 eine Pflicht zur Kooperation bei der Erhaltung und Bewirtschaftung. Die Einhaltung dieser Pflicht ist von großer Bedeutung, da gemeinsame Bestände sonst sehr schnell von Überfischung bedroht sein können.
Ziel der EU: Verknüpfung von Handel und Fischerei
Angesichts der für sie unvorteilhaften Rechtslage ist die EU sehr darum bemüht, die Frage der künftigen Fangrechte mit den künftigen Handelsbeziehungen und dort inbesondere dem Marktzugang für Fischprodukte zu verknüpfen. Die Briten sind wirtschaftlich auf günstige Handelsbedingungen mit der EU angewiesen. Die EU ist aber nicht verpflichtet, dem Vereinigten Königreich Zugeständnisse zu machen, die über bestehende welthandelsrechtliche Regelungen hinausgehen. Auf den Druck der EU hin steht daher in der gemeinsamen politischen Erklärung vom 12. November 2019, dass die beiden Parteien ihr neues Fischereiabkommen "[i]m Rahmen der Wirtschaftspartnerschaft insgesamt" ausarbeiten.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die EU Kommission am 18. März 2020 einen Entwurf für ein Abkommen über die zukünftige Partnerschaft vorgelegt hat, in den ein Fischereiabkommen als Titel im Teil "Wirtschaft und Handel" integriert ist.
Der Entwurf sieht langfristige Strategien für die Erhaltung und Bewirtschaftung von Fischbeständen vor. Er enthält auch einen Mechanismus für die jährliche Festsetzung von Fangrechten für beide Parteien auf Basis der langfristigen Strategien. Die Einhaltung dieser Regeln ist dahingehend mit dem Marktzugang für den Warenverkehr verknüpft, dass mit einer temporären Zurücknahme von Zugeständnissen im Bereich der Handelszölle auf einen Verstoß gegen die Vorschriften über Fangrechte und Zugang reagiert werden kann ("remedial measures"). Solche Regelungen sind für Fischereiabkommen ungewöhnlich. Erwähnenswert ist auch, dass der Entwurf der EU Kommission einen verbindlichen Streitbeilegungsmechanismus einschließlich einer eigenen Schiedsgerichtsbarkeit vorsieht, der auch für die fischereirechtlichen Regelungen gilt.
Briten beharren auf Trennung von Handel und Fischerei
Der von der britischen Regierung am 19 Mai 2020 veröffentlichte, kurz gehaltene Entwurf eines Fischerei-Rahmenabkommens steht in einem starken Kontrast zum Entwurf der EU Kommission. Fangmengen gemeinsamer Bestände und mögliche Fangrechte für die jeweils andere Partei sollen jährlich für alle Bestände neu verhandelt werden, ohne dass feststehende Zusagen gewährt werden. Langfristige Strategien sind nicht vorgesehen.
Im Fall von Streitigkeiten über die Nichterfüllung von Vertragsverpflichtungen ist wie zu erwarten keine für das Vereinigte Königreich nachteilige Verknüpfung von Fischerei und Handelsbeziehungen enthalten. Stattdessen kann in einem solchen Fall einseitig das Fischereiabkommen suspendiert werden, was vor allem für die Fischfangindustrie der EU schwerwiegende Folgen haben könnte. Einen verbindlichen Streitbeilegungsmechanismus gibt es ebenfalls nicht, sondern nur Konsultationen.
Letztlich dürften die Verhandlungen auf einen Kompromiss hinauslaufen, da es den Briten wohl nicht gelingen wird, die Fischerei aus der Verhandlungsmasse herauszuhalten und auf einer isolierten Betrachtung zu bestehen. Ob die Verhandlungen allerdings erfolgreich bis zum 1. Januar 2021 abgeschlossen werden können, um chaotische Zustände in der Fischerei in der Nordsee in der Saison 2021 vermeiden zu können, ist kaum zu erwarten. Eine solche Situation sollte aber im Interesse aller Beteiligten und der Meeresumwelt abgewendet werden, notfalls mit neuen Übergangsregelungen.
Der Autor Valentin Schatz ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationales Seerecht und Umweltrecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität Hamburg. Er promoviert zum internationalen Fischereirecht. Er hat in diesem Zusammenhang auch zur Frage der Regelung der Fischerei nach dem Brexit geforscht und dazu Aufsätze (siehe hier und hier) veröffentlicht.
Die Fischerei nach dem Brexit: . In: Legal Tribune Online, 22.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41960 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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