Bitburger, Krombacher, Veltins, Warsteiner und Barre müssen Bußgelder in Millionenhöhe zahlen, nachdem das Bundeskartellamt Preisabsprachen feststellte. Das Kartell verraten hat der Beck's-Hersteller Anheuser-Busch. Stefan Meßmer und Jochen Bernhard erläutern im Interview, wieso Unternehmen die Kartelltreue aufkündigen und warum der einzelne Biertrinker die Brauereien nicht auf Schadensersatz verklagen wird.
LTO: Um die Nachweisbarkeit zu erschweren, werden Preisabsprachen in der Regel mündlich geschlossen, so auch in diesem Fall. Die Ermittlungen wurden erst durch einen Hinweis des Beck's-Herstellers angestoßen. Ist es denkbar, dass das Bundeskartellamt auch anders zu einem Anfangsverdacht kommt?
Meßmer: In der Tat läuft viel mündlich oder mit Codewörtern, um die Dinge zu verschleiern und auch die Terminkalender sauber zu halten. In den meisten Fällen lösen deshalb Hinweise von Kartellbeteiligten ein Verfahren aus. Aber das ist nicht zwingend. Anonyme Beschwerden aus dem Handel oder von Verbrauchern können etwa die Ermittlungen anstoßen.
Bernhard: Das Bundeskartellamt hat aber auch selbst sehr tiefe Kenntnisse über die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, etwa aus Fusionskontrollverfahren, so dass ihm untypische Marktentwicklungen auffallen. Etwa: Die Nachfrage sinkt, die Preise steigen dennoch. Oder ein paralleler Preisanstieg bei mehreren Unternehmen. Das kann dann zu Durchsuchungen und Beschlagnahmen führen. Kalendereinträge, Dokumente auf der Festplatte, Protokollnotizen, Gesprächsvermerke – all das kann Anhaltspunkte liefern. Zudem stehen die Zeugen unter erheblichem Druck, weil nicht nur ihrem Unternehmen, sondern auch ihnen persönlich Bußgelder drohen.
"Mit einem Hinweis zur rechten Zeit lässt sich der Konkurrenz schaden"
LTO: Warum gibt ein Unternehmen, das selbst an den Absprachen beteiligt ist, einen solchen Hinweis, wenn es noch keine Entdeckung befürchten muss?
Meßmer: So etwas kommt beispielsweise vor, wenn ein Unternehmen verkauft werden soll und es im Kaufvertrag Garantieregelungen dazu gibt, wer das Kartellrisiko trägt. Dann besteht keine große Motivation mehr, an der Kartelltreue festzuhalten. Mit einem solchen Hinweis zur rechten Zeit kann man natürlich auch der Konkurrenz schaden.
Außerdem besteht immer das Risiko, dass die Nibelungentreue irgendwann zu Ende ist und dann ein Anderer als Erster redet. Und nur der Erste wird vollumfänglich vom Bußgeld befreit, soweit er nicht der Rädelsführer war.
LTO: Die Kronzeugenregelung im Kartellrecht ist weiter als im Strafrecht?
Bernhard: Ja, im Strafrecht gilt sie nur für schwere Straftaten. Außerdem müssen die Informationen des Kronzeugen die Aufdeckung der Tat ermöglichen. Im Kartellrecht genügt bereits ein bloßer Mehrwert an Information für die Behörde, um das Bußgeld zumindest prozentual zu verringern. Normalerweise geht es da um zehn bis 50 Prozent. Im Bierkartell haben mehrere Brauereien davon profitiert.
LTO: Gibt es diese umfangreiche Kronzeugenregelung, weil das Bundeskartellamt am Ende doch auf Zeugenaussagen angewiesen ist?
Bernhard: Das beruht eher darauf, dass die Ermittlungen sehr komplex und langwierig sind und die Behörde ein erhebliches Interesse daran hat, eigene Ermittlungen flach zu halten und Informationen von den Beteiligten selbst zu erhalten.
LTO: Die Brauereien haben nicht nur kooperiert, sondern sich mit dem Bundeskartellamt auf eine einvernehmliche Verfahrensbeendigung geeinigt. Was bedeutet dieses sogenannte Settlement?
Meßmer: Wenn ein Unternehmen den Vorwurf akzeptiert, kann das Bundeskartellamt einen verschlankten Bußgeldbescheid erlassen. Es erspart sich dadurch einiges an Sachverhaltsermittlung und Begründungsaufwand. Den Kartellbeteiligten winkt ein weiterer Abschlag auf das Bußgeld. Für spätere Schadensersatzkläger ist das natürlich misslich. Die Akten bieten für sie dann weniger Futter, um ihre Ansprüche zu begründen.
LTO: Rechtsmittel können aber trotzdem eingelegt werden?
Meßmer: Ja, aber das würde ein Unternehmen eher nicht tun. Wenn es den Klageweg beschreiten will, dann wird es auf einen förmlichen Bußgeldbescheid mit ausführlicher Begründung bestehen, der mehr Angriffsfläche bietet.
"Welcher Biertrinker hebt schon Kassenzettel auf?"
LTO: Wer kann später Schadensersatz fordern?
Bernhard: Alle Abnehmer. Das sind hier die Groß- und Einzelhändler, Super- und Getränkemärkte sowie die Gastronomie. Ich halte es in diesem Fall auch für realistisch, dass einige ihre Schadensersatzansprüche geltend machen werden.
Meßmer: Diese Ansprüche könnten sie auch in Verhandlungen mit den Brauereien über die Bezugskonditionen einfließen lassen.
Bernhard: Theoretisch haben auch die einzelnen Biertrinker Ansprüche, praktisch können sie diese aber nicht durchsetzen. Sie werden ihren Schaden nicht nachweisen können. Wer hat schon aus den Jahren, in denen das Kartell bestand, seine Kassenzettel aufgehoben?
LTO: Der Vorschlag, den die EU-Kommission im Juni des vergangenen Jahres gemacht hatte, wonach Verbraucher einfacher Schadensersatz fordern können sollen, wenn sie Opfer eines Kartells geworden sind, würde daran auch nichts ändern?
Bernhard: Der Begriff des Verbrauchers ist hier eher im Sinne von Abnehmer, nicht Endverbraucher, zu verstehen. Für den Endverbraucher hat der Richtlinienvorschlag keinen spürbaren Mehrwert.
"Imageschaden und sinkende Preise als weitere Strafe"
LTO: Welche Auswirkungen werden die Geldbußen auf die Unternehmen und den Biermarkt haben?
Meßmer: Die Bußgelder treffen die Brauereien in einer schwierigen Phase. Der Biermarkt hat mit einer zurückgehenden Nachfrage zu kämpfen. Im gravierendsten Fall könnte das Verfahren zur Folge haben, dass eine der Brauereien aus dem Markt ausscheidet oder es zu einer Fusion kommt.
LTO: Wonach bemisst sich die Höhe der Geldbuße?
Meßmer: Nach der Dauer und Schwere des Verstoßes. Preisabsprachen sind ein besonders schwerer Verstoß gegen das Kartellrecht. Die tatsächliche Berechnung knüpft an die Umsätze der Brauereien an und kann maximal zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes im Vorjahr erreichen. Das ist schon eine gravierende und schmerzliche Höhe.
LTO: Sind auch andere Strafen möglich?
Bernhard: Rechtlich gesehen gibt es noch die Vorteilsabschöpfung, soweit den Unternehmen ein nachweisbarer Vorteil verbleibt. Viel schlimmer sind allerdings die wirtschaftlichen Folgen: zum einen der Imageschaden, zum anderen greifen nach dem Ende des Kartells wieder die Marktgesetze. Wenn die Nachfrage bei gleichbleibendem Angebot zurückgeht – wie es auf dem Biermarkt der Fall ist – dann sinken auch die Preise. Wirtschaftlich ist das für die Unternehmen die größte Strafe.
LTO: Gab es auf dem deutschen Biermarkt schon häufiger Preisabsprachen?
Bernhard: Im Dezember 2011 hat das Bundeskartellamt mehrere Kölsch-Brauereien durchsucht, bislang aber noch keine Bußgeldbescheide erlassen. Auch das aktuelle Verfahren wird in den kommenden Monaten noch weitere Brauereien treffen.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Stefan Meßmer ist Partner, Dr. Jochen Bernhard ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Menold Bezler Rechtsanwälte Partnerschaft in Stuttgart. Beide beraten im Kartell- und Beihilfenrecht.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Stefan Meßmer und Jochen Bernhard, Bußgelder im Bierkartell: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10650 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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