Am Freitag entscheidet das BVerfG, ob AfD-Politiker Stephan Brandner vorläufig wieder Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag werden darf. Ein Sieg im Eilverfahren gilt als unwahrscheinlich – das sieht auch die Fraktion selbst so.
Im Bundestag wurde Stephan Brandner im November 2019 wegen umstrittener Beiträge auf Twitter ("Judaslohn") als Vorsitzender des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz mit den Stimmen aller anderen Fraktionen außer der AfD abgewählt. Ein einmaliger Vorgang in der Deutschen Parlamentsgeschichte. Obwohl der AfD-Fraktion die Besetzung des Ausschussvorsitzes unbestritten zusteht, wird dieser seither vom CDU-Politiker und Stellvertreter Brandners, dem Kölner Juraprofessor Heribert Hirte, geleitet.
Die AfD-Fraktion verzichtet bislang auf die Benennung eines neuen Kandidaten, auch weil sie bislang immer hoffte, Stephan Brandner mit der Hilfe des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) noch in dieser Legislaturperiode zurück auf den alten Posten hieven zu können.
Um das zu erreichen, hatte die AfD-Bundestagsfraktion gegen die Abwahl Brandners im Februar Organklage eingereicht - verbunden mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung, über die Karlsruhe nun am Freitag entscheidet. Die Klage der AfD-Fraktion, ausgearbeitet vom Staatsrechtler Prof. Dr. Michael Elicker, stützt sich im Wesentlichen darauf, dass mit der Abwahl Brandners gegen verfassungsrechtlich garantierte Fraktionsrechte aus Art. 38 Abs.1 Satz 2 Grundgesetz (GG) verstoßen worden sei, also gegen das Recht auf Gleichbehandlung als Fraktion sowie das Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung (GO-BT) des Deutschen Bundestages und gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Abs. 3 GG folgende Recht auf eine effektive Opposition.
"Ende des tradierten deutschen Parlamentarismus"
Die AfD steht auf dem Standpunkt, dass Brandner niemals im Rechtsausschuss hätte abgewählt werden dürfen, da die GO-BT hierfür keine Rechtsgrundlage vorsehe. In der 52-seitigen Klageschrift, die LTO vorliegt, heißt es: "In der Geschäftsordnung des Bundestages selbst ist grundsätzlich nur dort, wo Funktionsträger das Vertrauen des gesamten Parlaments genießen müssen, eine Wahl durch das Plenum vorgesehen."
Ein Ausschussvorsitzender könne schon definitionsgemäß nicht der Repräsentant des gesamten Ausschusses sein, so wie es etwa der per Mehrheitswahl durch das Plenum berufene Präsident für das gesamte Parlament ist, weil der Ausschussvorsitzende oft einer Minderheit angehöre und gerade dies auch beabsichtigt sei.
Würde, so die Argumentation der AfD-Fraktion, die Durchbrechung dieser Grundsätze hingenommen, so wäre der Benachteiligung der politischen Opposition als Minderheit Tür und Tor geöffnet. Hierin läge zugleich "das Ende des tradierten deutschen Parlamentarismus". Die Ausübung parlamentarischer Kontrolle, die Tätigkeit der Opposition im Bundestag überhaupt und der Pluralismus des parlamentarischen Prozesses würden wesentlich geschwächt - wenn nicht gar abgeschafft.
Zulässige Abwahl aus "wichtigem Grund"?
Anders sah es hingegen seinerzeit der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages, der dem Rechtsausschuss "grünes Licht" für die Abwahl Brandners gegeben hatte, weil diese von der GO-BT gedeckt gewesen sei. Begründung: Da Brandner seinerzeit im Gremium mit Mehrheit gewählt worden sei, sei es im Umkehrschluss auch zulässig, dass er vom selben Gremium aus wichtigen Gründen auch mit Mehrheit wieder abgewählt werden dürfe (actus contrarius). Indes: In der GO-BT ist von "Wahlen" der Ausschussvorsitzenden keine Rede. In § 58 der GO-BT heißt es vielmehr: "Die Ausschüsse bestimmen ihre Vorsitzenden und deren Stellvertreter nach den Vereinbarungen im Ältestenrat."
Ohnehin, argumentiert die AfD-Fraktion in ihrer Klageschrift weiter, liege auch kein "wichtiger Grund" vor, der eine Abwahl Brandners rechtfertige. Selbst nach einer juristischen Minderheitsauffassung sei die "Abwahl" nur bei einer "fortdauernden Verletzung der Aufgaben eines Vorsitzenden“ möglich. Ein solcher Vorwurf sei aber gegenüber Brandner "zu keinem Zeitpunkt" erhoben worden. Vielmehr gingen die Gründe, "die gegenüber Herrn Brandner von Seiten der Wortführer anderer Ausschussmitglieder konkret vorgebracht wurden, in erster Linie dahin, dass man sich nicht von ihm 'repräsentiert' fühle oder sehen wolle bzw. er sich nicht genügend 'mäßige'".
Wie Karlsruhe die Rechtsfragen in der Hauptsache am Ende entscheidet, bleibt abzuwarten. Am Freitag wird zunächst über den Antrag auf einstweilige Anordnung der AfD-Fraktion nach § 32 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz entschieden (Az. 2 BvE 1/20).
Brandner: "Laufe von Berlin nach Karlsruhe, wenn wir gewinnen"
In der Antragsschrift an das BVerfG hatte die AfD die Eilbedürftigkeit unter anderem damit begründet, dass ihr ansonsten im nächsten Wahlkampf schwerwiegende Nachteile drohten:
"Rechtsschutzziel der Antragstellerin ist die Ausübung ihrer Minderheitenrechte und Oppositionsaufgaben zu Bedingungen, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Fraktionen, der fairen und loyalen Anwendung der Geschäftsordnung sowie dem Grundsatz effektiver Opposition entsprechen. Dies ist nur möglich durch eine verfassungsgerichtliche einstweilige Anordnung, da sich die derzeitige verfassungsferne Situation, die der Antragstellerin die Wahrnehmung ihrer essentiellen Rechte nicht erlaubt, mit dem weiteren Zeitablauf von Tag zu Tag vertieft. Damit schwinden zugleich mit kleiner werdendem zeitlichem Abstand zur nächsten Bundestagswahl ihre verfassungsrechtlich verbürgten Chancen, von der Minderheit zur Mehrheit werden zu können", heißt es in dem Antrag.
Dass die AfD allerdings mit dieser Argumentation im Eilverfahren am Freitag durchdringen wird, daran glaubt sie selbst nicht. Der geschasste MdB Brandner ist pessimistisch und befürchtet im Gespräch mit LTO, dass das Gericht sich darauf berufen werde, dass es sich bei der GO-BT nicht um Verfassungsrecht handelt, über das es zu bestimmen habe: "Obwohl sogar in Art.40 Abs.1 Satz 2 GG die GO ausdrücklich erwähnt ist." Außerdem, so Brandner, rechne er auch in Karlsruhe mit der "typischen Anti-AfD-Haltung". Er kündigte an, "von Berlin nach Karlsruhe zu laufen", sollte die Fraktion am BVerfG obsiegen.
AfD-Prozessvertreter: Niederlage ist "kalkuliertes Risiko"
Vom Erfolg des eigenen Rechtsmittels ist auch AfD-Prozessvertreter Elicker nicht überzeugt: Zum einen seien Einstweilige Anordnungen im Rahmen von Organstreitverfahren ohnehin eher selten, zum anderen würde das BVerfG, wenn es der Anordnung stattgäbe und Brandner wieder als Vorsitzenden einsetzte, über den Antrag in der Hauptsache quasi hinausgehen. Dort beantragt die AfD die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Brandners Abwahl. So gesehen sei die Niederlage im Eilverfahren "kalkuliertes Risiko", sagte Elicker zu LTO.
Viel wichtiger ist nach Auffassung des AfD-Anwaltes vielmehr die Entscheidung in der Hauptsache, die in "derart bedeutsamen Verfahren nicht mehr übermäßig lange dauern" werde. Dort entscheide sich dann, "wie in Deutschland der Parlamentarismus gestrickt" sei und ob es bald "überhaupt noch Minderheitenrechte" gebe oder ob "per Mehrheitsentscheidung künftig alles beschlossen werden" könne.
Wenn Karlsruhe am Freitag der "Wiedereinsetzung" von Brandner nicht stattgibt, dürfte auch die Hängepartie um den Vorsitz im Rechtsausschuss weitergehen. Prozessvertreter Elicker würde jedenfalls seiner Mandantschaft nicht empfehlen, statt Brandner einen anderen AfD-Politiker zum Vorsitzenden zu machen: "Die AfD-Fraktion geht zu Recht davon aus, dass Herr Brandner ohne zureichenden Grund in verfassungswidriger Weise an der Ausübung seiner Kompetenzen als Ausschussvorsitzender gehindert wird. Zu dieser Rechtsauffassung wird die Fraktion sich niemals in Widerspruch setzen, indem sie denjenigen, die der Fraktion die verfassungsmäßig garantierte Gleichbehandlung im Parlament versagen, die Hand reicht zu einem 'Arrangement'."
BVerfG zur Abwahl Brandners im Rechtsausschuss: . In: Legal Tribune Online, 28.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41747 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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