Nach Ermächtigung zur Strafverfolgung: Wie geht es weiter im Fall Böh­m­er­mann?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller

18.04.2016

Man könnte meinen, dass schon alles gesagt und geschrieben ist zum Fall Böhmermann. Die Arbeit an juristischen Detailfragen hat aber erst begonnen, meint Henning Ernst Müller. Vor allem nach der StPO sind mehrere Varianten denkbar.

Die Bundesregierung hat die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Böhmermann erteilt. Es fehlt als Voraussetzung der Strafverfolgung nach § 104 a Strafgesetzbuch (StGB) aber noch die Feststellung, dass "die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war". Die Mainzer Staatsanwaltschaft hat noch zu prüfen, ob nach türkischem Strafrecht ebenfalls eine Norm existiert, die den Bundespräsidenten und Regierungsmitglieder vor Beleidigungen in der Türkei schützt und ob diese Norm auch faktisch "gilt", also – gegebenenfalls bei entsprechendem Strafverlangen der Bundesregierung – in der Türkei auch praktisch durchsetzbar wäre.

Diese Frage kann die Staatsanwaltschaft etwa durch ein Gutachten zum türkischen Recht beantworten lassen, wenn sie nicht selbst über die Rechtskunde verfügt. Nur wenn das Ergebnis positiv ist, kommt überhaupt eine Verfolgung des vorgeworfenen Verstoßes gegen § 103 StGB in Betracht. Dass die Kanzlerin vor ihrer Entscheidung nicht eine nach den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren vorgesehene staatsanwaltliche Einschätzung abgewartet hat, ist unschädlich: Die Richtlinien binden nur die Staatsanwaltschaften, nicht aber die Regierung.

Sollte die Staatsanwaltschaft zur Ansicht kommen, dass Böhmermann den Beleidigungstatbestand verwirklicht hat, steht sie vor der Frage der Anklageerhebung. Es geht derzeit um zwei Vorwürfe: den der Beleidigung Erdogans als Staatsoberhaupt der Türkei (§ 103 StGB) und denjenigen der Beleidigung Erdogans als Privatperson (§ 185 StGB). Das Verfahren wegen der privaten Beleidigung könnte ohne weiteres nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) unter Verweis auf das Privatklageverfahren mangels öffentlichen Interesses eingestellt werden (§ 376 StPO).

Bei Anklage allenfalls Geldstrafe

§ 103 StGB hingegen ist kein Privatklagedelikt. Und im Hinblick auf die erhebliche öffentliche Diskussion und die Ermächtigung der Bundesregierung wird man auch kaum argumentieren können, dass kein öffentliches Verfolgungsinteresse bestehe, weshalb auch eine Einstellung wegen geringer Schuld nach § 153 StPO wohl ausscheidet. § 153a StPO hingegen wäre eine Option, die immerhin auch bei anderen politisch skandalträchtigen Vorwürfen schon gewählt wurde (etwa im Fall Helmut Kohl). Allerdings setzt § 153a StPO die Mitwirkung des Beschuldigten voraus, zum Beispiel eine Entschuldigung oder die Zahlung einer Geldbuße. Dazu ist Böhmermann – jedenfalls nach derzeitigem Stand – nicht bereit.

Wird Anklage erhoben, so wird dies wegen der allenfalls zu erwartenden Geldstrafe vor dem Strafrichter beim Amtsgericht (AG) geschehen. Sollte Böhmermann verurteilt werden, ist seine Berufung zum Landgericht (LG) Mainz oder eine (Sprung)-Revision zum Oberlandesgericht Koblenz wahrscheinlich. Kommt es vor dem AG oder LG zum Freispruch, steht die Staatsanwaltschaft vor der Frage, ob sie Rechtsmittel einlegen soll.

Die Ankündigung der Bundesregierung, sie werde im Bundestag auf die Abschaffung des § 103 StGB hinwirken, lässt die Spekulation zu, ob diese Entkriminalisierung noch das Verfahren gegen Böhmermann betreffen könnte. Angenommen, der Bundestag beschließt, § 103 StGB zum 31.12.2017 aus dem StGB zu entfernen, würde dies eine bis dahin bereits rechtskräftige Verurteilung Böhmermanns nicht betreffen. Anderenfalls ist – auch noch in der Revisionsinstanz – im Strafverfahren ein späterer Wegfall des Straftatbestands zu beachten. Nach § 2 Abs. 3 StGB ist bei Gesetzesänderung das jeweils mildeste Gesetz anzuwenden. Wird der Straftatbestand ganz abgeschafft, muss dann Freispruch erfolgen.

Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, in ein laufendes Verfahren einzugreifen, könnte der Bundestag allerdings beschließen, für die Tatzeit vor dem 15. April 2016, als die Absicht der Abschaffung des Straftatbestand noch nicht erkennbar war, die Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB auszuschließen. Bei § 2 Abs.3 StGB handelt es sich insofern um disponibles Recht.

Das Verhältnis von § 103 StGB zu § 185 StGB

Auch wenn § 103 StGB später fortfallen sollte, bleibt eine Bestrafung nach § 185 StGB möglich. Das Konkurrenzverhältnis zwischen diesen beiden Tatbeständen ist allerdings umstritten. Die eine Auffassung sieht § 103 StGB als gesetzeskonkurrierende lex specialis. Der in diesem Fall verdrängte § 185 StGB kommt aber dann wieder in Betracht, wenn die verdrängende Norm nicht angewendet werden kann.

Die Gegenauffassung nimmt Tateinheit zwischen § 103 StGB und § 185 StGB an, da hier unterschiedliches Unrecht verwirklicht werde, nämlich die Beleidigung des ausländischen Staates und damit eine Gefährdung außenpolitischer Beziehungen einerseits, die Beleidigung einer Privatperson andererseits. Unter dieser Annahme wäre § 185 StGB von vornherein mitanzuklagen.

Bleibt am Ende nur § 185 StGB übrig, kommt auch wieder eine Einstellung des Verfahrens in Betracht.

Der Autor Prof. Dr. Henning Ernst Müller ist Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Regensburg.

Zitiervorschlag

Nach Ermächtigung zur Strafverfolgung: . In: Legal Tribune Online, 18.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19110 (abgerufen am: 04.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen