Die Bundesregierung will mehr Härte gegen Schleuser. Nach der Formulierungshilfe aus dem BMI für das entsprechende Gesetz könnten jedoch auch Seenotretter einen Straftatbestand erfüllen. Das BMI will sich anders verstanden wissen.
Seenotrettung erfüllt in Deutschland bisher keinen Straftatbestand. Eine Änderung dieses Grundsatzes hat auch das kürzlich von der Ampelkoalition beschlossenen Gesetz zur Verbesserung der Rückführung nicht gebracht. Zu dem Gesetz gibt es nun allerdings eine Formulierungshilfe aus dem zuständigen Bundesinnenministerium (BMI). Wenn sich die Ampel dieser Formulierungshilfe anschließt, erfüllt die Seenotrettung künftig den Straftatbestand des Schleusens, meinen Asylanwälte und Seenotretter. Die SZ hatte zuerst berichtet.
Die entscheidende Norm ist § 96 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Grob gesagt wird danach bestraft, wer Ausländer gegen einen Vorteil ins Land holt. Die jeweiligen Varianten sind so formuliert, dass sie für kriminelle Schleuser konzipiert sind, die gegen Geld oder ohne Rücksicht auf die körperliche Unversehrtheit der Flüchtlinge Menschen heranschaffen. Die Seenotretter:innen, die auf ausländischen Boden Menschen vor dem Ertrinken retten, sind also bisher von diesem Tatbestand nicht erfasst.
Verweisung auf weitere Nummer im AufenthG
Das könne sich durch eine schwierig nachvollziehbare lange Verweisung ändern. Der entsprechende Passus findet sich sehr versteckt auf der Seite drei der Formulierungshilfe des Bundesinnenministeriums unter 1, c, cc. Dort heißt es zur Änderung von § 96 Abs. 4 AufenthG alles andere als im Klartext: "Buchstabe d) Doppelbuchstabe aa) wird wie folgt gefasst: aa) Im Satzteil vor der Nummer 1 werden die Wörter Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 2, Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2 und 5´ durch die Wörter `Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2, Satz 2, Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2, 3, 5 und 6, Satz 2´ersetzt."
David Werdermann, Rechtsanwalt und Verfahrenskoordinator bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) weiß, was das bedeutet: "Die – ohnehin schon komplizierte – Verweisungstechnik in § 96 Abs. 4 AufenthG bezieht sich bisher nur auf die Fälle mit Vorteilen bei den Handelnden – kurz gesagt: Schlepper, die Geld bekommen", erklärt Werdermann gegenüber LTO. Diese Einschränkung falle nach der Formulierungshilfe aus dem BMI weg. "Künftig wird es dann auch strafbar sein, wenn jemand mehrere Menschen auch ohne persönliche Vorteile in die Europäische Union bringt", sagt der Anwalt aus Berlin. Denn die schon existierende Variante des § 96 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG, wonach sich strafbar macht, wer "wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt", soll umfassend von dem Verweis in § 96 Abs. 4 AufenthG erfasst werden. Das wäre das Handeln der Seenotretter:innen.
Vorteil ist keine Voraussetzung mehr
Also: Während früher ein erhaltender Vorteil, etwa Geld, Strafbarkeitsvoraussetzung für Seenotrettung mit der Folge des Verbringens der Flüchtlinge in die Europäische Union war, reicht jetzt ein wiederholtes Handeln oder ein Handeln zugunsten von mehreren Ausländern.
Eine Begründung für die Ausdehnung der Strafbarkeit hat Werdermann nicht gefunden: "Die einzigen Sätze finden sich auf Seite 9 der Formulierungshilfe. Da heißt es jedoch lediglich, dass es sich um eine Erstreckung von anderen Änderungen auf Auslandstaten handelt, nicht aber, warum die uneigennützige Schleusung aufgenommen wird." Im ursprünglichen Gesetzentwurf hatte es dazu keine Regelung gegeben.
Aus Sicht von Werdermann lässt das BMI es klingen, als seien diese Änderungen notwendige und logische Folge von anderen, "aber das ist nicht der Fall". Nun hätten es die Fraktionen in der Hand, diese Änderungen zu übernehmen – oder nicht.
BMI: Kein Vorsatz zur unerlaubten Einreise
Das BMI sieht die Rechtsfolge offenbar selbst nicht: "Wir haben den Kampf gegen das skrupellose und menschenverachtende Geschäft der Schleuser deutlich verschärft – sowohl mit den grenzpolizeilichen Maßnahmen als auch mit den vorgeschlagenen strafrechtlichen Änderungen", teilte das BMI auf Anfrage von LTO mit.
Es sei aber ausdrücklich nicht zutreffend, dass die zur Rettung von Menschenleben erfolgende Tätigkeit von privaten Seenotrettern künftig durch eine etwaige Strafbarkeit erschwert werden soll. "Menschen aus dem Meer vor dem Ertrinken zu retten, ist keine Schleusungshandlung. Während Schleuser Menschenleben aufs Spiel setzen, retten Seenotretter Menschen vor dem Ertrinken", so das BMI.
Rechtlich fehle es im Rahmen der Seenotrettung nach den SAR-Regularien bereits an dem für eine Strafbarkeit erforderlichen Vorsatz der Hilfeleistung zu einer unerlaubten Einreise. Vielmehr sei das Ziel der derzeit privat tätigen Seenotretter, dass die Geretteten der zuständigen staatlichen Organisation in einem Mitgliedstaat zur ordnungsgemäßen Registrierung und Bearbeitung ihrer Schutzersuchen übergeben und gerade nicht in die Illegalität entlassen werden. Seenotrettung sei im Übrigen auch als gerechtfertigt anzusehen, um Gefahren für Leib und Leben abzuwenden.
FDP-Abgeordneter will Strafbarkeit bei systematischem Handeln
Die Lösung über die Rechtfertigungsebene hatte das SPD-geführte BMI bereits mehrfach geäußert. Für den Asylrechtsanwalt Matthias Lehnert wäre dies "das Einfallstor für die Kriminalisierung der Seenotrettung". Damit wäre der objektive Tatbestand des Schleusens erfüllt und es obläge den Staatsanwaltschaften, ob sie das Verhalten zur Anklage bringen. "Selbst wenn die Kriminalisierung von dem derzeit von der SPD geführten BMI aktuell nicht gewollt ist, so muss man sich doch fragen, was passiert, wenn die AfD ein Justizministerium übernimmt", so der Anwalt aus Leipzig.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Stephan Thomae, will eine Strafbarkeit: "Im Hinblick auf § 96 AufenthG muss deutlich werden, dass es in bestimmten Konstellationen auch für private Seenotretter einen Straftatbestand darstellen kann, wenn nicht allein die Rettung von Menschenleben aus Seenot im Mittelpunkt steht, sondern wenn geplant und systematisch Menschen nach Europa gebracht werden sollen", sagt er gegenüber LTO. Langfristig müsse die Seenotrettung daher zur staatlichen Aufgabe werden und von Frontex übernommen werden.“
Grüne-Abgeordente erwartete Rücknahme der Verschärfung
Der Grünen-Abgeordnete Julian Pahlke hingegen sagte gegenüber dpa: "Wenn diese Gesetzesänderung so beschlossen würde, wäre es ein Angriff auf die zivile Seenotrettung und damit auf diejenigen, die Flüchtende jeden Tag vor dem Ertrinken retten." Er erwarte von Faeser, die Verschärfung zurückzunehmen.
Damit rechnen sollte er nicht, viele Stimmen klingen nach einer Lösung nur auf der Ebene der Rechtswidrigkeit. So sagte der SPD-Politiker Sebastian Hartmann der Mediengruppe Bayern, dass es keiner rechtlichen Klarstellung im Gesetzesentwurf bedürfe, "da bereits heute nach § 34 im Strafgesetzbuch Menschen, die eine Gefahr von sich oder einer dritten Person abwenden, nicht rechtswidrig handeln". Ein Sprecher der Bundesregierung hatte mit Blick auf die zivile Seenotrettung bereits vergangene Woche gesagt: "Derartige Handlungen sind als gerechtfertigt anzusehen, um Gefahren für Leib und Leben abzuwenden."
Mit Material von dpa
Formulierungshilfe des BMI zur Rückführung: . In: Legal Tribune Online, 13.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53154 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag