Rechtsextreme führen Listen, auf denen die Namen und Adressen von mehr als 35.000 sogenannten Feinden stehen. Wer wissen will, ob er zu den "Feinden" der Rechten zählt, soll sich an seine zuständige Landesbehörde wenden, teilt das BKA mit.
Rechtsextremisten haben in den vergangenen Jahren Listen über tausende Menschen angelegt, auf denen deren persönliche Daten vermerkt waren. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleinen Anfrage der Linken im Bundestag (BT-Ds.19/3350) hervor. Die mehr als 35.000 Menschen auf den sichergestellten Listen sollen dort als "Feinde" der Neonazis bezeichnet und mit ihren Privatadressen aufgelistet worden sein. "Im Zuge verschiedener Ermittlungsverfahren des Bundeskriminalamtes (BKA) im Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität Rechts wurden eine Vielzahl von Listen sichergestellt, die Adress-, Personen- und Telefondaten enthielten", teilte die Bundesregierung mit.
Vom BKA selbst informiert wurden allerdings bisher nur drei Personen. Wer wissen wolle, ob sein Name oder der Name seiner Institution auf einer dieser Listen stehe, müsse sich an die jeweils zuständige Landesdienststelle wenden, teilte das BKA auf Anfrage von LTO mit. Denn: Eine Information von Personen, die auf einer solchen Liste genannt sind, sowie die Initiierung von etwaigen Schutzmaßnahmen lägen grundsätzlich in der Zuständigkeit der Polizeibehörden der Länder.
In der Berichterstattung über die Entdeckungen war zuletzt die Rede von "Feindes-" und sogar "Todeslisten" gewesen. Berufsorganisationen, wie etwa der Deutsche Journalistenverband (DJV), reagierten geschockt und forderten vom BKA umgehend Aufklärung: Schließlich sei davon auszugehen, dass auch Journalistinnen und Journalisten von den Nazis als Feinde eingestuft worden seien. "Ich erwarte vom Bundeskriminalamt, dass eventuell betroffene Kolleginnen und Kollegen unverzüglich informiert werden", so der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Dazu gehöre auch, mit den Journalisten über mögliche Vorkehrungen für ihren Schutz zu beraten.
Auskunftsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz
Vom BKA hat der Journalistenverband bislang aber keine konkreten Informationen erhalten und das wird wohl auch so bleiben. Denn BKA und Bundesinnenministerium (BMI) verweisen unisono auf die für die Gefahrenabwehr zuständigen Bundesländer. Überhaupt ist der Bund darum bemüht, die Aufregung über die ermittelten Datensätze herunterzukochen: "Konkrete Erkenntnisse, dass es sich bei den Personen und Institutionen, die sich auf den diversen Listen befinden, tatsächlich um potentielle Anschlagsopfer handelt oder handeln sollte, liegen bisher nicht vor", lässt das BMI verlauten. Gleichwohl habe das BKA im Rahmen seiner Zentralstellenfunktion Gefährdungsbewertungen zu den Personen und Organisationen durchgeführt. Diese Bewertungen - einschließlich der jeweiligen Listen - seien den zuständigen Länderdienststellen zur Verfügung gestellt worden.
Aber welche Gefahr besteht nun wirklich für die Betroffenen? Wie die einzelnen LKAs mit dem Datenmaterial umgehen und ob sie proaktiv die gelisteten Menschen informieren, ist unklar. In Niedersachsen haben die Grünen deshalb bereits eine entsprechende Anfrage an die Landesregierung gestellt: Die Landtagsfraktion will wissen, wie viele Niedersachsen und Örtlichkeiten im Land in den Listen aufgeführt sind und ob bzw. wie sie informiert wurden. Zudem wird die Frage nach möglichen Konsequenzen aufgeworfen - und auch danach, ob auf diesen Listen aufgelistete Menschen getötet wurden oder gestorben sind. Auf LTO-Anfrage wollte das zuständige LKA zum Sachverhalt keine Stellung beziehen. Auch die LKAs in Baden-Württemberg und Hessen sahen sich am Mittwoch zu einer Stellungnahme nicht in der Lage. "Es ist Urlaubszeit", ließ der Sprecher aus dem LKA in Stuttgart verlauten.
"Umfassende Prüfung" im LKA Bayern
Die stellvertretende Sprecherin des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, Sandra Schließlberger, teilte unterdessen LTO mit, dass derzeit im Bayerischen LKA "eine umfassende Prüfung" hinsichtlich des Vorgangs vorgenommen werde; ein Ergebnis liege noch nicht vor. Ob betroffene Personen von den bayerischen Sicherheitsbehörden benachrichtigt würden, werde "im Rahmen einer Einzelfallbewertung" entschieden. Im Übrigen werde die Thematik derzeit im Rahmen der bundesweiten Kooperationsplattformen zwischen Polizei- und Verfassungsschutzbehörden behandelt.
Die Sprecherin des LKA in Mecklenburg-Vorpommern, Anna Hermann, stellte gegenüber LTO klar, dass sich jeder Bürger selbstverständlich auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) beim LKA erkundigen könne, ob sich sein Name auf einer der Liste befinde. Bislang hätten sich allerdings ausnahmslos Journalisten gemeldet, so Hermann. Ein Sprecher des LKA Berlin bestätigte ebenfalls, dass sich besorgte Berliner bereits mit Auskunftsersuchen an das LKA gewandt hätten.
BKA: Angriff auf Personen "eher" ausgeschlossen
Die an die Landesbehörden weitergeleiteten Schriftstücke bzw. Datensätze stammen zum Teil aus den Ermittlungen des BKA gegen den rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) (rund 10.000 Datensätze) und aus den Ermittlungen gegen den terrorverdächtigen Bundeswehrsoldaten Franco A. und seine zwei Komplizen. In drei Fällen handelte es sich bei Personen auf den Listen aus den Ermittlungen gegen Franco A. laut BMI um Schutzpersonen des BKA – das können zum Beispiel Bundestagsabgeordnete sein. Diese seine "unmittelbar durch die Sicherungsgruppe des BKA informiert worden", teilte das BMI mit. Die Listen im Komplex NSU waren bereits Ende des Jahres 2011 nach der Entdeckung des NSU bekannt geworden. Die Polizeibehörden der Länder seien damals durch das BKA unverzüglich in Kenntnis gesetzt worden, teilte das BMI mit.
Die größte Datenmenge mit mehr als 25.000 aufgelisteten Personen wurde indes in den Ermittlungen gegen Mitglieder der rechten Prepper-Gruppierung "Nordkreuz" im vergangenen Jahr beschlagnahmt. Bei einer Durchsuchung durch die Bundesanwaltschaft waren mehrere Tausend Namen von linken Politikern und Journalisten gefunden worden. Nordkreuz-Mitglieder planten dabei nach laut Mitteilung der Ermittler "Vertreter des politisch linken Spektrums festzusetzen und mit ihren Waffen zu töten".
Auch im Komplex "Nordkreuz" erstellte das BKA im Zuge der Ermittlungen eine Gefährdungsbewertung zu den aufgefundenen Listen. Einen Angriff auf die darin benannten Personen, Parteien und Institutionen sowie Objekte schloss das BKA dabei "eher" aus. Diese Bewertung sowie die aufgefundenen Namenslisten wurden ebenfalls den betroffenen Ländern – im Wesentlichen Mecklenburg-Vorpommern -übermittelt, damit dort über weitere Maßnahmen in eigener Zuständigkeit entschieden werden kann.
Verwirrung um vom BKA ermittelte "Feindeslisten": . In: Legal Tribune Online, 02.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30147 (abgerufen am: 06.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag