Am zweiten Verfahrenstag sagt Höcke aus – und bleibt dabei, nichts von der Strafbarkeit des NS-Ausspruchs gewusst zu haben. Ihm droht laut Gericht wohl nur eine Geld- statt einer Freiheitsstrafe. Damit könnte er AfD-Spitzenkandidat bleiben.
Am zweiten Tag kommen dann die Geschichtsbücher zum Einsatz. Björn Höcke trägt sie, locker unter den Arm geklemmt, in den Gerichtssaal. So wie auch schon am ersten Prozesstag. Am Dienstag gebraucht er sie allerdings auch als Argumentationsstütze: Höcke macht schließlich seine Aussage. Gegen ihn läuft wegen Verwendens von Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation gemäß §§ 86 Abs. 1 Nr. 4, 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) ein Strafprozess am Landgericht Halle (Az. 5 KLs 6/23). Der Thüringer AfD-Landespartei- und Fraktionschef nutzt seinen Auftritt vor Gericht und holt weit aus.
Doch bevor es mit seiner Aussage losgeht, müssen sich alle Anwesenden durch ein anderthalbstündiges Video der Wahlkampfveranstaltung in Merseburg im Mai 2021 quälen. Gezeigt wird es auf einem großen Bildschirm. Bei diesem Auftritt verwendete Höcke die verbotene Losung der Sturmabteilung (SA) der NSDAP "Alles für Deutschland". Auf die Frage des Vorsitzenden, ob man denn die Reden der anderen AfD-Politiker überspringen könne, protestiert die Verteidigung erwartungsgemäß. Und so dauert es über eine Stunde, bis Höckes etwa 22-minütige Rede zu sehen und hören war. Höcke steht auf einer kleinen Bühne, vor ihm etwa 250 Zuhörer in Merseburg. Erst kommen Ausführungen zu demografischem Wandel, Einwanderung und Windkraft. Schließlich ruft er zum Ende inbrünstig die Worte: "Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland".
Die für das Verfahren relevante Frage ist, ob Höcke wusste, dass es sich dabei um eine verbotene Parole handelte. Diesen Vorsatz bestritt er im Vorfeld – und dabei bleibt er auch heute. "Ich bin unschuldig", das betont er an diesem Tag mehrmals.
"Sie sind Strafrechtler, welche Kenntnisse haben Sie etwa vom Patentrecht?"
Er habe es nicht gewusst, kenne auch niemanden, der es gewusst hätte und er habe es auch als Geschichtslehrer nicht wissen müssen. Ein Geschichtslehrer sei kein Universalgelehrter, die Universalgeschichte der Menschheit ein weites Feld. "Sie sind Strafrechtler, welche Kenntnisse haben Sie etwa vom Patentrecht?", fragt er den Staatsanwalt. Der bleibt unbeeindruckt. Um seine Behauptung zu untermauern, zeigt er die mitgebrachten drei Geschichtsbücher, in denen nichts über die SA-Parole enthalten sei. Er beende seine Reden immer mit einem sich steigernden Dreiklang. In Merseburg habe er seine Äußerung spontan so formuliert, angepasst an den Wahlprogramm-Titel „Alles für unsere Heimat“.
Höcke spricht ruhig, mit fester, an einigen Stellen nahezu demütiger Stimme, lässt den Blick immer wieder auch durch die Zuhörerschaft im Saal schweifen. Er steht während seiner gesamten Aussage, nach eigener Aussage als „Ausdruck der Anerkennung der Würde des Gerichts als staatlich hohe Institution“. Jedenfalls nutzt er die so geschaffene Bühne. „Ich habe mit dem Nationalsozialismus nichts am Hut. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch. Ich lehne jede Art von Diktatur, vor allem die braune, aus tiefstem Herzen ab“, dreiklangt er nun auch vor Gericht.
"Ich bin niemals mit Recht und Gesetz in Kollision gewesen, ich selbst empfinde mich als rechtstreuen Bürger." Er habe seine Kinder zu freiheitsliebenden Menschen und rechtstreuen Staatsbürgern erzogen und 15 Jahre lang als rechtstreuer Beamter gearbeitet. Für ihn sei es durchaus besonders, als Angeklagter vor einem Gericht zu stehen.
Kein Medienkonsum aus Selbstschutz – oder doch?!
Die Staatsanwaltschaft fragt Höcke im Anschluss nach dessen Bekanntschaften zu anderen AfD-Politikern, die sich vor ihm bereits wegen der gleichen Äußerung verantworten mussten. Höcke antwortet, diese entweder gar nicht oder nur sehr flüchtig zu kennen. Die Staatsanwaltschaft lässt nicht locker. Kannte er die Diskussion um die Aussagen denn nicht aus den Medien? Höcke sagt, er konsumiere seit Jahren keine etablierten Medien mehr. "Aus psychologischem Selbstschutz". Er sei zum Teufel der Nation gemacht worden und werde gemobbt. Diese Aussage relativiert er wenige Minuten später, nachdem er selbst eine Umfrage des Allenbach-Instituts zur Meinungsfreiheit erwähnt hatte und daraufhin die beisitzende Richterin am Landgericht Heike Schwick nachhakte. Ab und zu lese er schon mal etablierte Medien, gab er daraufhin zu.
Darüber hinaus gibt die Staatsanwaltschaft zu Protokoll, dass die Facebookseite mit dem Video im Juni 2023 mehr als 21.000 Leute angeklickt hätten. Das sei wichtig, da Reichweite und Verbreitungsgrad der Äußerungen relevant für die Strafzumessung seien. Ein möglicher Hinweis darauf, dass die Staatsanwaltschaft das strafschärfend berücksichtigen will und statt Geldstrafe auf eine sechsmonatige Freiheitsstrafe abzielt? Damit wäre gem. §§ 92a, 45 StGB die Möglichkeit eröffnet, Höcke das aktive und passive Wahlrecht zu entziehen.
Gericht geht von Geldstrafe aus
Diese Möglichkeit sieht das Gericht dagegen derzeit nicht. Stand jetzt geht es, sollte der Vorwurf zutreffen, von einer Geldstrafe aus. Ein Entzug des Wahlrechts nach § 45 StGB wäre damit auch vom Tisch. In einer Erklärung gem. § 257b StPO erklärt es als gerichtsbekannte Tatsachen, dass es sich bei der SA um eine Kampforganisation der NSDAP handele und damit um eine verfassungswidrige Organisation im Sinne des § 86a StGB. Weiterhin sei gerichtsbekannt, dass die Parole "Alles für Deutschland" der Wahlspruch der SA sei, dies aber zum Tatzeitpunkt weiten Teilen der Bevölkerung nicht bekannt gewesen sei und auch Geschichtsbücher existierten, die diese Information gerade nicht enthielten.
Anders als es sich am ersten Tag abzeichnete, scheint es bis zum Verfahrensende offenbar nun auch gar nicht mehr lang zu dauern. Der einzige noch als Zeuge geladene Polizeibeamte wurde am Dienstag noch zur Anzeigenerstattung gehört. Aus Sicht der Verteidigung könne die Beweisaufnahme damit geschlossen werden. Der Vorsitzende Richter am Landgericht Jan Stengel verkündet daraufhin tatsächlich auch, dass beabsichtigt sei, dies zu tun. "Dann sind wir ja fast einer Meinung", freut sich Rechtsanwalt Müller. "Zum Ablauf", stellt der Vorsitzende klar.
Entscheidung über erneute Verfahrensverbindung steht aus
Die Staatsanwaltschaft ist dagegen anderer Meinung und beantragt, auch noch das Video von seiner Rede in Gera in Augenschein zu nehmen. Die Aufnahme soll Höcke bei einer Rede im Dezember 2023 zeigen, in der er erneut zu der verbotenen Parole angesetzt und sie vom Publikum beenden lassen haben soll. Wegen dieses Vorfalls ist eine weitere Anklage gegen Höcke anhängig, die zunächst zu dem Verfahren hinzugefügt wurde. Weil kurzfristig Höckes Verteidiger wechselte, musste es wieder abgetrennt werden. Die Staatsanwaltschaft will das nicht durchgehen lassen. Sie beantragte im vorherigen Termin, die Verfahren nach ausreichender Akten-Einlesezeit für die Verteidiger wieder zu verbinden.
Dazu äußert sich das Gericht am Dienstag nicht. Stattdessen gibt es der Verteidigung Gelegenheit zur Stellungnahme, die sich wenig überraschend gegen eine erneute Verbindung ausspricht. Für die zweite Tat ist mangelnde Kenntnis wohl schwer darstellbar, dürfte Höcke zum Tatzeitpunkt im Dezember 2023 die bereits im Juni 2023 gegen ihn erhobene Anklage bereits bekannt gewesen sein. Eine Verbindung sei weiterhin möglich, das Gericht werde noch darüber entscheiden, sagt die Pressesprecherin des LG Halle nach der Verhandlung.
Der nächste Verhandlungstermin ist für den 3. Mai 2024 angesetzt.
Zweiter Tag im Strafverfahren gegen Björn Höcke: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54398 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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