BVerfG zu Gehaltsklage von ZDF-Reporterin: Europa wird helfen

Gastbeitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing und Yannick Peisker

19.07.2022

Eine ZDF-Reporterin ist mir ihrer Verfassungsbeschwerde auf Equal Pay gescheitert. Vorhersehbar, doch das Engagement lohnt sich trotzdem. Europäische Politik wird bald für Verbesserungen sorgen, meinen Gregor Thüsing und Yannick Peisker.

Nicht alles, was man für juristisch falsch hält, ist verfassungswidrig, mögen die der Beschwerde zugrundeliegenden Motive sozial und politisch noch so billigenswert sein. Dies musste auch die ZDF-Reporterin Birte Meier erfahren. Sie wollte auf dem Gerichtsweg erreichen, dass ihr das gleiche Gehalt zugesprochen wird, wie ihren männlichen Kollegen mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit. Daher begehrte sie Auskunft über den Verdienst dieser männlichen Kollegen und Gehaltsanpassung.

Der Verfahrensgang ist kompliziert: Erstinstanzlich hatte sie keinen Erfolg und auch die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin blieb erfolglos; unter anderem deshalb, da der einschlägige Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) nicht auf sie als arbeitnehmerähnliche Person anwendbar sei. Nur diesbezüglich ließ das LAG die Revision zu. In der nächsten Instanz verurteilte das BAG das ZDF teilweise zur Auskunftserteilung, im Übrigen verwies es den Rechtsstreit an das LAG zurück mit dem Hinweis, dass das Entgelttransparenzgesetz auch auf die Reporterin als arbeitnehmerähnliche Mitarbeiterin anwendbar sei (BAG, Urt. v. 25. Juni 2020, 8 AZR 145/19). In Bezug auf den nicht zur Revision zugelassenen Teil, nämlich die gescheiterte Klage auf Gehaltsanpassung, erhob Birte Meier Nichtzulassungsbeschwerde, die das Bundesarbeitsgericht letztlich als unzulässig verwarf. Hiergegen wendete sich die ZDF-Reporterin mit ihrer Verfassungsbeschwerde.

Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes? 

Vor dem BVerfG angelangt beanstandete Meier über ihre Anwälte mehrere Aspekte: Um dem Rechtsstreit eine verfassungsrechtliche Dimension zu geben, rügte sie die Verletzung des gesetzlichen Richters, da der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu entscheiden habe und somit hätte vorgelegt werden müssen. Denn das LAG sei von der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs abgewichen, nach der es zu einer Beweislastumkehr komme, wenn die Beschäftigte darlegt, sie werde bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit geringer vergütet als ihre männlichen Kollegen. Nachträglich erweiterte sie ihre Rüge auf den Grundsatz der Gleichheit von Frauen und Männern nach Art. 23 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (GRCh), sowie nach Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und flankierend auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. 

Verfassungsbeschwerde schon unzulässig 

Erfolgreich war die Beschwerdeführerin damit nicht (Beschluss v. 1. Juni 2022, 1 BvR 75/20). Zu Recht merkte die Kammer schlicht an, dass eine Vorlage an den EuGH nicht in Betracht gekommen sei. Denn zwar hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass ihre Berufung nicht zugelassen wird. Da eine Nichtzulassungsentscheidung aber keine Sachentscheidung darstelle, könne auch keine Vorlagepflicht bestehen, so das BVerfG. 

Die Voraussetzungen dafür, dass das BVerfG den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 23 GRCh überhaupt prüfen kann, wurden zudem nicht dargelegt. Es hätte fristgemäß aufgezeigt werden müssen, dass Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 GG das europäische Grundrechtsschutzniveau vor Benachteiligungen wegen des Geschlechts nicht wahrt. Die Verletzung von Art. 3 GG habe Meier hingegen nicht innerhalb der Monatsfrist geltend gemacht – prozessual ist damit einiges schiefgelaufen, sodass das BVerfG eine Sachentscheidung gar nicht treffen musste. 

Wichtig war aber insbesondere der Hinweis auf die fehlende Subsidiarität. Die Beschwerdeführerin hatte ja – rechtlich nicht unumstritten – vor dem BAG nach Einlegung der Verfassungsbeschwerde durchaus Erfolg und teilweise Recht bekommen, indem auch freie Mitarbeiter dem Anwendungsbereich des EntgTranspG unterworfen wurden (BAG, Urt. v. 25. Juni 2020, 8 AZR 145/19). Damit hätte sie Auskunft verlangen können, sodass infolge des Eingreifens der Beweislastumkehr eine Zahlungsklage durchaus Erfolgsaussichten gehabt hätte – wofür dann jetzt noch die Verfassungsbeschwerde?

Auskunft allein hilft nicht weiter

Juristisch war die Entscheidung des BVerfG unspektakulär, und auch die Klägerin dürfte letztlich zufrieden sein, da ihr das BVerfG in Bezug auf ihren Zahlungsanspruch Erfolgsaussichten bescheinigte. Freilich weist das BVerfG noch auf eine Hürde hin, die sich auch in Zukunft noch stellen könnte: Der Auskunftsanspruch nach § 10 EntgTranspG ist nur auf den Median gerichtet und nicht auf den Durchschnittswert. Mit der Auskunft nach § 10 EntgTranspG ist also noch nicht gesagt, dass hier tatsächlich eine Diskriminierung vorliegt. Hierfür müsste auch das Durchschnittsgehalt derjenigen Arbeitnehmer bekannt sein, die eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit ausüben und einem anderen Geschlecht angehören. Es ist einer der vielfach kritisierten Geburtsfehler des Gesetzes, letztlich die Kläger am Ende mit einer Auskunft dastehen zu lassen, die keinen zwingenden Hinweis auf eine Diskriminierung zulässt, solange nicht die erforderlichen weiteren Informationen vorliegen. 

Das BAG ist hierüber nonchalant hinweggegangen und hat einer Medianauskunft unter dem eigenen Gehalt eine Indizwirkung zugesprochen (BAG, Urt. v. 21. Januar 2021, 8 AZR 488/19), was freilich mehr juristischer Kunstgriff zur Vervollständigung eines unvollständigen Gesetzes als eine saubere dogmatische Herleitung war. Insgesamt zeigt das Verfahren, dass die Gerichte den Anspruch auf Entgelttransparenz ernst nehmen, freilich es sich hier um eine Anwendung und Auslegung einfachen Rechts handelt, dessen Verfassungsdimensionalität regelmäßig nicht gegeben ist.

EU-Richtlinien-Entwurf für Lohngleichheit könnte Verbesserungen bringen

Statt auf verfassungsrechtliche Scharmützel sollte sich die rechtspolitische Diskussion auf die nun anstehende Richtlinie zur Entgelttransparenz konzentrieren. Hierzu liegt bereits ein erster Entwurf der Kommission vor (COM(2021) 93 final). Wird jener tatsächlich zur Richtlinie, würde sich für das deutsches Recht doch eine Menge ändern. Dies nicht nur aufgrund der primär verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Berichterstattung nach Art. 8 sowie über die gemeinsame Entgeltbewertung nach Art. 9 des Entwurfs, die wohl zu einer erheblichen Änderung des bisher bekannten betrieblichen Prüfverfahrens nach § 17 EntgTranspG führen werden, sondern auch durch eine verstärkte subjektive Entgelttransparenz:

Einer der zentralen Bestandteile des Entwurfs ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung eines Auskunftsrechts jedes Arbeitnehmers über ihr individuelles Einkommen einschließlich des Durchschnittseinkommens aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für die Gruppen von Arbeitnehmern, die die gleiche Arbeit wie sie oder gleichwertige Arbeit verrichten. Dieser Anspruch soll, anders als die derzeitige Regelung in § 10 ff. EntgTranspG, unabhängig von der Betriebsgröße greifen – die Beschränkung des § 12 Abs. 1 EntgTranspG auf Betriebe von mehr als 200 in der Regel Beschäftigten würde damit hinfällig werden. 

Auskunftsanspruch über Gehaltsdurchschnitt kommt

Ausnahmen für tarifgebundene Unternehmen bestehen nicht, das Verfahren nach § 14 EntgTranspG dürfte mit Inkrafttreten einer solche Richtlinie hinfällig werden. Ebenso sieht der Entwurf vor, die Auskunft gegenständlich auf das Durchschnittseinkommen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit aufgeschlüsselt nach Geschlecht zu beziehen. So werden unmittelbare Rückschlüsse auf die Lage des eigenen Gehalts im Vergleich zu Kollegen des eigenen Geschlechts und zur Vergleichsgruppe möglich. 

Ferner soll Lohnungleichheit durch eine in zeitlicher Hinsicht extensivierte Lohntransparenz verringert und beseitigt werden. So sieht Art. 5 des Entwurfs die Schaffung von Regelungen vor, die Arbeitgeber dazu verpflichten, in einer veröffentlichten Stellenausschreibung Informationen über das auf objektiven geschlechtsneutralen Kriterien beruhende Einstiegseinkommen oder dessen Spanne für die betreffende Stelle anzugeben. 

Arbeitgeber sollen nicht mehr nach früherem Gehalt fragen dürfen

Korrespondierend hierzu haben Bewerber das Recht, vom Arbeitgeber diese Informationen zu erhalten. Gleichfalls sollen Fragen des Arbeitgebers im Bewerbungsverfahren nach ihrer früheren Lohnentwicklung untersagt werden. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG sind Fragen nach dem bisherigen Entgelt zwar grundsätzlich unzulässig, aber doch dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer von sich aus sein bisheriges Gehalt als Mindestarbeitsvergütung fordert oder sofern das Gehalt Rückschlüsse auf dessen Eignung zulässt (BAG, Urt. v. 19. Mai 1983 – 2 AZR 171/81). 

Der lange Weg der ZDF-Reporterin, an dessen Ende sie noch nicht angelangt ist, zeigt: Dass sich der Unionsgesetzgeber der Lohngleichheit erneut angenommen hat, ist zu begrüßen. Dem EntgTranspG als zahnloser Tiger könnten Zähne und womöglich sogar scharfe Zähne verliehen werden, weshalb es sich lohnt, das weitere Gesetzgebungsverfahren aufmerksam zu verfolgen.

 

Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard) ist Direktor des Lehrstuhls für Arbeitsrecht am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Yannick Peisker ist dort Mitarbeiter und verfolgt ein Promotionsvorhaben zu einem arbeits- und datenschutzrechtlichen Thema.

 

Zitiervorschlag

BVerfG zu Gehaltsklage von ZDF-Reporterin: . In: Legal Tribune Online, 19.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49097 (abgerufen am: 31.10.2024 )

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